
Kreisch!! Der Film "Barbie" ist relevant und beliebt und beweist, dass Empowerment, Kreativität, Spaß und Pink zusammengehören (können).
(Foto: IMAGO/Everett Collection)
Kein Film hat in diesem Jahr gesellschaftlich so eingeschlagen wie "Barbie". Die Geschichte über die berühmteste Puppe der Welt hat viele Menschen tief im Herzen getroffen. Auch die Kolumnistin hat es nun ins Kino geschafft. Und sich herrlich amüsiert.
Mein Barbie-Feeling ist ein Kein-Barbie-Feeling. Meine Eltern hatten mir damals einfach verboten, mit den taillierten Sexbomben zu spielen: Atombusen, blondes Haar bis zum Hintern und die engen Klamotten der Mattel-Puppe waren indiskutabel für Mutter und Vater. So was kam uns nicht ins Haus. Das hielt mich natürlich nicht davon ab, dennoch mit den Puppen zu spielen, woanders eben - meine Grundschulfreundinnen Birgit und Manuela hatten ganze Barbie-Stämme. Ich ging gern zu Birgit und Manuela, der Vater der einen war Bäcker, es duftete immer lecker, es gab ordentliche Schrippen und bei den anderen gab es die besten Cevapcici, weil die Mutter aus Jugoslawien kam. Wir kämmten die dünnen Gräten, zogen sie an und aus und ich denke, dass meine Vorliebe für hohe Schuhe in dieser Zeit entstanden sein muss. Zwar hatte ich in den folgenden Jahren keine High-Heel-Füße so wie Barbie, dafür bekam ich später aber je einen Hallux valgus, also diese unschöne Beule unterhalb des großen Onkels, die nur mit viel Mühe und vielen flachen Schuhen wieder in den Griff zu bekommen waren. Ich mag meine Füße aber, danke der Nachfrage.
Irgendwann kam ein Ken dazu, Modell Prinz, und der rettete so manche Barbie. Wovor eigentlich? Denn Barbies Welt war doch perfekt, oder? Naja, zum Beispiel musste Barbie davor gerettet werden, dass man ihr die Haare abschnitt, sie mit Tattoos übersäte oder ein Bein umknickte, was sich nie wieder so richtig zurückknicken ließ. Außerdem verlor das dumme Ding immer einen Schuh. Egal, wir wurden der Barbies und der tumben Kens ohne eklatante Geschlechtsmerkmale bald überdrüssig und beschäftigten uns mit den echten Dingen des Lebens.
Barbies eigenes Zimmer
Zeitensprung: Ich wurde Mutter. Die Frage "Barbie ja oder nein?" erübrigte sich, als ich ein riesiges Sortiment meines bereits dem Barbie-Alter entwachsenen Patenkinds "erbte". Beziehungsweise meine Tochter. Nun waren sie da, alle, auch Skipper und ihre Freundinnen inklusive Meerjungfrau und Ärztin. Ein guter Grund, beim nächsten Kindergeburtstag einen Barbie-Campingwagen, einen Land Rover mit Anhängerkupplung, unzählige Pferde inklusive unzähliger Zäune, eine Vespa und ein ganzes Haus geschenkt zu bekommen.
Barbie brauchte nun ein eigenes Zimmer - deswegen ließ Kind zwei auch echt lange auf sich warten, aber das ist eine andere Geschichte. Allerdings interessierte sich Kind eins überhaupt nicht für Barbies. Null, Zero. Sie spielte viel lieber mit den Babypuppen, die wunderbare Namen bekamen wie Arita, und auch meine alten, geliebten, verstaubten Puppen Claudia, Bettina und Florian (eine männliche Puppe, mit Pimmelchen, nicht so wie bei Ken!!) kamen zum Einsatz. Ihr filziges Haar wurde gekämmt, sie wurden gewickelt, gefüttert und überall mit hingeschleppt, bis sich Kind Nummer zwei doch ankündigte. Als ich das echte Baby mit nach Hause brachte, legte Kind eins seine Puppen alle ordentlich in eine Umzugskiste und befand: "Ich habe nun ein echtes Baby, ich brauch' die nicht mehr."
Baby Nummer zwei wuchs und gedieh prächtig zu einem spielenden Kind, allein - die Barbies interessierten sie kein Stück. Sie liebte Matchbox-Autos, echte Autos (mit zwei "Auspüffern"), und war scharf auf Kuscheltiere, am liebsten Hunde und Hasen. Bis wir endlich einen echten Hund hatten, sollten noch einige Jahre ins Land gehen.
Was würde Mami heute zu Barbie sagen?
Und nun war ich mit Tochter eins und Tochter zwei im Kino, wir trugen natürlich Pink und tranken ein rosa Gesöff, das vom Kino ausgeschenkt wurde. Es war lustig! "Barbie", der Film und das ganze Drumherum, sei für viele nun eine Anregung, sich in der Darstellung ihrer Weiblichkeit nicht mehr zurückzuhalten, heißt es. Und: Auf diese Weise, also sich beispielsweise komplett rosa zu kleiden und zu geben, würden Frauen mit dem Patriarchat und der Unterdrückung der Frau abrechnen, wird allerorts geschrieben. Mit "Barbie" erreicht der Pop-Feminismus demnach seinen bisherigen Höhepunkt! Ganz ehrlich? So weit würde ich nicht gehen. Ich gestehe, ich habe viel lachen müssen, ich würde ihn mir nochmal angucken, wegen der vielen guten Sprüche und der wunderschönen Margot Robbie und dem herrlich dusslig-frustrierten Ken ("I am Kenough!") Ryan Gosling, aber mich würde vor allem interessieren, was meine Mutter gesagt hätte zum Barbie-Film.
Wir alle haben Barbie Unrecht getan!
Leider nicht mehr möglich, aber eines weiß ich: Diese Figuren nur auf ihr Äußeres zu reduzieren, das hätte selbst ihr heute leidgetan. Wir haben, als ganze Familie, diesen Barbies so viel Unrecht angetan, so viel Ignoranz entgegengebracht, dass ich es nun, nachdem ich den Film gesehen habe, kaum glauben kann, dass uns erst Jahrzehnte später Greta Gerwig die Augen öffnen musste, um das Große, das Ganze, das Ikonische an Barbie zu erkennen. Aber besser spät als nie, denk' ich mir, die emanzipatorischen Aspekte und die ewige Unterdrückung der Kens - ich hätte ja nie wieder darüber nachgedacht! In der Barbie-Welt war alles perfekt, denn Frauen hatten das Sagen! Dieses Gefühl allerdings begleitet mich, wenn auch unbewusst, immerhin schon sehr lange.
Ich bin nun also in den Keller geschlichen, um zu gucken, ob ich die eine oder andere Barbie aufgehoben oder ob ich sie alle in die Tonne getreten beziehungsweise an irgendjemanden weiterverschenkt habe. Nachdem ich eine Kiste mit Carrera-Bahn, eine mit Schlümpfen, eine mit Käthe-Kruse-Puppen, eine mit selbst angemalten Playmobil-Männchen (DAS fanden meine Eltern pädagogisch wertvoll) und diverse Oldtimer gefunden hatte, entdeckte ich ganz hinten im Schrank eine Art kleinen Sarg. Drei Barbies waren noch drin, unter anderem die Meerjungfrau. Ich habe ihnen erst mal ordentlich die Haare gekämmt.
Quelle: ntv.de