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Felgen kosten 25.000 Euro Bugatti EB110 GT - Posterheld der 1990er im Fahrbericht

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Ein Bugatti EB110 macht einen imposanten Eindruck. Der mit 4,40 Metern Länge ziemlich kurze Supersportler wirkt selbst im Stand infernalisch. Dazu trägt sicherlich das Längen-Breiten-Verhältnis bei (er ist 1,94 Meter breit), aber auch die aerodynamischen Kniffe in der Karosse.

Ein Bugatti EB110 macht einen imposanten Eindruck. Der mit 4,40 Metern Länge ziemlich kurze Supersportler wirkt selbst im Stand infernalisch. Dazu trägt sicherlich das Längen-Breiten-Verhältnis bei (er ist 1,94 Meter breit), aber auch die aerodynamischen Kniffe in der Karosse.

(Foto: Patrick Broich)

In den Neunzigern hing er als Poster in vielen Jugendzimmern, auf der Straße trifft man ihn ziemlich selten an. Wo der Bugatti EB110 auftaucht, gibt es Menschenansammlungen. ntv.de hat eine Runde mit dem Ausnahmesportler gedreht.

Ehrlich gesagt nervt die ständige Diskussion über die Preise bei raren Sammlerautos. Na klar sind bestimmte Raritäten auf Rädern extrem teuer und klar nutzen die Besitzer sie als Wertanlage. Aber im Vordergrund sollten natürlich Auto und Fahrspaß stehen. Andererseits - ohne die Supercarbroker und autoaffinen Wertanlagenjäger gäbe es auch weniger Geschichten über verrückte Autos. Und der Bugatti EB110 ist definitiv so ein verrücktes Auto.

Die Front mit den markanten Rechteckscheinwerfern geht definitiv als Schokoladenseite des Bugatti EB110 durch.

Die Front mit den markanten Rechteckscheinwerfern geht definitiv als Schokoladenseite des Bugatti EB110 durch.

Die Selected Car Group im nahe der deutsch-dänischen Grenze gelegenen Middelfart hat ntv.de eine umfangreiche Probefahrt mit der Bugatti-Rarität ermöglicht. Und das Team hat sich mit umfangreicher Vorbereitung ins Zeug gelegt, so dass dieses Exemplar nicht bloß schön anzusehen ist, sondern tatsächlich auch gut fährt.

Anzusehen (und auch zu kaufen) gibt es hier in Middelfart übrigens viele spannende Fahrzeuge. Der Weg lohnt sich, auch wenn Sie gerade keinen siebenstelligen Euro-Betrag zu viel auf dem Konto herumliegen haben. Ähnlich wie die Classic-Remise- und Motorworld-Locations dieser Welt lädt das Autocenter zum Flanieren ein.

Und in den Katakomben des großen Gebäudes auf dem weitläufigen Gelände kann man sich auch relativ profane Gebrauchtmodelle vom Schlage mittlerer Mercedes-SUV zeigen lassen. Die Handelsgruppe bietet ein Gesamtpaket an, das den von hohen Fahrzeugunterhaltskosten gebeutelten Dänen die Möglichkeit gibt, Fahrzeuge für eine fixe Monatsrate zu nutzen - es gibt diverse Leasingoptionen.

Aber auch internationale Kunden sind willkommen und dürfen hier von Autos träumen und kaufen. In der Ausstellung wird es dann edler, hier strahlen diverse Einsteiger-Ferrari, Lamborghini Huracán und Porsche 356 (wenn es Oldies sein sollen) um die Wette.

Der EB110 überstrahlt sie alle

Das Heck des ultraflachen Sportlers wirkt nicht so spektakulär wie die Front.

Das Heck des ultraflachen Sportlers wirkt nicht so spektakulär wie die Front.

(Foto: Patrick Broich)

Aber die ausgestellten Exponate können so bunt sein, wie sie wollen. Keine Chance, gegen einen EB110 anzustrahlen, obwohl das Testexemplar nicht im typischen Blau, sondern in unauffälligerem Silber anrollt. Ein paar Spezifikationen gefällig? Allradantrieb, vier Turbolader, 3,5 Liter Hubraum aus zwölf Zylindern, fünf Ventile pro Zylinder sowie 560 PS sind genau die richtigen Zutaten für ein Rezept, um gemeinsam mit dem passenden Design ein spektakuläres Traumauto-Gericht zu zaubern.

