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Modernes Vorkriegs-Ungetüm Tatra T87 im Fahrbericht - unterwegs mit der Stromlinie

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Mit seinem dreiäugigen Gesicht mutet der Tatra T87 gewöhnungsbedürftig an.

Mit seinem dreiäugigen Gesicht mutet der Tatra T87 gewöhnungsbedürftig an.

Wer an Vorkriegsfahrzeuge denkt, hat oft fragile Schnaufer im Kopf. Motorisierte Kutschen also, die kaum vom Fleck kommen. Dann hat man aber den Tatra T87 noch nicht kennengelernt. ntv.de hat ihn für eine kleine Tour entführt.

Da steht er also, in seinem Pechschwarz, der Tatra T87. Er feierte sein Debüt schon im Jahr 1937, ist also weit weg vom Automobilbau, wie wir ihn heute kennen, wollte man jedenfalls meinen. Apropos die bereits erwähnten Kutschen: Genau diese baute nämlich die sogenannte Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft, gegründet im damals (1850) deutschsprachigen mährisch-schlesischen Grenzgebiet, der heutigen Stadt Kopřivnice.

Als die Welt und insbesondere diese Region 1918 Kopf standen, musste sich die alte Gesellschaft, die Ende der 1910er-Jahre schon in Personen- und Lastwagen gemacht hatte, mit der Prager Ringhoffer AG zusammentun - und so war der Name Tatra geboren (Ringhoffer-Tatra AG).

Noch spannender zu wissen aber ist vielleicht, dass der österreichische Konstrukteur Hans Ledwinka bei Tatra mitmischte, der seinerzeit wiederum bestens bekannt war mit Ferdinand Porsche. Na, klingelt da etwas? Genau, luftgekühlte Motoren. Man sagt ja sogar, Porsche habe Ledwinkas Konzept geklaut - also luftgekühlte Boxer im Heck, wie beim Käfer. Die Blaupause war ja der KdF-Wagen.

Die Finne auf dem Heckdeckel sieht schon verrückt aus. Erich Übelacker wusste, wie Aerodynamik geht.

Die Finne auf dem Heckdeckel sieht schon verrückt aus. Erich Übelacker wusste, wie Aerodynamik geht.

(Foto: Patrick Broich)

Aber zurück zum Thema, zum Tatra T87. Wenn man so vor dieser Stromlinien-Karosse steht, ist man irgendwie geflasht und denkt, "so ein Auto kann doch nicht in den 1930ern schon gefahren sein". Doch, ist es aber. Serienmodell mit über 3000 gebauten Exemplaren. Allerdings wirkt der 87er auch so ein bisschen wie ein unheimliches Ungetüm mit der etwas verrückt aussehenden Finne im Heckbereich. Ingenieur Erich Übelacker hat den Tatra konsequent auf Aerodynamik getrimmt. So erreichte er mit seiner schmalen Motorleistung bereits 160 km/h.

Der Tatra T87 wirkt deutlich jünger

Für ein Auto aus den Dreißigern sieht das Cockpit verdammt modern aus.

Für ein Auto aus den Dreißigern sieht das Cockpit verdammt modern aus.

(Foto: Patrick Broich)

Fast noch ein bisschen faszinierender aber ist das Interieur. Wäre da nicht die etwas schnörkelige Schrift auf den Zifferblättern der eleganten Instrumente, man würde den großen Reisewagen glatt für 25 Jahre jünger halten. Doch gucken ist schön und gut, ntv.de hat den Tatra T87 sogar gefahren. Es ist immer schön, wenn so große Automuseen wie der PS.Speicher in Einbeck ausgewählte Exponate auch fahrbereit halten und für solche Medienproduktionen einsetzen können. So kann der Tatra auch fahrdynamisch beschrieben werden.

Der Tatra 87 wirkt sehr gestreckt durch seinen ausladenden Radstand, dabei ist er nur 4,74 Meter lang.

Der Tatra 87 wirkt sehr gestreckt durch seinen ausladenden Radstand, dabei ist er nur 4,74 Meter lang.

