Nicht nur was für MotoGP-Helden Ducati Panigale V4 S - die rote Rakete
06.01.2022, 18:05 Uhr
Man muss kein MotoGP-Held sein, um die Ducati Panigale V4 S zu fahren, aber erst, wenn man es ist, wird man herausfinden, was dieses Motorrad wirklich kann.
(Foto: Ducati)
Wenn ein Motorrad von Hause aus schon richtig schnell ist, wird es für die Entwickler immer schwieriger, noch eine Schippe draufzupacken. Das Ergebnis im Falle der Ducati Panigale V4 S ist trotzdem beeindruckend. Denn normale Motorradfahrer werden sie beherrschen, aber ihr wahres Potenzial wohl nie erfahren.
Wenn es eine Motorradmarke gibt, die mit einer Farbe verknüpft ist, dann Ducati: Seit Ewigkeiten kommen die Edelrenner aus Bologna im markentypischen Ducati-Red, alle anderen versuchsweise eingeführten Farben haben die Supersport-Freunde mit Ignoranz gestraft. Deshalb erstrahlt die neue Panigale V4 S natürlich auch in leuchtendem Rot. Für 2022 wurde sie mit einer Vielzahl Updates verfeinert, die sie vor allem für Normalos besser fahrbar machen soll.

Die Leistungssteigerung der Ducati Panigale V4 S um 1,5 PS zur Vorgängerin ist eigentlich zu vernachlässigen.
(Foto: Ducati)
Dabei ist wohl eine Überarbeitung im Segment der Hypersportler nicht möglich ohne eine Leistungssteigerung- also feiern die Ducati-Verantwortlichen einen Leistungszuwachs von 1,5 PS für ihre 2022er-Panigale V4. Bei einer Maximalleistung von nun 215,5 PS scheinen die Möglichkeiten der Performance-Zunahme allerdings ziemlich ausgereizt, genauso handverlesen sind die Gelegenheiten, diesem Kraftpaket das volle Potenzial abzutrotzen.
Rennstreckenbetrieb erst ab 5000 Touren
Die MotoGP-Strecke im andalusischen Jerez ist so eine Möglichkeit, auch wenn die um 5 km/h gestiegene Höchstgeschwindigkeit hier nicht ausgefahren werden kann. Dafür hat der Kurs ein paar äußerst knifflige Ecken, die der letztjährigen Panigale nicht so richtig behagten. Zum Start haben die Techniker das Farb-TFT-Instrument auf den neuen "Track Evo"-Anzeigemodus gestellt, der die Drehzahlleiste besser ablesbar am oberen Rand platziert - und entsprechend dem Rennstreckenbetrieb erst ab 5000 Touren aufwärts beginnen lässt. Ergänzend prangen ein dicker grüner LED-Schaltblitz und eine rote Begrenzerleuchte darüber, die wirklich niemand mehr übersehen kann.

Die Ducati Panigale V4 S kann beweisen, dass sie aus einer Schmiede kommt, die sich mit Rennmotorrädern auskennt.
(Foto: Ducati)
Größere Berührungsängste über ihre geänderte Fahreraufnahme kann die Bologneserin beiseiteräumen: Ihr flacheres Polster schafft mehr Spielraum nach hinten und der schmalere, gleichwohl einen Liter größere Tank vermittelt besten Knieschluss. So kombiniert die Panigale viel Platz mit guter Verzahnung. Das ist auch bitter nötig, denn die Panigale zoomt sich fast gedankenschnell von einer Kurve zur nächsten und macht die rasende Fahrt über den andalusischen Racetrack zu einer hoch konzentrierten Sache. Aus jeder Ecke feuert die Panigale unaufhaltsam vorwärts und malt dabei dicke schwarze Striche auf den Asphalt.
Ohne Fesseln nur auf ausdrücklichen Befehl
Dabei erlaubt das Elektronikprogramm noch nicht einmal ungehemmten Vortrieb. Das in vier Fahrprogramme (Race A, Race B, Sport und Street) unterteilte System kontrolliert neben dem Ansprechverhalten des Motors sämtliche elektronischen Assistenzen: Kurven-ABS und -Traktionskontrolle, Wheelie- und Slidekontrolle, Motorbremse, Quickshifter-Aktion und das semiaktive Fahrwerk. Neu für 2022 sind die Motorenkennfelder Low, das für den Landstraßenbetrieb maximal 150 PS aufbietet, und Full: Hier entledigt sich der V4 sämtlicher elektronischer Fesseln, weshalb er mit keinem Fahrmodus verknüpft ist, sondern bewusst angewählt werden muss.

