Harley-Davidson Road Glide Königin der Straße - nicht perfekt, aber schön
22.04.2020, 14:55 Uhr
Mit der Harley Davidson Road Glide Special kann man ganz famos über die Straßen kreuzen.
(Foto: Harley)
Ein Sprichwort sagt: Wer schön sein will, muss leiden! Das trifft auch auf die bildschöne Harley-Davidson Road Glide Special zu. Sie überzeugt mit einem prächtigen Motor, Fahrsicherheit und stimmigem Design. Dennoch braucht ihr Fahrer Nehmer-Qualitäten.
Sieben Modelle finden sich alleine im Touring-Programm von Harley-Davidson. Die fünf wichtigsten von ihnen weisen seit dem Modelljahr 2020 serienmäßig ein umfangreiches Fahrsicherheitssystem auf, es heißt "Reflex Defense Rider System" oder kurz RDRS. Zu den fünfen gehört auch die neue Road Glide Special. Trotz der Limitierungen der Corona-Zeit konnte ihr ausführlich auf den Zahn gefühlt werden.

Mit 29.000 Euro ist die Harley-Davidson Road Glide Special nicht gerade im preiswerten Segment einzuordnen.
(Foto: Harley)
Mit ihrem überaus stimmigen Bagger-Design, ihrem in puncto Leistung als auch Laufkultur voll überzeugenden, luft- und wassergekühlten Zweizylinder-V-Motor und ihrer insgesamt gediegenen Ausstattung sowie dem neuen RDRS überzeugt das rund 29.000 Euro kostende Schmuckstück im rabenschwarzen Outfit auf ganzer Linie. Wäre da nur nicht ein Detail, das so gar nicht zu einem Bike dieser Klasse passt. Aber der Reihe nach.
Wie Schwarzenegger in seinen besten Tagen
Zwar stehen für die Beschleunigung der inklusive Fahrer knapp eine halbe Tonne schweren Road Glide Special nur 90 PS zur Verfügung, doch kommt dank des enormen maximalen Drehmoments von 163 Newtonmetern kaum der Wunsch nach mehr Leistung auf. Und so gilt auch hier: Hubraum, in diesem Fall sagenhafte 1868 Kubikzentimeter, ist eben durch nichts zu ersetzen.
Bereits aus 1500 Touren schiebt die mit einer fantastischen Gasannahme gesegnete Road King davon, dass es eine Freude ist. Nur selten ertappt man sich dabei, das der Drehzahlmesser die 3000er Marke überschreitet. Wozu auch? Unter dem Fahrer arbeitet das mächtige Triebwerk, wie Arnold Schwarzenegger in seinen besten Terminator-Zeiten.
Wer mal Kilometer fressen will und dazu auf der Corona-freien Autobahn dem Tempomat 145 Sachen vorgibt, sieht den Zeiger des Drehzahlmessers starr auf der 3500 stehen. Trotz ihrer Schrankwandfront säuft der König der Straße erfreulich wenig: Mehr als 5,9 Liter pro 100 Kilometer schafften sie im gemischten, stets zügig absolvierten Betrieb nicht, immerhin ein halber Liter weniger als der Normwert. Man kann also leicht 350 Kilometer ohne Tankstopp fahren.
Ab Tempo 120 schwindet der Spaß auf Dauer

