30 Jahre Mercedes 500 E Der Porsche unter den Mercedes-Modellen
22.08.2021, 18:17 Uhr
Die Produktion des Mercedes 500 E rettet Porsche seinerzeit das Leben.
(Foto: Fabian Hoberg)
Vor 30 Jahren stellt Mercedes den potenten 500 E vor. Gebaut wird der sportlichste Mercedes seiner Zeit allerdings nicht unter dem Stern, sondern bei Porsche. Warum das so war, weiß der damalige Projektleiter Michael Hölscher.
Vier Türen, 5,0-Liter-V8 und breite Backen. Mit dem Mercedes 500 E der Modellreihe W124 verkaufen die Stuttgarter vor 30 Jahren einen starken Sportwagen im Kleid einer Limousine. Das Topmodell mit 326 PS sorgt von Beginn an für Furore, bietet dem BMW M5 die Stirn - und rettet nebenbei auch noch Porsche.

Michael Hölscher (l.) am Mercedes 500 E, den er als Entwicklungschef betreute.
(Foto: Fabian Hoberg)
Denn der 500 E wird nicht nur das Spitzenmodell des vor allem bei Taxifahrern beliebten W124 - er wird bei Porsche entwickelt und anschließend dort auch gefertigt. Der Grund: Mercedes möchte einen Konkurrenten für den BMW M5 haben, eine Limousine mit viel Leistung. Als Antrieb schwebt ihnen der 5,0-Liter-V8 des Roadster SL 500 vor. Das Problem: Der V8 passt nicht ohne Veränderungen an der Karosserie in den viel zu kleinen Motorraum. Damit der Platz findet, müssen Karosserieteile geändert und neu verschweißt werden. Für die fertigen Presswerkzeuge der W124-Linie in Sindelfingen ist das zu aufwändig und teuer. Also fragt Mercedes bei Porsche nach, ob sie nicht aushelfen können.
Rettung in der Not
Eine Verbindung der beiden Stuttgarter Unternehmen besteht schon seit Jahren. Im Porsche 928 verteilt ein Automatikgetriebe von Mercedes die Kraft auf die Hinterräder. Zudem entwickelt Porsche schon länger nicht nur eigene Fahrzeuge, sondern auch als Dienstleister für andere Hersteller. Das W124er-Cabrio entsteht unter anderem in Weissach. Auf der anderen Seite möchte Mercedes Porsche unterstützen, denn die Sportwagenschmiede ist in Not. Anfang der 1990er-Jahre bricht der Umsatz in Zuffenhausen massiv ein, Porsche hat finanzielle Probleme und ist daher dankbar für den externen Auftrag.

