
Patricia Schlesinger muss sich auch nach ihrem Rücktritt den Vorwürfen der Vorteilsnahme und Vetternwirtschaft stellen.
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Was macht das mit Menschen, wenn sie ganz oben sind? Werden sie blind und verlieren die Bodenhaftung? Kann passieren. Wenn das so ist und sie dann fallen, dann sind die öffentliche Verurteilung, Häme und auch der Frust nicht weit.
Wenn die Luft ganz oben zu dünn wird, dann kann es schonmal sein, dass man/frau nichts mehr so richtig spürt. Zum Beispiel die eigene Gier und Vermessenheit, dieses Gefühl, die ganze Welt dreht sich nur um "mich mich mich". Das kann schnell überhandnehmen, wenn man erstmal "on top" ist. Denn "ich" habe ganz einfach Anspruch auf ein geiles Auto, eine exquisite Inneneinrichtung im Büro, grandiose Dinnerabende mit Freunden, die auch geschäftlich ganz nützlich sind, auf ein Bonüsschen hier und einen Flug samt Ehegespons oder Nachwuchs nach Sylt oder Südafrika - warum nicht? Die anderen werden es gar nicht bemerken, außerdem hab' ich mir das verdient und der Neid der anderen geht mir sowieso am Arsch vorbei. "Compliance" ist ein Fremdwort und my Inglisch is so good nun auch wieder nicht. So ist vielleicht - ich weiß es aber natürlich nicht - die Denke der Schlesingers, Lambrechts und anderen Royals dieser Tage. Schnell noch ein paar Schäfchen ins Trockene bringen, kann ja keiner wissen, was noch kommt.
Dabei geht es gar nicht immer nur um Geld. Es geht um Macht und Ansehen (und na klar, das hat auch mit Geld zu tun), es mag auch um eine gewisse Einfältigkeit gehen. Prinz Charles wird nachgesagt, dass er nicht geeignet für die Thronfolge sei - habe ich gelesen. Das finde ich persönlich zwar sehr gemein und ich mag es mir auch gar nicht so richtig vorstellen, aber der über siebzigjährige maybe-soon-to-be-König hat sich vor Kurzem nicht mit Ruhm bekleckert, als vermeintlich unkoschere Geschäfte mit Katar offenbar wurden: Er soll Geld in Millionenhöhe in bar und in Tüten angenommen haben. Wie gesagt, es geht nicht immer nur darum, Vorteile durch Dinge zu erlangen, diese dünne Luft ganz oben macht noch mehr mit manchen Menschen, die plötzlich zu Ruhm, Geld oder Ehre gekommen sind: Boris Johnson hat - während er seinem Volk strenge Corona-Auflagen gepredigt hat - selbst gern mal die Puppen in der Downing Street tanzen lassen.
Wo ich bin, ist vorne
Eine Form der Selbstherrlichkeit, die viele Politiker und andere Machtmenschen treffen kann, schlicht, weil sie sich für unverwundbar halten: Alle um sie herum lächeln, sagen den ganzen Tag Ja, bringen Tee und Kekse, erfüllen Wünsche - so könnte es doch gerne ewig weitergehen. Die Documenta-Chefin Sabine Schormann, die ihren Hut nehmen musste, handelte wahrscheinlich nicht aus Geldgier, sondern aus dem schlichten Gedanken, dass da, wo sie ist, einfach vorne ist. Also, dass sie den Ton angeben kann, und sei er noch so falsch.
Sex ist natürlich auch so eine Sache, warum Menschen zurücktreten müssen von Ämtern und Posten. Aber: Am Ende kommt immer die Wahrheit heraus. Wegen Bill Clintons "I did not have sexual relations with that woman" musste man sich schließlich schon 1998 fragen, wo das "Spiel" aufhört und der Sex anfängt. Aber lassen wir das, Monica Lewinsky hat genug gebüßt, das Thema "sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" ist trotz allem weiterhin eines, Bill hatte Glück, weil Hillary nach einem sicher schlimmen Moment der absoluten Kränkung wie eine Felsin in der Brandung vor, hinter ihm und überhaupt an seiner Seite stand.