Optisch und verarbeitungstechnisch gibt es an der Harley-Davidson Road Glide Special nichts auszusetzen.
(Foto: Harley)
Wer allerdings länger jenseits Tempo 120 fährt, der verliert irgendwann den Spaß. Zwar ist der Windschutz dank der voluminösen Shark-Nose-Verkleidung besser als auf der ähnlich konzipierten Street Glide, aber richtig gut ist er nicht. Die Autobahn-Richtgeschwindigkeit wird auf Dauer anstrengend und richtig laut.
Zwar können die zwei 25 Watt starken Riesen-Lautsprecher des Boom-Box-GTS-Infotainmentsystems erstaunlich gut gegenhalten, aber lange Strecken ziehen sich dann doch. Das ist schade, denn Sitzposition, Sitzqualität und auch die Armhaltung am breiten, griffigen Lenker sind für durchschnittlich große Fahrer perfekt. Vielleicht sollte Harley doch einmal über einen elektrisch verstellbaren Windschild nachdenken.
Etwas mehr Komfort bitte
Nicht nachdenken sollten die Amis über eine wirksamere Federung; sie sollten sie einfach liefern, und zwar schnellstens. Denn das Ansprechverhalten der montierten Federelemente wie auch die Absorption von Stößen und sogar Stößchen ist miserabel. Mal fährt eine Brückenfuge ins Kreuz, mal zucken und wackeln die Unterarme am Lenker, wenn das Vorderrad auf unebenem Asphalt unterwegs ist.
Dabei ist die Fahrwerksauslegung ganz und gar nicht übel: Die Road Glide zieht auf Feinasphalt souverän ihre Spur, lässt sich leicht in Kurven einlenken und hält stabil den gewählten Radius. Man muss sich schon anstrengen, um die Kurven im Wortsinne "kratzen" zu können. Ein dickes Lob ist auch der sehr leistungsfähigen, bestens ansprechenden Bremsanlage zu zollen. Das Fahrvergnügen auf perfektem Untergrund ist fulminant. Doch das Absolvieren nicht-perfekter Strecken gerät zum Härtetest; leider kommt das häufiger vor als man es als Reiter dieses monströsen Eisenrosses gerne hätte.
Beim Rangieren braucht's Übung

Das Rangieren ist mit der Road Glide Special ebenso unerquicklich wie Fahrten über 120 km/h.
(Foto: Harley)
Dass das Rangieren einer Road Glide Special keine Freude ist, überrascht wohl niemanden. Doch dank des guten Bodenkontakts lässt sich bei kernigen Manövern auf engem Raum gut mitfüßeln, und mit der Zahl der bestandenen Prüfungen wächst auch das Selbstvertrauen des Fahrers. Zum Glück. Insofern ist die niedrige Sitzhöhe von 69,5 Zentimetern ein Segen, wobei der Sitzkomfort, wie schon erwähnt, ausgezeichnet ist.
Schon seit Jahrzehnten bietet Harley-Davidson umfangreiche Möglichkeiten, reichlich Geld in Zubehörteile zu investieren; zu den besonders empfehlenswerten Teilen zählt die Schaltwippe, mit deren Hilfe die Gangwechsel beim Hinaufschalten lässig per Hacke erfolgen können. Ansonsten ist alles Wichtige an Bord: das wohltuende Sicherheitsnetz des RDRS mit Kurven-ABS, elektronischer Bremskraftverteilung, dynamischer Traktionskontrolle, Antriebsschlupfregelung sowie dem Fahrzeughalteassistenten.
Tadellose Verarbeitung
Hightech, wie andere Hersteller sie auch nicht besser beherrschen. Harleys automatische Blinkerrückstellung ist unübertroffen. Zudem gibt es einen sehr leistungsfähigen LED-Doppelscheinwerfer, das leider nicht intuitiv bedienbare Navigationssystem und einen Haufen (leider nicht hinterleuchteter) Bedienknöpfe, –tasten und Joysticks; wer seine Harley aber oft genug fährt, wird’s mit der Zeit lernen.
Bedeutsam sind bei der seit 117 Jahren bestehenden Kultmarke Harley-Davidson die Punkte Design und Verarbeitung. Letztere ist bis ins Detail tadellos; auch ist das Design der prächtig motorisierten Road King Special absolut stimmig. Nicht auszudenken, wie genussvoll sich eine Road Glide Special fahren ließe, wenn ihr Fahrkomfort auf dem Niveau des Designs läge.
Quelle: ntv.de, Ulf Böhringer, sp-x