Apropos Blau. Unternehmer Romano Artioli hatte im Jahr 1987 die Namensrechte der Traditionsschmiede Bugatti erworben und von Architekt Giampaolo Benedini die "Fabbrica Blu" entwerfen und schließlich im nahe Modena gelegenen Campogalliano bauen lassen. Der Unternehmer suchte die Nähe der geballten italienischen Ingenieurskunst - schließlich waren Ferrari und Lamborghini räumlich nicht weit. Und weil Artioli der Entwurf des Auto-Stardesigners Marcello Gandini für den EB110 (der Name geht auf Ettore Bugattis 110. Geburtstag zurück) nicht gefiel, hat Benedini den Zuschlag bekommen: Richtig gelesen, der für die Fabrikhalle verantwortliche Architekt hat so ganz nebenbei mal eben auch das Auto gezeichnet.

Bugatti war für kurze Zeit mal italienisch

Und weil die französische Herkunft der jetzt italienischen Bugatti Automobili SpA auch noch irgendwie gewürdigt werden sollte, organisiert das Team um Markeneigner Romano Artioli am 15. September 1990 zur Einweihung der Fabrik eine Fahrt mit 77 Bugatti aus der Vorkriegsära vom elsässischen Molsheim nach Campogalliano (über 600 Kilometer Fahrstrecke), wo Bugatti gegründet wurde und heute wieder sitzt.

Halten kann sich das Unternehmen leider nicht. Der erste EB110 rollt 1991 aus der Werkshalle. Aber schon vier Jahre später schließt der Betrieb wieder nach 128 produzierten Exemplaren des auf Grundlage eines Kohlefasermonocoque hergestellten EB110. Die Mittneunziger sind von kriselnder Wirtschaft geprägt, da gehört ein Sportler für 690.000 D-Markt nicht gerade zu den gefragten Kaufgütern. Selbst mit Wartungspaket inklusive nicht.

So "günstig", wie er einmal war, wird der EB110 eher nicht mehr

Ha! Wenn man den EB110 doch heute bloß für umgerechnet 300.000 Euro bekommen würde! Stattdessen kostet er knapp unter zwei Millionen. Nein, bitte nicht schon wieder. Schnell den Preis vergessen und die Scherentüren öffnen. Man muss erst einmal schauen, wie das überhaupt geht - die Öffner sind ein bisschen versteckt. Stehen die Türen aber offen, folgt eine Überraschung. Nein, gleich mehrere. Erstens lässt sich der EB110 ohne akrobatische Verrenkungen entern. Und zweitens sieht er mehr nach noblem Luxusgefährt denn Supersportler aus.

Zwölf Töpfe klingen nicht nur schön. Auch optisch ist der komplizierte Motor ein Traum.

Zwölf Töpfe klingen nicht nur schön. Auch optisch ist der komplizierte Motor ein Traum.

(Foto: Patrick Broich)

Nicht vergessen, es gab Anfang der Neunziger überhaupt keinen so heftig motorisierten Athleten ab Werk. Ein Ferrari F50 bot 520 PS und auch der Lamborghini Diablo blieb zu dieser Zeit unter den 611 PS des EB 110 SS. Und die Aston-Martin-Vantage-Modelle waren keine Supersportler und kamen sowieso erst nach 1995 auf über 600 PS.

Und dennoch versprüht der Bugatti innen wenig Sportwagen-Flair, sondern sendet eher Luxusauto-Vibes mit massig Leder und Wurzelholz. Statt auf leichten Rennschalen zu sitzen, versinkt der Passagier in geradezu üppigen Fauteuils. Bloß den Tacho mit absurder Skalierung bis 400 km/h hätte es in einer Luxuslimousine wohl tendenziell nicht gegeben und er stapelt selbst angesichts der 351 Sachen eines EB110 SS noch hoch. Die Grundvariante GT liegt bei 336 km/h.

Glücklich am Steuer des EB110

Über 8000 Touren dreht der für damalige Verhältnisse unfassbar fortschrittliche Zwölfzylinder. Kein Wunder, er ist mit einem Bohrungs- und Hubverhältnis von 81 x 57 Millimetern kurzhubig ausgelegt.

Über 8000 Touren dreht der für damalige Verhältnisse unfassbar fortschrittliche Zwölfzylinder. Kein Wunder, er ist mit einem Bohrungs- und Hubverhältnis von 81 x 57 Millimetern kurzhubig ausgelegt.

(Foto: Patrick Broich)

Und nach der ganzen Theorie darf ich hier und heute sogar ans Steuer. Ich bin ein bisschen aufgeregt, weil der Hightech-V12 zwar über 30.000 Kilometer auf dem Tourenzähler hat, aber vermutlich doch die meiste Zeit seines Lebens stand, was für die Technik weniger gut ist. Geht auch bloß nichts kaputt? Das Team der Selected Car Group hat den eher elegant säuselnden statt lautstark brüllenden Dreieinhalber bereits warmlaufen lassen. Ich darf also später ruhig ein bisschen Drehzahl wagen.

