Lust auf Laube Auch Einstein hatte eine
26.05.2017, 13:01 Uhr
Gartenfete bei den Kölner "Komikern" Gabi, Winni und Simonetta: Gartenlust ist ansteckend.
(Foto: ©Nadja Buchczik)
Der Drang ins Grüne ist ungebrochen. Was einst als piefig galt, hat längst sein kleinkariertes Image abgelegt. Über die neue "Generation Kleingarten" haben Caroline Lahusen und Sylvia Doria ein Buch geschrieben.
Sie heißen "Sorgenfrei" oder "Aufbau", "Feierabend" oder "Morgengrauen", "Lebensfreude" oder "Erntesegen", "Neuland" oder "Erholung", "Fröhliche Eintracht" oder einfach nur "Frieden". Der menschlichen Fantasie beim Erfinden von blumigen Namen für Kleingartenanlagen, gerne auch "Kolonie" genannt, ist offenbar keine Grenze gesetzt. Knapp eine Million Menschen gibt es in Deutschland, die hochrot kopfüber in der Erde wühlen, den schmerzenden krummen Rücken immer wieder mal durchdrücken und sich sogar wohlfühlen dabei. Diese Gartenfreunde heißen landläufig Schrebergärtner, und selbst der ursprünglich Berliner Begriff "Laubenpieper" ist längst nicht mehr Vorrecht der Bundeshauptstadt. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Idee entstanden, mit kleinen Gärten die Menschen wieder in Kontakt mit der Natur zu bringen, den sie durch die zunehmende Industrialisierung verloren hatten. Namensgeber der Gärten war der Leipziger Orthopäde Moritz Schreber (1808-1861), der allerdings mehr die Gesundheit der Kinder aus den Mietskasernen im Blick hatte, weniger Radieschen und Apfelbäume. Zu dessen Ehren werden seit 1864 Kleingärten auch Schrebergärten genannt. Wenn auch zu Schrebers Zeiten die Beete eher nur angenehme Nebenerscheinungen waren, so halfen die Gemüsegärten zum Beispiel in den (zum Glück vergangenen) Kriegszeiten mancher Familie beim Überleben.

Eine unterhaltsame Lektüre für alle, die schon einen Garten haben oder unbedingt einen haben wollen.
(Foto: ©Verlagsgruppe Random House GmbH, München)
Als andere Lebensinhalte "cool" wurden, bekamen Großstadtmenschen mit Gartenparzellen den Touch des Spießigen, wurden Witze gerissen über Wachstuchtischdecken und Gartenzwerge, allzu neugierige Nachbarn hinterm Zaun und Fahnenstangen vor der Laube. Dieses Image klebt wie Kitt an den Kleingärtnern, ihren Beeten und Bäumen. Und doch findet, von Außenstehenden meist unbemerkt, längst ein Wandel statt; nahezu jede zweite Parzelle wird inzwischen an junge Familien mit kleinen Kindern übergeben. Laut einer Studie der Hamburger Umweltbehörde sind Kleingärtner heutzutage immer jünger, gebildeter und wohlhabender. 9,2 Prozent sind jünger als 35 Jahre. Und der Drang ist ungebrochen und so wie einst sehnen sich auch heute wieder vor allem Großstädter nach einem Stückchen Idylle, nach einem freien Leben an frischer Luft – und sei es nur am Wochenende! Und wer zum Beispiel am Freitagnachmittag im Stau auf den Autobahnen rings um Berlin über die Laubenpieper stöhnt, die wieder unterwegs zu ihren Datschen sind, ist nur neidisch, weil er keine hat! In Berlin stehen aktuell über 14.000 Bewerber auf den Wartelisten der 738 Gartenvereine und müssen sich vier bis sechs Jahre gedulden; in Hamburg gibt es rund 320 Vereine und etwa 4000 Interessenten, die gerne Mitglied werden möchten.
Über diese neue "Lust auf Laube" haben Caroline Lahusen und Sylvia Doria ein Buch geschrieben – und treffender hätten sie den Titel nicht wählen können. Dieses Buch zeigt, was dabei herauskommt, wenn Großstädter heute ihren Traumgarten verwirklichen. Die opulent fotografierte Entdeckungsreise durch deutsche Laubenkolonien ist bei DVA erschienen, hat 192 Seiten mit 350 Farbabbildungen und kostet 29,95 Euro.
