Das Ende des Cannabis-Highs? "Es werden viele Firmen vom Markt verschwinden"
23.01.2024, 16:17 Uhr
In den Niederlanden ist Mitte Dezember ein Pilotprojekt zum Verkauf von legal angebautem Cannabis gestartet.
(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)
Deutschland, das Land der Dichter, Denker und Kiffer! Richtig gelesen. Laut einer Studie haben 8,8 Prozent aller Erwachsenen im Alter von 18 bis 64 Jahren 2021 mindestens einmal Cannabis konsumiert; das sind rund 4,5 Millionen. Damit ist Cannabis die am häufigsten illegal konsumierte Droge in Deutschland. Eigentlich sollte am 1. Januar ein von der Ampel-Koalition ausgearbeitetes Gesetz zur Legalisierung von Cannabis in Kraft treten. Experten gingen davon aus, dass dann bis zu 800 Tonnen der Droge pro Jahr legal in Deutschland verkauft werden könnten. Ein gewaltiger Markt. Etliche Startups investierten gewaltig und standen in den Startlöchern. Aber: Von den großen Plänen der Regierung ist nicht mehr viel übrig.
Stattdessen soll für Erwachsene ab 18 Jahren ab 1. April der Besitz von 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum erlaubt werden und bis zu 50 Gramm aus Eigenanbau im privaten Bereich. Bis zu drei Pflanzen dürfen privat angebaut werden. Aber es gibt keinen Verkauf in Fachgeschäften wie in den Niederlanden. Der nötige Bundestagsbeschluss zu diesen Plänen der Ampel steht jedoch noch aus.

Finn Hänsel ist Gründer und Managing Director des Cannabis-Startups Sanity Group.
(Foto: Sanity Group)
Zu den bekanntesten Cannabis-Startups in Deutschland gehört die Sanity Group. Dahinter steckt Gründer Finn Hänsel. Sein Geschäft besteht aus zwei Säulen: dem medizinischen Cannabis und der Consumer-Sparte, die aus Cannabisprodukten im Kosmetikbereich und Genusscannabis besteht. Für Letztere hatte er sich deutlich mehr versprochen. Woher kommt der Hype? Wie geht man als Cannabis-Startup-Gründer mit der jetzigen Situation um? Wie schafft man es, prominente Investoren wie Snoop Dog oder Klaas Heufer-Umlauf mit an Bord zu holen und wie geht es jetzt weiter? Das verrät Finn Hänsel im ntv-Podcast "Startup - jetzt ganz ehrlich!".
ntv.de: Erzählen Sie uns eine Wahrheit, die Sie bislang verschwiegen haben.
Finn Hänsel: Was wahrscheinlich die wenigsten wissen: Ich bin seit ein paar Jahren selbst Cannabispatient, weil ich seit der Jugend an ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) leide. Irgendwann meinte mein Hausarzt: Du bist doch in der Branche. Hast du schon mal dein eigenes Produkt probiert? Und seit ich das nutze, muss ich ganz ehrlich sagen, komme ich sehr gut mit dem ADHS klar.
Jetzt setzen Sie aber nicht nur auf Cannabis als medizinisches Produkt, sondern wollen dieses langfristig auch als Genussmittel vertreiben. Vor Kurzem eröffneten Sie in der Schweiz Europas erstes Fachgeschäft für legale THC-haltige Cannabisprodukte. Was steckt dahinter?
Die Schweiz hat sich mit dem Thema Cannabis schon seit deutlich mehr Jahren beschäftigt als wir in Deutschland. Die Stigmatisierung von Cannabis ist dort deutlich geringer. Je nachdem, wie die Ergebnisse dieses Pilotprojekts sind, möchte man dann eine künftige Cannabis-Gesetzgebung gestalten.
Wie ist das Feedback bislang?
Die Leute konnten es kaum glauben, dass sie jetzt wirklich in ein Fachgeschäft reingehen können, die Tür öffnen und dort Cannabis kaufen können. Ich glaube, viele Leute hatten fast ein bisschen Angst, dass das "Verstehen Sie Spaß?" ist und sie am Ende rauskommen und die Polizei wartet.
Diese Art von Pilotprojekt würden Sie sicherlich gerne auch in Deutschland durchführen. Cannabis-Legalisierung war das Prestigeprojekt für die Ampel-Koalition. Doch das Ganze ist ins Stocken geraten. Wie gehen Sie als Unternehmer damit um?
Die Ampel hat das Thema Cannabis-Legalisierung damals in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die Euphorie war grenzenlos in der Branche. Und dann ging es los, dass die Regierung immer zeitverzögert gesagt hat: Der Entwurf kommt jetzt nicht. Doch noch ein Eckpunktepapier und noch ein Eckpunktepapier. So wurde ein mutiges Gesamtkonzept zur Legalisierung plötzlich zum Stückwerk aufgeteilt. Heute stehen wir vor dem Punkt, dass die Legalisierung im Gesamten so nicht kommen wird. Es ist für ein Unternehmen wie unseres schwierig, in so einer Gemengelage zu agieren. Wo investieren wir Geld? Bereiten wir uns schon auf irgendwelche künftigen Entwicklungen vor? Warten wir ab? Geben wir weiter Geld aus oder sparen wir lieber und halten das Geld beisammen? Das sind dann wirklich sehr kritische Fragen, die wir uns jeden Tag stellen müssen.
