Gottschalk macht Schluss mit "Wetten, dass..?" Ein Dinosaurier auf Abschiedstour
13.02.2011, 01:26 Uhr
Abschied vom und auf dem Sofa.
(Foto: dpa)
Nach fast einem Vierteljahrhundert will Thomas Gottschalk bei "Wetten, dass..?" aufhören. Nach dem Unfall von Samuel Koch könne er nicht einfach "weitermachen, als sei nichts passiert". Ein ehrenwerter Grund für seinen Abschied. Der war aber schon lange überfällig.
Er will es hinter sich bringen. Thomas Gottschalk lässt an diesem Abend, an dem die erfolgreichste deutsche Unterhaltungssendung ihren 30. Geburtstag begeht, keine feierliche Stimmung aufkommen. Er nimmt den frenetischen Begrüßungsapplaus freundlich zur Kenntnis, aber er genießt ihn nicht wie sonst.
"Wetten, dass..?" steht vor einer Zäsur. Das war vor diesem Abend in Halle an der Saale klar, schon in dem Augenblick, als Thomas Gottschalk die Sendung vom 4. Dezember des vergangenen Jahres nach dem schweren Unfall des Kandidaten Samuel Koch abbrach; eigentlich schon in dem Moment, als die Kameras vom reglosen jungen Mann wegschwenkten. Jeder wusste, dass Gottschalk die einzig richtige Entscheidung zum Abbruch der Sendung treffen würde, und dass es danach kein "Weiter so" geben konnte.
Raunen aus dem Publikum
Er wolle seinem Publikum nicht "zwischen Tür und Angel" erklären, wie es weitergeht, sondern auf dem Sofa, "auf dem ich die besten 25 Jahre meines Lebens verbracht habe", sagt er mit gefasster Miene. Der Moderator spricht von dem noch immer gelähmten Samuel Koch, überbringt dessen Botschaft: Er habe sich gut vorbereitet, die Zuschauer mögen sich darüber keine Gedanken mehr machen. Gottschalk ist diese Nachricht wichtig, sie entlastet ihn vor sich selbst und vor seinem Publikum. Er hat nichts falsch gemacht. Nur ist ihm aufgegangen, dass er nun auch nichts mehr richtig machen kann.
Für ihn liege ein "Schatten" auf "Wetten, dass..?", formuliert der 60-Jährige düster. Er wolle die Staffel noch zu Ende bringen, nach der Sommersendung auf Mallorca sei dann aber Schluss. Drei Sondersendungen sollen seinen Abschied abrunden. Sein Publikum werde seine Entscheidung verstehen, hatte der Entertainer vorausgesagt. Von den Rängen ist die Enttäuschung über seinen Rückzug trotzdem deutlich zu vernehmen.
Gottschalk begreift das als Herausforderung. Andere Moderatoren hätten mit einer solchen Erklärung schon zu Beginn der Sendung den Rohrkrepierer geliefert. Der blonde Entertainer packt seinen berüchtigten Humor aus:" Was mich ärgert, ist, dass Mubarak mich knapp geschlagen hat", frotzelt er. Sein Publikum versteht: Die Show geht jetzt weiter. Fortan wird sein angekündigter Abschied zum wiederkehrenden Motiv der Sendung. Co-Moderatorin Michelle Hunziker versucht ihn zum Bleiben zu überreden, Naomi Campbell haucht ihm ein "Please stay, don't leave" ins Ohr.
Die Suche nach dem würdevollen Ende
Mit einigem Recht kann man Gottschalk fehlende Konsequenz vorwerfen. Wie kann er einerseits behaupten, er könne "in dieser Show nicht einfach weitermachen, als wäre nichts passiert", und danach noch drei Sendungen moderieren? Sucht hier ein amtsmüder Moderator gar nach einem einfachen Ausweg? Oder fischt da einer nach Komplimenten, will er zum Bleiben überredet werden?
Sicher nicht. Thomas Gottschalk ist von der alten Schule. Er will diese Sendung, die nach nunmehr 145 Auftritten seine ist, zu einem würdevollen Ende bringen. Er will nicht in diesem "traurigen Zusammenhang", wie er sagt, in Erinnerung bleiben. Mit dieser Mentalität hat er über die Jahre Angriffe von Kritikern und Gästen überstanden. All der Spott über seine Outfits, seine Altherrenwitze und seine belanglosen Fragen, er hat ihn wegmoderiert.