Auch ein Ufo ist nur eine Laube
Die Autorinnen geben keine Pflanz- und Bauleitungen, keine Ratschläge für die beste Gartengestaltung, sondern sie erzählen die Geschichten der neuen Generation Kleingarten, wie Stadtmenschen zu ihrer "Scholle" gekommen sind, über Hindernisse und Amtsschimmel, Verlust und neue Hoffnung, über Glücksmomente und Stolz auf selbst Geschaffenes. Wunderschöne, lebendige Bilder von zwei Fotografinnen und zwei Fotografen vermitteln sehr unterschiedliche Einblicke in das Gartenleben – mal romantisch und verspielt, mal sachlich und strukturiert. Aber immer so, dass man Lust bekommt zum Nachmachen. Mit der neuen Schrebergarten-Kultur habe sich in den traditionsreichen Kolonien "ein spannender Mix aus verwurzelten Alt-Schrebern und hippen Jung-Gärtnern gebildet", schreiben die Autorinnen. "Über die Hecken und Zäune plaudern heute Lehrer, IT-Experten und Journalisten mit Bahnschaffnern, Sozialarbeitern oder pensionierten Krankenpflegern mit Migrationshintergrund. Und beileibe nicht alle haben sich ihren Garten nur der Kinder wegen zugelegt. Sie haben einfach: Lust auf Laube!"
In 20 Kapiteln werden Kleingärten und ihre Macher vorgestellt. Sie geben ein paar ganz private Tipps; und auch den Namen des jeweiligen Vereins erfährt man – und vielleicht entsteht daraus ein Wunsch – nur Mut! Der Leser lernt die Schöngeister Cüneyt und Tobi kennen und ihr Hamburger Kleinod mit Latte-Macchiato-Wiese, den Buddhisten Christian aus Berlin, bei dem selbstverständlich auch die Mücken ihre Daseinsberechtigung haben, oder die Kölner Freunde Gabi, Winni und Simonetta, deren "Fraktion Frohsinn" den Gartenverein aufmischt. Selbst Menschen, denen Gärtnern eigentlich ein Graus ist (besser: war), entdecken die Schrebergartenlust. Die Gärtner sind so unterschiedlich wie ihre Gärten: Des einen Glück sind Rosen, des anderen Kartoffeln. Manche zupfen mit Inbrunst Unkraut, während die Nachbarn lieber in der Hängematte liegen. Gisela und Peter ist die Selbstversorgung heilig, für Anja und Christian hingegen, dass sie in ihrem Garten frei und entspannt sind. Rikke und Daniel finden ihre Inspiration im dänischen Kommunen-Freistaat Christiania, Moritz und Miriam geben viel auf die Erfahrungen ihres benachbarten "Datschen-Opis". Alles eitel Sonnenschein? Das wäre am Schrebergarten-Leben vorbeigedacht, denn wer Nachbarn hat (und das oft ziemlich eng beieinander), der kann auch Zoff haben. So erhalten die "Paradiesvögel" Tina und Mike für ihr "Garten-Ufo" nicht nur Beifall, denn für manche ist die futuristische, ovale "Laube" eine Zumutung. Aber immerhin: Die per Bundeskleingartengesetz (sehr hübsch das Kürzel "BKleingG") erlaubten 24 Quadratmeter Fläche sind eingehalten – und ob die Wände nun gerade oder gebogen sind, ist schließlich nicht vorgeschrieben. Lücke im Gesetz? Hoffentlich entdeckt die keiner! Wir sind schließlich in Deutschland und berühmt-berüchtigt für unseren Paragraphen-Dschungel. Damit kann sich nicht jeder anfreunden. Wenn man sich also für einen Garten in einem Verein entscheidet, muss man wissen, dass da vieles gestattet, etliches geduldet und gar manches verboten ist. Zum Beispiel das Übernachten: § 3, Abs. 2 des BKleingG legt fest, dass eine Laube "in einfacher Ausführung" zulässig ist. "Sie darf nach ihrer Beschaffenheit, insbesondere nach ihrer Ausstattung und Einrichtung, nicht zum dauerhaften Wohnen geeignet sein." Das Gesetz aus dem Jahr 1983 kollidiert trotz einiger Überarbeitungen längst mit der Wirklichkeit, so dass inzwischen ein "Übernachten" (also kein "Wohnen") auch mal am Wochenende in den meisten Vereinen geduldet wird. Aber merke: Laube ist Laube und kein Ferienhaus! Zum großen Teil nicht betroffen von dieser Einschränkung sind Kleingärtner in den neuen Bundesländern, weil nach "Herstellung der Einheit Deutschlands" Übergangsregelungen geschaffen wurden. Die in der DDR bestehende Befugnis, Lauben "dauernd zu Wohnzwecken" zu nutzen, zumindest zeitweilig während des Urlaubs, der Ferien usw., bleibt unberührt (ein "angemessenes" Entgelt inklusive). Das gilt natürlich nur für die Alteingesessenen, neue Pächter mit neuen Verträgen haben das Nachsehen.