Zudem müssen Sie sich dem Gegenwind stellen, der in letzter Zeit immer kräftiger geworden ist. Eine Cannabis-Legalisierung birgt schließlich Gefahren. Im Dezember 2023 gab es einen Brief an die Bundestagsfraktionen, in dem viele Ärzte und Lehrerverbände sowie die Polizeigewerkschaft das geplante Cannabisgesetz als Gefahr einordnen und dazu aufrufen, dem Plan von Gesundheitsminister Lauterbach nicht zuzustimmen. Was sagen Sie dazu?
Die Parteien, die dort auf dem Brief stehen, haben ganz unterschiedliche Motive. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter, der auch Verfasser des Briefs ist, hat sich einige Jahre absolut für eine Legalisierung ausgesprochen. Denen ist das Gesetz wahrscheinlich nicht konsistent genug. Denn das Ziel Politik, Polizei und Justiz zu entlasten, wird durch das Cannabis-Gesetz nicht vollumfänglich erreicht. Nicht jeder Konsument wird jetzt Clubmitglied. Nicht jeder Konsument wird sich selbst eine Pflanze auf den Balkon stellen.
Die Leute werden weiter im illegalen Markt einkaufen, es fließen weiter keine Steuereinnahmen, die illegale und organisierte Kriminalität wird weiter profitieren und am Ende hat man trotzdem Bürokratiemonster, weil die Behörden doch kontrollieren müssen. Wer baut jetzt wie viele Pflanzen zu Hause an? Wer trägt wie viel mit sich herum? Sind die Clubs alle ordentlich reguliert? Und am Ende glaube ich, aus der Sicht von vielen Leuten, die ursprünglich positiv gegenüber einer Legalisierung waren, trifft das Gesetz, so wie es jetzt im Bundestag ist, nicht so wirklich den Kern.
In dem Brief steht, eine Cannabis-Legalisierung stünde im Widerspruch zur internationalen Erkenntnislage und gefährde die Gesundheit der jungen Generation.
Da würde ich widersprechen. Nur mal als Beispiel die Niederlande. Dort kann man seit den 1970er, 1980er Jahren Cannabis an jeder Straßenecke kaufen. Trotzdem konsumieren in Prozent der Bevölkerung weniger Menschen in den Niederlanden Cannabis als in Deutschland, sogar relativ zur Bevölkerung und speziell bei der jungen Generation. Nur eine Verfügbarkeit von Cannabis führt also nicht automatisch zu einer Erhöhung des Konsums. Gleiches war in Colorado der Fall. In den ersten Monaten nach der Legalisierung ging der Konsum nach oben. Danach ist er wieder unter die Ursprungsschwelle der Legalisierung der Konsumenten zurückgefallen. Das heißt also, niemand will Cannabis für Jugendliche legalisieren. Das Problem ist nur, dass das Gesetz, so wie es jetzt ist, nicht klar reguliert, wann Cannabis wie legal ist, wer konsumieren darf, wo es erworben werden darf.
Was bedeutet das für die vielen Cannabis-Startups, die mit großen Hoffnungen auf eine Volllegalisierung in Deutschland an den Start gegangen sind?
Viele Cannabis-Startups haben basierend auf dieser großen Hoffnung Gelder eingesammelt und Leute eingestellt, die natürlich jetzt ernüchtert sind. Parallel haben wir allgemein eine Situation gerade, dass ohnehin die Investoren nicht Schlange stehen, überhaupt zu investieren. Das heißt, die Kombination aus dem unsicheren Cannabis-Gesetz und auf der anderen Seite sehr zurückhaltenden VCs [Venture-Capital-Gesellschaften, Anm. d. Red.] und Startup-Investoren, die macht das gerade sehr vielen Startups sehr schwer. Ich erwarte, dass in den nächsten drei bis sechs Monaten wahrscheinlich viele Spieler vom Markt verschwinden werden.
Mit Finn Hänsel sprach Janna Linke. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast "Startup - jetzt ganz ehrlich" anhören.
Was verbirgt sich hinter der schillernden Fassade der Startup-Szene? Janna Linke weiß es. Im Podcast "Startup - Jetzt ganz ehrlich" wirft sie jede Woche einen Blick hinter die Kulissen der Gründerszene und spricht über Themen, die gerade Schlagzeilen machen. Sie ordnet ein, hakt nach. Persönlich, ehrlich und mit einem echten Mehrwert. Dafür spricht sie mit Persönlichkeiten der Szene, Expertinnen und Experten und gibt euch den absoluten Rundumblick. Gemeinsam taucht ihr tief ein in die Startup-Welt.
"Startup - jetzt ganz ehrlich" - der Podcast mit Janna Linke. Auf RTL+ und überall, wo es Podcasts gibt: Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de, cam