Dank der elektronischen Steuerung werden die 123,6 Newtonmeter Drehmoment der Ducati Panigale V4 S nicht unkontrolliert an die Kette geschickt.
(Foto: Ducati)
Ebenfalls neu und für Normalfahrer hilfreich nimmt die elektronische Steuerung die gewaltige Drehmomentspitze von 123,6 Newtonmeter bei 9500 Touren im ersten bis dritten Gang zurück, das schafft mehr Kontrollierbarkeit. Dazu zeigt sich eine Übernahme aus der Superbike-WM als ziemlich hilfreich: Der erste, zweite und sechste Gang sind länger übersetzt, um aus den ganz engen Kurven noch formidabler antreten zu können.
Eine bessere Fahrbarkeit schaffen die Fahrwerksmodifikationen der 2022er-Version. Fünf Millimeter mehr Federweg der neuen Öhlins-Gasdruck-Gabel und ein um vier Millimeter angehobener Schwingendrehpunkt bringen mehr Ruhe und Nachvollziehbarkeit. Highlight ist aber nach wie vor das semiaktive Öhlins-Fahrwerk, das die Dämpfung der Federelemente und des Lenkungsdämpfers unterschiedlich beim Beschleunigen, Bremsen und im Kurvenscheitelpunkt steuert. Es kann individuell zusätzlich weiter verfeinert werden.
Voreinstellungen sind schon gut

Mit einem Preis von knapp 30.000 Euro ist die Ducati Panigale V4 S aber auch kein Schnäppchen.
(Foto: RKM)
Doch auch schon im vorkonfigurierten Zustand fährt sich diese rote Rakete äußerst präzise, zielgenau visiert sie die Linie an und hält diese unbeirrbar bei. Vor allem das unglaubliche Gefühl, das die sensible Vorderradführung beschert, trägt zum supersportlichen Hochgenuss bei. Wie gut dabei die Elektronik im Hintergrund alles verarbeitet, merkt man kaum, wird aber im neuen Instrument visualisiert: Farblich hinterlegte Felder für Traktions-, Wheelie- und Slide-Kontrolle leuchten nach dem Einsatz des Assistenzsystems eine Weile auf und geben so dem Fahrer Hinweise auf Optimierungen.
So muss es überraschen, wie leicht sich diese 215,5 PS trotz oder vielleicht gar wegen der gestiegenen Rennstreckenperformance fahren lassen - nicht von vollgasfesten MotoGP-Helden, sondern von normalen Durchschnittsfahrern. Die allumfassende elektronische Assistenz und das fein agierende semiaktive Öhlins-Fahrwerk machen eine unvergleichliche Fahrdynamik möglich, übertroffen nur noch von ihrer unglaublichen Beherrschbarkeit.
Was mit dieser Panigale alles geht, demonstrieren die Ducati-Werksfahrer Johan Zarco und Jorge Martin, die dieses Fast-Rennmotorrad für ihre Trainingsrunden abseits der großen Öffentlichkeit nutzen. Fröhlich entschwinden sie selbst dem schnellsten Schreiberling mit atemberaubender Schräglage und lassen nur schwarze Gummistriche vom Beschleunigen auf dem Asphalt zurück. Wer nicht gerade mit einem Ducati-Werksvertrag ausgestattet ist, dürfte zurückhaltender mit dieser roten Waffe umgehen, schließlich muss man beim Ducati-Händler 29.990 Euro dafür hinblättern.
Quelle: ntv.de, Thilo Kozik, sp-x