Doch die Geschichten in "Lust auf Laube" zeigen, dass das Leben auch in Schrebergärten anders verläuft als der Amtsschimmel wiehert. Die gezeigten Gartenhäuschen sind zumeist weit entfernt von "einfacher Ausführung" und laden regelrecht ein zum längeren Verweilen. Wo kein Kläger, da kein Richter... Es kommt immer auf die Vereine selbst (und die Vorsitzenden) an, wie eng oder weit Vorgaben ausgelegt werden. Bevor man Schrebergärtner wird, sollte man sich schlau machen: Was steht in den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen von Bund, Land und Kommune? Haben in dem Verein Freigeister oder Kleingeister das Sagen? Passe ich rein in diese Gemeinschaft? Und auch: Will ich wirklich Obst und Gemüse anbauen? Denn auch das ist Vorschrift in einem Kleingartenverein: Die kleingärtnerische Nutzung muss den Garten "wesentlich mitprägen". In den Pachtparzellen ist nämlich auf einem Drittel "kleingärtnerische Nutzung" Pflicht. Und das sind nicht Knallerbsensträucher und Rasen. Und was "Gartenpflege" bedeutet, liegt nicht allein im Auge des Pächters.
Dass Kleingärten nicht gleich kleinkariert sein müssen, zeigt auch die Geschichte des "sanften Vorsitzenden" Gurdip. Der gebürtige Inder mit deutschem Pass weiß, wie gut Integration und Toleranz tun. Als er und seine Familie 1995 den Zuschlag für den Garten erhielten, gab es unter den 26 Mitgliedern eine Polizisten-Clique, die gegen ihn stänkerte. Heute ist der pensionierte Krankenpfleger beliebter Chef seines Schrebergartenvereins in Berlin-Tempelhof – und das seit 17 Jahren! Nicht pingelig, sondern sehr geduldig; strenger sein, wie von vielen gewünscht, kann er nicht. "Wir sind hier eigentlich international", sagt Gurdip zufrieden, denn längst gehören kroatische, tschechische und türkische Pächter zu den Vereinsmitgliedern: Multikulti wie ganz Berlin.
Einsteins Laube steht noch
Besonders für Stadtmenschen bleibt der Kleingarten ein Refugium von unschätzbarem Wert. Im Buch berichten Pächter von Parzellen wie es ist, wenn ihnen das Glück des kleinen Grüns weggenommen wird, weil auf dem Gelände der Kleingartenkolonie eine neue Wohnsiedlung entsteht. Caroline Lahusen und Sylvia Doria haben selbst diese bittere Erfahrung machen müssen. Das Thema ist höchst aktuell, nicht nur in Hamburg. Im Berliner Stadtteil Marzahn (zurzeit ist dort die IGA beheimatet) sorgen sich die Mitglieder des Vereins "Sorgenfrei" um ihre Zukunft. Weil Berlins Baubranche boomt, könnten rund 3000 Berliner bis 2025 ihre Gärten verlieren. Für den Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG) ist die Umwandlung von Kleingarten- in Bauland keine Lösung für eine nachhaltige Stadtentwicklung, wie Mitte Mai auf dem 4. Bundeskongress der Kleingärtner in Berlin betont wurde. Es gehe nicht um Kleingärten oder Wohnungsbau, so BDG-Präsident Peter Paschke, eine ökologische und soziale Stadtentwicklung könne nur gemeinsam stattfinden. Eine Lösung sieht der BDG darin, ökologisch bewirtschaftete Kleingärten als Ausgleichsflächen anzuerkennen. Davon würden alle profitieren: Natur, Stadtplanung, Kleingärtner. Ausgleichsflächen müssen ausgewiesen werden, wenn durch Bebauung Flächen versiegelt werden. Ziel des BDG ist es ohnehin, dass Kleingärten generell ökologisch bewirtschaftet werden. Eine Studie des Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bescheinigt den Kleingärtnern hierbei einen deutlichen Vorsprung vor anderen Hobbygärtnern. Auch für die heutzutage als Avantgarde gefeierte Urban-Gardening-Bewegung dürfen Kleingärtner mit Fug und Recht als Vorreiter angesehen werden. Denn Urban Gardening ist nichts anderes als freie Flächen in der Stadt gemeinsam zu begrünen und zu beleben.
Kleingärten nehmen derzeit drei Prozent der gesamten Berliner Stadtfläche ein und machen die Stadt damit zum Spitzenreiter unter vergleichbaren Großstädten. Mit dem Bau-Boom (und nicht alles dauert ewig wie der BER) könnte sich das ändern Dabei fand schon Anfang der 20er Jahre kein Geringerer als Albert Einstein, dass geniale Gedanken kaum in der Hektik einer Großstadt gedeihen. Die Lösung des weltberühmten Physikers war auch damals schon eine Gartenlaube. Sie steht heute noch in der Spandauer Kolonie Bocksfelde (damals Boxfelde), äußerlich im Originalzustand, ist verpachtet und wird geliebt und gepflegt.
Das Buch "Lust auf Laube" ist die richtige Lektüre für alle, die Kleingärtner werden wollen; es regt an nachzumachen und setzt eigene Gedanken frei. Es ist darüber hinaus das richtige Mitbringsel zur Party, wenn’s bei Freunden geklappt hat mit dem Garten – und keiner weiß, wo man zuerst anfangen soll...
Quelle: ntv.de