Die Frage ist, ob sich all diese Verfehlungen, für die die Öffentlichkeit diejenigen, die sich die Verfehlungen erlauben, quasi wie in einem Circus Maximus hinrichten, wirklich lohnen. Eine Weile Spaß, eine Weile Luxus, eine Weile Macht - und dann? Der Absturz. Nur wenige schaffen es, sich davon zu erholen, siehe Bill Clinton. Christine Lambrecht, die Verteidigungsministerin mit dem stets angespannten Zug um den Mund, die ihren Sohn im Bundeswehrflugzeug hatte mitfliegen lassen, hätte man die Mutter-Kind-Zeit sicher gegönnt, wenn der Sohn nicht Fotos aus der Luft gepostet hätte, mit lecker Mittagessen im Hubschrauber oder fadenscheinigen Zielen, die man in der Osterzeit ansteuert. Jetzt muss sie auf jeden Schritt aufpassen, den sie geht.
Sicher, von Prinz Charles hatte ich mehr erwartet als G'schäftlemacherei mit den Scheichs, und die Documenta-Chefin hätte vielleicht bleiben können, wenn sie von Anfang an eingelenkt hätte: "Ach Mensch, das ist mir gar nicht so aufgefallen mit diesem blöden Antisemitismus, das ändere ich rasch, tut mir echt leid" und schon hätte keiner mehr was sagen/aufdecken/kritisieren können. Fehler sind schließlich menschlich.
Essen mit Freunden
Und Patricia Schlesinger? Über ihr Auftreten wissen andere mehr, es wurde auch schon viel gesagt und geschrieben, auch die Neben-Story mit ihrem Mann ist dumm gelaufen - es passt eben alles nicht zu einer gestandenen Intendantin, die früher Journalistin war. Was ich mich nur frage: Hatte sie niemanden, der sie mal hätte aufmerksam machen können auf ihr Verhalten? Der Dienstwagen mit den Massagesitzen, meine Güte, sowas bieten auch Honda oder Citroën an, das hätte man noch verschmerzen können. Die schönen Grünanlangen in der Chefetage könnte man als vorbildlich durchgehen lassen, weil die Intendantin vielleicht auf stets neue teure Schnittblumen verzichtet hat, die schicken Stühle (allesamt mit Massagefunktion eigentlich?) und die viel kritisierten Dinner mit Freunden in der eigenen Villa (die vielleicht gar keine Villa, sondern nur ein Haus ist) - nun, man könnte auch sagen, das gehört dazu, zum Netzwerken, Chefin-Sein, um am Puls der Zeit zu bleiben. Essen mit Freunden bezahlt man aber immer besser selbst, alte Regel.
Was stört, ist die Gesamtsumme von über 600.000 Euro. Und der Gesamteindruck. Die Chauffeure, die auch privat genutzt wurden - auch wenn freilich keiner weiß, ob die Intendantin nicht auch auf dem Weg zu einem privaten Fest noch öffentlich-rechtliche Akten durchgebüffelt hat, stets die Sorge um den Sender im Blick und sich die möglichen Einsparmöglichkeiten durch den frisch frisierten Kopf gehen lassend.
Dienstwagen inklusive Schleudersitz
Die öffentliche Verurteilung aber, fast schon einer Hinrichtung gleich, die Zurschaustellung sämtlicher Verfehlungen, inklusive Häme, Neid und Besserwisserei, muss das sein? Nein. Auch wenn der RBB nun dringend "aufräumen" und sich ganz, ganz doll hinterfragen muss, auch wenn die Engländer einen neuen Chef oder eine neue Chefin brauchen, die Documenta nun einen leicht bitteren Nachgeschmack hat, Charles vielleicht nie König wird, sondern gleich William - so wie bisher darf es einfach nicht mehr laufen. Das kann sich keine Gesellschaft leisten. Aber die Häme muss raus aus dem Ganzen, negative Energie behindert bloß den Reinigungsprozess. Denn niemand ist perfekt, niemand macht keine Fehler. Fragen wir uns doch selbst einmal: Würde ich nicht auch zugreifen, wenn mir ein Dienstwagen angeboten wird und der Hersteller einen so dicken Rabatt gibt, dass ich mir den Schleudersitz gleich mit einbauen lassen kann? Wie oft habe ich mir schon einen Chauffeur gewünscht, damit ich aus dem klimatisierten Fond heraus die Termine der Kinder regeln und mit meinen Freundinnen facetimen kann. Würde ich nicht auch mit nach Sylt fliegen, wenn noch ein Plätzchen frei ist?
Nur eine Frage noch: Ist es eigentlich eher beruhigend, dass Frauen in Belangen des Machtmissbrauchs, der Übertreibung, Korruption und Falscheinschätzung ihrer eigenen Unersetzlichkeit ähnlich gestrickt sind wie Männer? Ich muss nachdenken. Ihnen ein schönes Wochenende und bleiben Sie sauber!
Quelle: ntv.de