Unter der Haube ist der Mercedes 500 E ein Porsche, fährt aber immer noch wie ein Benz.
(Foto: Fabian Hoberg)
1988 erhält Porsche den Entwicklungsauftrag für eine "konstruktive und versuchstechnische Serienentwicklung des Basistyps W124". Die Sportwagen-Ingenieure entwickeln in den nächsten Monaten 21 Prototypen, bis die geforderte Leistung zum Fahrverhalten passt und sich der W124 wie ein sportliches Auto anfühlt. Mercedes ist von dem entstandenen Kraftprotz begeistert und gibt grünes Licht für die Serienproduktion bei Porsche. Eine Premiere.
1989 wird Michael Hölscher als Projektleiter für die Entwicklung des starken Mercedes eingesetzt. Damals schon ein alter Hase. Hölscher fängt 1982 bei Porsche an, anfangs als Ingenieur für Akustik und Schwingungstechnik im Entwicklungszentrum Weissach, ab 1986 als Leiter für Projekte in der Kundenentwicklung. "Für Porsche war der Auftrag wichtig, um in den schwierigen Zeiten um 1990 eine gute Auslastung in Zuffenhausen und Weissach zu bekommen", erklärt Hölscher heute.
Motor und Getriebe müssen in die Karosserie
Die größte Herausforderung beim Projekt besteht darin, den großen Motor und das Automatikgetriebe in die Karosserie zu integrieren. Alle Konstruktionsarbeiten entstehen manuell am Zeichenbrett, CAD-Systeme gibt es noch nicht. Dafür werden unter anderen die Stirnwand umkonstruiert und die Kotflügel verbreitert. Die Batterie wandert in den Kofferraum, Vorderachse, Brems- und Abgasanlage müssen ebenfalls umfangreich überarbeitet werden, Kotflügel und Stoßfängerverkleidungen angepasst. Für ausreichend Ansaugluft sorgt ein Spalt, rund um die Scheinwerfer. Weil das Differenzial so groß ist, gibt es den Benz nur als Viersitzer - in der Mitte der Rücksitzbank ist kein Platz mehr für eine Sitzfederung. Später in der Produktion kontrolliert ein Meister mit einem selbstgebauten Werkzeug den Abstand von Motor zur Stirnwand - damit der nicht bei voller Beschleunigung an die Karosserie anstößt und für Vibrationen sorgt.
Erschwert wird die Entwicklung durch das enge Timing. Neben den neu konstruierten Teilen gehört auch die Produktionsplanung der Rohkarosse, die Montage sowie die Logistik zu den zu bewältigenden Aufgaben. "Jeden Tag 20 Autos zwischen Sindelfingen und Zuffenhausen im Takt transportieren zu lassen, war eine logistische Meisterleistung", erinnert sich Hölscher.
Im Oktober 1990 stellt Mercedes den 500 E auf dem Pariser Autosalon vor, im Frühling 1991 läuft er bei Porsche vom Band. In Zuffenhausen nutzt man den Reutter-Bau des Werk 2 für die Produktion. Das Gebäude steht leer, nachdem die Karosseriefertigung des 911 in eine moderne Fertigungsstraße umgezogen ist. Porsche baut hier eine Montagelinie für die Rohkarosserie des 500 E auf. Anfangs sollen zehn Fahrzeuge am Tag entstehen, wegen der großen Nachfrage erhöht Porsche zügig auf 20 Autos pro Tag. Etwa 30 Mitarbeiter fertigen die Karosserie, die 56 Millimeter breiter, als die des Basisfahrzeugs ist, dazu 23 Millimeter tiefer liegt.
18 Tage für einen 500 E
Etwa 40 Mitarbeiter montieren den Mercedes-Porsche in einem Nachbargebäude, dem Rössle-Bau, das von Porsche angemietet wurde. Der Aufwand ist groß: Mercedes liefert die Übernahmeteile der Karosserie von Sindelfingen nach Zuffenhausen, Porsche beschafft alle Neuteile. Nach dem Schweißen des Karosserierohbaus werden die W124er per Lkw wieder zu Mercedes transportiert und dort nach Kundenspezifikation lackiert - Porsche setzt seinerzeit auf eine andere Tauchbad-Lackierung, die speziell auf verzinkte Karosserien abgestimmt ist. Nach der Lackierung kommen die Karosserien wieder zu Porsche und das Fahrzeug wird auf zwei Etagen montiert. 18 Tage dauert die Fertigung des besonderen Fahrzeugs.

Schon damals wurde die Spitzengeschwindigkeit bei 250 km/h elektronisch begrenzt. So auch beim Mercedes 500 E.
(Foto: Porsche)
An die erste Fahrt kann sich der heute pensionierte Ingenieur noch gut erinnern. Der sportlichste Mercedes seiner Zeit beschleunigt in 5,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h, wird erst bei 250 km/h elektronisch begrenzt. "Mit so viel Kraft in einer Limousine unterwegs zu sein, war damals neu, das war schon sehr cool. Wir sind zu viert von Stuttgart zum Bodensee gefahren, haben uns normal unterhalten. Als einer der Insassen auf den Tacho schaute, war er direkt still. Er hatte erstaunt festgestellt, dass wir 250 km/h fuhren", erzählt Hölscher.
Mindestens 134.520 Mark kostet der Benz im Oktober 1990 laut Liste, mit Extras werden es locker 150.000 Mark. Kunden schreckt das kaum ab, die Produktion ist im Voraus für drei Jahre ausverkauft. "Wir wussten, dass der 500 E ein sehr gutes Auto ist, vom Erfolg waren wir aber dennoch überrascht, das hat uns alle sehr gefreut", erinnert sich der Entwicklungschef.
Eine gute Zusammenarbeit
Mit der Fremdproduktion hat Mercedes Porsche geholfen. "Es war aber nur ein Anteil von mehreren, wieder auf die Beine zu kommen und die Belegschaft zu halten", erklärt Hölscher rückblickend. Die Zusammenarbeit mit Mercedes hat der Ingenieur rückblickend in guter Erinnerung. Man sei sich auf Augenhöhe und immer konstruktiv begegnet. "Für mich ist der 500 E ganz klar ein Mercedes, aber mit starkem Porsche-Einfluss. Das merkt man vor allem beim Fahren. Dennoch legte man in Stuttgart großen Wert darauf, dass sich der E 500 am Ende immer noch wie ein Mercedes fährt, und nicht wie ein Porsche. Die Identität des Auftraggebers musste bestehen bleiben", erklärt Hölscher.
Bis 1995 verkauft Mercedes 10.479 Exemplare 500 E, inklusive der "Last Edition", dann läuft die Produktion aus. Schon ein Jahr zuvor entwickelt und produziert Porsche den nächsten Fünftürer. Mit dem 315 PS starken Audi RS2 entsteht ab 1994 der erste Power-Kombi - Projektleiter ist wieder Michael Hölscher.
Quelle: ntv.de