Genau das tut er auch in Halle. Merklich distanziert und zunächst noch etwas fahrig versucht Gottschalk sich mit der Sendung zum 30-jährigen Jubiläum an einer Reminiszenz an die alten Zeiten. Er will noch einmal die alle verbindende Samstagabendshow hinlegen. Ein Unterhaltungsdinosaurier dreht am Rad der Zeit.
Udo sorgt für Chaos
Mit den Gästen landet Gottschalk an diesem Abend Treffer. Wenn Jan Josef Liefers, seine Frau Anna Loos und Maria Furtwängler auch keine internationalen Topstars sind, sie bieten Anlass, ausgiebig über den Tatort zu plaudern - neben "Wetten, dass..?" wahrscheinlich noch der größte gemeinsame Nenner des heutigen Fernsehpublikums. Und tatsächlich rutscht den Gästen zum Thema Krimi sogar so etwas wie ein Gedanke raus, ein seltenes Gut in der Unterhaltungsbranche.
Das inhaltsleere Gesäusel erledigt Michelle Hunziker im Duo mit Naomi Campbell. Die ist immerhin schon so lange im Geschäft, dass sie jeder Altersklasse ein Begriff ist. Gleiches gilt für Udo Lindenberg, der mit einem Auftritt völlig neben der Kappe für die Prise Anarchismus sorgt, die einer wie Gottschalk zum Aufblühen braucht. Die ganze Sendung hindurch macht er Witze auf Kosten des Panikrockers, der offensichtlich zu viel vom großzügig von ihm verteilten Eierlikör genascht hatte.
Doch spätestens mit den Comebacks des Abends wirkt "Wetten, dass..?" wieder wie aus der Zeit gefallen. Zuerst dürfen Roxette sich durch ein Medley aus ihren größten Hits und natürlich der aktuellen Single spielen, und schließlich gibt es ein Wiedersehen mit den einstigen Mädchenschwärmen von Take That. Da entpuppen sich sogar Noami Campbell und Michelle Hunziker als Groupies. Aber wer von den heute 14-Jährigen steht auf diese alles andere als taufrischen Enddreißiger?
Von der Entwicklung überholt
Bei den Wetten wird die Krux von Gottschalks "Wetten, dass..?" besonders deutlich. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es mangelte den Kandidaten bestimmt nicht an Witz und Ideen. Die skurrile Wette zwei junger Männer, die sich mit Golfschlägern Salamistücke in den Mund schossen, lohnte das Einschalten wirklich. Auch der Wettkönig beeindruckte mit bemerkenswerter Körperbeherrschung.
Nur: Vielen Zuschauern reicht das nicht mehr. Sie wollen extremere Leistungen sehen. Sie sind existenzielles Scheitern, begleitet von Hohn und Spott, gewöhnt. Sie sind Darbietungen gewohnt, die so enden können wie die Wette von Samuel Koch. Und so ist das Publikum von "Supertalent" und "DSDS" für das Format der großen, altersübergreifenden Samstagabendshow verloren. Dank der Ankündigung einer Ankündigung hat "Wetten, dass..?" jetzt doch noch einmal die magische 10-Millionen-Grenze überschritten.
Aber die Zeiten sind nicht mehr danach. Der Medienkonsum, das ist ein Allgemeinplatz, differenziert sich zunehmend. Es gibt junge Menschen, die sich vom Fernsehen komplett abgekoppelt haben, und ihre Lieblingsserien und ihre Nachrichten nur noch über das Internet verfolgen. Das sollten die ZDF-Macher bedenken, wenn sie nach einem Nachfolger für ihren Aushänge-Moderator suchen. Vielleicht sollten sie auch nach einem Format-Nachfolger Ausschau halten. Gottschalks "Wetten, dass..?" war schon lange ein Anachronismus. Es hat nur einen Anlass gebraucht, um ihn zu seinem Ende zu führen. Ähnlich wie bei Mubarak.
Quelle: ntv.de