Laut Briefing lässt sich der Allradler mit zentraler Viscokupplung problemlos fahren, ist nicht sonderlich zickig. Gut, den Grenzbereich möchte ich hier sowieso nicht ausloten, zu wertvoll ist das Exemplar. Und da ein Fachkollege zunächst vorfährt, steige ich nach dem kurzen Probesitzen wieder aus, höre und schaue mir das Spektakel erst einmal aus Heck-Perspektive hinterherfahrend an. Der EB110 lebt, bläst unter Last dezent rauchig aus den mittig angeordneten Ofenrohren. Er will freigefahren werden. Lange Standzeit eben. Solch teure Sammlerfahrzeuge werden einfach zu selten bewegt.

Das soll ein Sportwagen-Interieur sein? Fauteuilartige Sitzgelegenheiten erinnern eher an eine komfortable Reiselimousine.

Das soll ein Sportwagen-Interieur sein? Fauteuilartige Sitzgelegenheiten erinnern eher an eine komfortable Reiselimousine.

(Foto: Patrick Broich)

Dann kommt endlich mein Slot. Ich lasse mich in den bequemen Sessel fallen und drücke reflexartig das typischerweise etwas schwergängigere Kupplungspedal durch. Da das Getriebeöl schön angewärmt ist, rastet der mit Leder bezogene Schalthebel einigermaßen leichtgängig ein. Und dann geht es gleich auf die zum Glück wenig befahrene Landstraße. Ich bringe den mit Stirnrädern statt Kette oder Zahnriemen gesteuerten Zwölfzylinder ordentlich zum Rotieren und warte auf die explosionsartige Leistungsentfaltung, wenn die IHI-Lader in Aktion treten. Aber nö, passiert einfach nicht. Der 1,6-Tonner zieht eher gleichmäßig und stramm durch, aber gar nicht mal so giftig wie vermutet.

Man ist einfach auch ein bisschen abgestumpft von den heutigen Sportlern mit ihren absurden Motorleistungen. Und auch sonst fährt er recht unspektakulär, könnte gefühlt fast als Alltagswagen herhalten. Wenn er nicht so unübersichtlich wäre. Und auch die Sitzposition ist nicht ganz so top, hinzu kommen - typisch für italienische Autos - eng beieinanderstehende Pedale.

Die Beschleunigungszeit auf 100 km/h soll bei etwa 3,5 Sekunden liegen. Aber so schnell fühlt sich das Biest gar nicht an. Und es lässt sich außerdem geschmeidig und ruckelfrei mit niedriger Drehzahl fahren. Wer durchlädt, soll nach 14 Sekunden gar 200 Sachen auf dem Tacho stehen haben. Das schafft inzwischen ein 911 Carrera S ganz locker. Logisch, ich verzichte natürlich darauf, den Motor des betagten Athleten bis zur Höchstdrehzahl zu bringen. Muss einfach nicht sein.

Gewaltige Erscheinung

Außerdem ist dieser Ausnahme-Bugatti auch bei langsamer Fahrt eine gewaltige Erscheinung, dessen Front richtig cool aussieht mit den riesigen Rechteckscheinwerfern im Vergleich zum Heck, das optisch gegen die Vorderansicht verliert. Imposante Walzen der Dimension 335/30 18 auf den BBS-Magnesium-Klassikern montiert prägen die Wirkung des EB110 auf seine Mitwelt entscheidend mit.

Schon ein einziger Satz Felgen kostet 25.000 Euro. Man möchte gar nicht wissen, wie teuer dann eine Inspektion wird. Da ist der Tausch von 15 Litern dezentral aufbewahrtem Öl (Trockensumpfschmierung) eher ein geringes Problem. Und der Bugatti soll außerdem recht trinkfest sein, nimmt bei entsprechender Fahrt gerne 25 bis 30 Liter je 100 Kilometer aus dem zweigeteilten 120-Liter-Reservoir, wie zeitgenössische Fachmedien festgestellt haben.

Egal, die meisten Bugatti EB110 werden sowieso lediglich zu besonderen Anlässen aus der Garage geholt, wenn überhaupt. Dieser Anlass war ja auch besonders. Schließlich ist die mediale Präsenz eines EB110 fast so selten wie das Fahrzeug selbst. Die Autos der Selected Car Group kann man mittlerweile übrigens auch in der Düsseldorfer Classic Remise bestaunen, wo die Dänen einen Shop-Ableger unterhalten. Und mit ein bisschen Glück steht ja auch der hier besprochene oder ein anderer EB110 dort.

Quelle: ntv.de

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