(Foto: Patrick Broich)

Wobei dynamisch ein gutes Stichwort ist. Im Heck des 4,74 Meter langen, aus damaliger Sicht ziemlich futuristischen Gefährts bollert nach dem Druck auf den weißen Startknopf ein drei Liter großer Achtzylinder mit - Überraschung - Luftkühlung und Leichtmetallzylinderkopf zur Gewichtsreduktion. Es ist zwar nicht so richtig klar, wie viel Drehmoment der mit hängenden Ventilen und Kipphebeln ausgestattete Kraftspender so mobilisiert, aber dass die Höchstleistung von 75 PS (die späten Exemplare leisteten 95 PS) schon unter 4000 Touren erreicht wird, spricht für eine gewisse Souveränität. Also, los gehts. Und man könnte wetten, dass der 1,4-Tonner selbst für heutige (im Umgang mit Klassikern womöglich ungeübte) Fahrer recht einfach zu bewegen ist. Das manuelle Vierganggetriebe ist vergleichsweise leichtgängig zu bedienen. Wobei ein bisschen Feingefühl der Sache schon zuträglich wäre.

Sonderlich schwierig zu fahren ist er nicht

Natürlich macht der große V8 im Kofferraum den Tatra hecklastig. Aber Kurvenakrobatik möchte man hier sowieso nicht betreiben.

Natürlich macht der große V8 im Kofferraum den Tatra hecklastig. Aber Kurvenakrobatik möchte man hier sowieso nicht betreiben.

(Foto: Patrick Broich)

Aber wenn das Öl erst einmal durchgewärmt ist, rasten die Gänge geschmeidig ein. Und der Achtender kommt druckvoll unten heraus. Klar ist man losgelöst betrachtet nicht irre schnell unterwegs, aber für die damalige Zeit muss der Tatra wie eine Art technische Wundermaschine angemutet haben. Und selbst Querdynamik verträgt er in einem für Vorkriegsautos ungeahnten Maß. Eigentlich ist bei den meisten Fahrzeugen dieser Zeit absolute Konzentration angesagt schon bei Geschwindigkeiten von 80 km/h - Geradeauslauf. Doch hier Fehlanzeige. Der mit hinterer Schwingachse ausgerüstete Extrem-Oldie fährt recht fest über die einsamen Landstraßen des Einbecker Umlandes. Klar, ordentlich Lenkradspiel in der Mittellage gehört dazu.

So viel Platz in der zweiten Reihe! Klar, dank Heckmotor entfällt der Kardantunnel, was Luft schafft.

So viel Platz in der zweiten Reihe! Klar, dank Heckmotor entfällt der Kardantunnel, was Luft schafft.

(Foto: Patrick Broich)

Am besten ist freilich, du lässt dich im Fond chauffieren. Schon wild, wie viel Platz der Tatra den Beinen der Fondpassagiere gönnt. Wie haben die das damals bloß gemacht mit diesem Packaging, über das heute so oft gesprochen wird? Dafür mussten eben keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden und man brauchte keinen Bauraum für technische Assistenten. Außerdem entfällt der Kardantunnel dank Heckmotor und der Radstand fällt mit 2,85 Metern üppig aus. Das schafft Luft.

Tatra heute rarer Oldtimer

Entspannen auf dem weichen Rücksitz, dem markanten Achtzylinder lauschen, während der Fahrer die Arbeit hat - schönes Gedankenspiel. Nein, es macht schon Spaß, den riesigen Kranz in der Hand zu halten und den großen Tatra mit dem rechten Pedal durch die Gegend zu treiben. Um so vorsichtiger muss man mit dem mittleren Pedal, der Bremse, umgehen. Immer vorausschauend fahren und nur ja behutsam bremsen, sonst geht das ins Auge, denn die Limousine wird schneller instabil, als einem lieb ist. Nach ein paar Kilometern ist der Ausflug aber schon wieder vorbei. Schön, den Tatra T87 unversehrt wieder ins Depot bugsiert zu haben.

Für die Öffentlichkeit ist der heute rare Tatra hier in Einbeck immer wieder mal zumindest im Stand zu bestaunen, buhlt um die Blicke der Besucher neben den Hunderten anderen Exponaten des inzwischen bei Autofans berühmten PS.Speichers. Oder wollen Sie etwa einen T87 kaufen? In den einschlägigen Internetbörsen ist durchaus immer wieder mal das eine oder andere Exemplar zu finden. Inzwischen liegen die Preise bei einer Viertelmillion Euro. Was ist daraus zu lernen? Nicht nur Ferrari, Mercedes oder Porsche bauen teure Traumautos, manchmal kann das Objekt der Begierde auch ein unbekanntes technisches Meisterstück aus dem Osten Europas sein.

Quelle: ntv.de

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