Wirtschaft

"Ab dem Moment war Krise" Zeugin schildert Tage des Untergangs von Wirecard

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Im Juni 2020 brach der Finanzkonzern Wirecard zusammen.

Im Juni 2020 brach der Finanzkonzern Wirecard zusammen.

(Foto: dpa)

Wer ist für den Milliardenbetrug bei Wirecard verantwortlich? In dem Strafprozess vor dem Landgericht München belasten sich Zeugen und Angeklagte gegenseitig. Die frühere Produktionsvorständin Steidl gibt nun Einblicke, wie die letzten Tage des Skandalkonzerns verliefen.

Beim Skandalkonzern Wirecard hatte der Spitzenmanager Jan Marsalek nach Aussage einer früheren Kollegin unabhängig von den übrigen Vorstandsmitgliedern Zugriff auf Milliardenbeträge. Marsalek habe mit der eigenmächtigen Verschiebung der angeblich bei Treuhändern verwalteten Summen von Singapur auf die Philippinen den damaligen Finanzvorstand Alexander von Knoop gegen sich aufgebracht, sagte die frühere Produktvorständin Susanne Steidl als Zeugin im Wirecard-Strafprozess vor dem Landgericht München. "Er war sowas von zornig", sagte sie. "Völlig zurecht."

Knoop ist in dem Prozess bisher nicht befragt worden. Marsalek ist untergetaucht. Steidl, gegen die die Staatsanwaltschaft separat ermittelt, stützte damit Angaben des in dem Prozess angeklagten Ex-Firmenchefs Markus Braun. Dieser hatte gesagt, Marsalek habe ihm im Februar 2020 mitgeteilt, dass er auf Treuhandkonten verbuchte Milliardensummen von Singapur unabgesprochen auf die Philippinen transferiert habe. "Ich kann mich erinnern, dass ich ihn gefragt habe, ob er den Verstand verloren hat", hatte Braun gesagt.

Bei Wirecard lief damals eine Sonderuntersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die schließlich keine Belege für die Summe von 1,9 Milliarden Euro fand. Der Konzern brach daraufhin im Juni 2020 zusammen. Die Pleite ist einer der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte.

"Susanne, guck mal, wir haben ein Problem"

Kurz vor dem Kollaps lieferte Braun dem mutmaßlichen Hauptverdächtigen Marsalek den passenden Vorwand für die Flucht ins Ausland. Steidl schilderte vor Gericht die dramatischen Tage im Juni 2020, als klar wurde, dass 1,9 Milliarden Euro unauffindbar waren. Ihr zufolge wurde sowohl ihr selbst als auch Finanzvorstand von Knoop erst damals der Ernst der Lage klar.

Die 1,9 Milliarden Euro waren angeblich auf philippinischen Treuhandkonten verbucht. Die dortige Bank informierte jedoch den Konzern, dass die Unterschriften unter den Verträgen gefälscht waren. Der Finanzvorstand sei dann in ihr Büro gekommen, berichtete Steidl. "Susanne, guck mal, wir haben ein Problem", habe von Knoop gesagt. "Ab dem Moment war Krise", erinnerte sich die Managerin weiter.

Im Wirecard-Vorstand zuständig für Asien war Marsalek. Vorstandschef Braun habe dann gesagt: "Jan, Du musst in die Philippinen fliegen." Dort sollte Marsalek das Problem demnach persönlich klären. Aus Steidls Aussage lässt sich nicht ableiten, dass Braun Marsalek bewusst einen Fluchtvorwand lieferte - dazu sagte sie nichts. Am 18. Juni 2020 wurde Marsalek suspendiert. "Er hat sich dann von mir verabschiedet, er fliegt in die Philippinen und wir sehen uns in zwei Wochen", sagte Steidl. Doch reiste Marsalek dort nie ein. Stattdessen soll sich der Manager über Belarus nach Russland abgesetzt haben, er wird per Haftbefehl gesucht.

Brief von Marsalek sorgt für Aufsehen

Braun hingegen stellte sich der Justiz, ebenso der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Beide sitzen nunmehr seit drei Jahren in Untersuchungshaft. Laut Staatsanwaltschaft erdichtete eine Betrügerbande bei Wirecard unter maßgeblicher Beteiligung Brauns und Marsaleks Scheingeschäfte in Milliardenhöhe. Den Schaden für die Kreditgeber des Konzerns beziffern die Ermittler auf über drei Milliarden Euro. Die Anklage fußt wesentlich auf den Aussagen des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus, ehedem Wirecard-Manager in Dubai.

Nach Darstellung Brauns waren sowohl Geschäfte als auch Erlöse echt. Stattdessen sollen Marsalek, Bellenhaus und Komplizen zwei Milliarden Euro aus dem Konzern abgezweigt und veruntreut haben. Marsalek hat dem Gericht kürzlich über seinen Anwalt einen aufsehenerregenden Brief zukommen lassen, in dem er den einstigen Mitarbeiter und Kronzeugen Bellenhaus als Lügner beschuldigt.

Daher misst Brauns Verteidigung dem Brief große Bedeutung zu. Die Richter wollen aber erst nach Bedenkzeit entscheiden, ob sie das Schreiben als "schriftliche Zeugenerklärung" für die Beweisaufnahme zu den Akten nehmen. "Das werde ich nicht in der Nacht übers Knie brechen", sagte der Vorsitzende Richter Markus Födisch. Die Verteidigung des Kronzeugen hat das Marsalek-Schreiben für "Blödsinn" erklärt.

Quelle: ntv.de, fzö/rts/dpa

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