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Hannelore Kohl: Ihr Leben und Leiden Der lange Weg in den Tod

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Bundeskanzler Helmut Kohl geht mit seiner Frau Hannelore 1998 zur Bundestagswahl in seinem Heimatort Oggersheim.

(Foto: picture alliance / dpa)

42 Jahre an der Seite des ewigen Kanzlers Kohl, nach einer privilegierten Kindheit, die im Chaos endet - ein Leben, fast zu viel für nur einen einzigen Menschen: Hannelore Kohl, ewig pflichtbewusst, ewig sich selbst verleugnend. Der Historiker Heribert Schwan taucht tief ein in ihr Leben, das in einer Überdosis Morphiumsulfat und Schlaftabletten endet.

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Das Buch ist bei Heyne erschienen und kostet 19,99 Euro.

Das Lächeln sitzt festgefroren in ihrem Gesicht, die Frisur scheint mit Beton fixiert, die Augen wirken seltsam leer – auch zehn Jahre nach ihrem Tod haben viele Hannelore Kohl so vor Augen. Die Frau, die 42 Jahre an der Seite des ewigen Kanzlers Kohl verbrachte, blieb selbst ein Schatten, kaum fassbar und seltsam unverständlich.

Heribert Schwan versucht in seiner Hannelore Kohl-Biographie "Die Frau an seiner Seite" dem Leben und Leiden der Kohl-Ehefrau nachzuspüren. Dazu ist der Historiker tief in die Archive eingetaucht und fördert vor allem über Hannelore Kohls frühe Jahre Erstaunliches zutage. Im Interview mit n-tv.de sagt Schwan, "für einen Historiker ist die Familiengeschichte der Renners viel interessanter als die der Kohls." Denn Hannelore ist zunächst einmal ein Kind der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Vater ist Parteigenosse, arbeitet in einem NS-Musterbetrieb und dreht an den Rädern des zweiten Weltkrieges mit. Auch die Mutter tritt in die Partei ein, sobald das zeitweilig geltende Aufnahmeverbot wieder aufgehoben ist. Hannelore wächst in einem großbürgerlichen Haus auf, in kaum vorstellbarem Reichtum. "Sie hatte alles, was man sich vorstellen kann, privaten Musikunterricht, privaten Turnunterricht, sie ging ins Theater, in die Oper. Die Familie hatte einen eigenen Bunker und ein luxuriöses Reisemobil."  Hannelore bekommt das neueste Spielzeug. Einmal lässt der Vater ein ganzes Zimmer zu einem begehbaren Puppenhaus umbauen. Wilhelm Renner fährt einen Rennwagen, geht auf die Jagd, und er liebt Hannelore abgöttisch.

Das Leben macht keine Kurve um Hannelore

Mit dem Ende der Nazi-Herrschaft endet dieses privilegierte Leben brutal. Hannelore muss als Elfjährige auf dem Bahnhof in Döbeln den sogenannten Bahnhofsdienst leisten. Das heißt, Verwundeten die Verbände wechseln, aber auch, die Leichen aus den Zügen räumen. "Sie erlebt furchtbare Bombenangriffe, wird schließlich gerade 12-jährig auf der Flucht von den Russen vergewaltigt. Nach 1945 erfährt sie den totalen gesellschaftlichen Absturz. Hannelore hungert und muss mit ansehen, dass sich der große Vater als Hilfsarbeiter verdingen muss."

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1975: Helmut Kohl, damals CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, macht mit seiner Ehefrau Hannelore und seinen Söhnen Peter (r) und Walter (l) Urlaub im österreichischen St. Gilgen.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Mutterstadt in der Pfalz, wo die Eltern des Vaters lebten, versucht die Familie den Neuanfang. Doch Hannelore ist tief traumatisiert, und wahrscheinlich ist sie das zeit ihres Lebens geblieben. "Zeitzeugen beschreiben sie, wie sie einsam und allein im Zug war, sich überhaupt nicht an den Spielen ihrer Mitschüler beteiligte. Eine Frau hat gesagt, sie habe in ihrem ganzen Leben nie ein so einsames und trauriges Kind gesehen, wie diese Hannelore im Zug von Mutterstadt nach Ludwigshafen."

Hannelore darf über das Erlebte nicht sprechen, noch immer gilt es, keine Gefühle zu zeigen und immer leistungsbereit zu sein. "Dieses Trauma der Vergewaltigung und darüber auch nie sprechen zu können, ist sie nie wieder losgeworden. Es könnte sogar sein, dass die Mutter da eine merkwürdige Rolle gespielt haben könnte, sie vielleicht nicht beschützt oder gar noch vorgeschickt hat." Das Verhältnis zur Mutter bleibt schwierig, ein Leben lang, auch wenn die Tochter kein Haus ohne Einliegerwohnung für Oma "Gogo" plant.

Helmut Kohl als Fels in der Brandung

Die Begegnung mit Helmut Kohl verspricht nach den armseligen bessere Zeiten. "Helmut Kohl war da, nicht nur körperlich, auch ein Fels in der Brandung." Hannelore Kohl widmet sich ganz der Familie, sie geht in der Rolle der Frau an seiner Seite auf. "Der Mann macht Politik, sie ist zuständig für die unpolitische Familie, die Kinder sollen normal werden, dabei war das normal gar nicht zu schaffen", sagt Schwan über diese Zeit. "Ich glaube, dass es eine große Liebe auf beiden Seiten war. Helmut Kohl war stolz auf seine gutaussehende Frau, blond mit einer tollen Figur. Sie sprach fließend englisch und französisch, er hat sie mit Sicherheit geliebt und sie ihn auch. Aber in 42 Ehejahren geht auch manches in die Brüche, das ist in anderen Ehen auch so. Sie war die Frau an der Seite des Mannes, der 16 Jahre Bundeskanzler, 25 Jahre CDU-Vorsitzender war – das war auch eine Ausnahmesituation. Da kann kaum jemand mitreden."

Manches erfährt seine Frau aus den Nachrichten

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Hannelore Kohl soll die Urlaube am Wolfgangsee gehasst haben. Sie wollte ans Meer.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Hannelore Kohl erlebt immer öfter, dass ihr Mann einfach ohne sie entscheidet. Manchmal erfährt sie aus den Nachrichten, dass sein Leben im Politikbetrieb immer weiter geht. Sie selbst will inzwischen nur noch raus aus dem Rampenlicht, funktioniert aber dann doch weiter. "Hannelore Kohl hat nie negativ über ihren Mann gesprochen, auch wenn sie im tiefsten Inneren sicherlich auch eine Menge Kritik hatte. Kohl, dieser Narziss und Machiavellist ließ ja auch keine Kritik zu, der wollte das nicht hören, dann hat sie das eingestellt."

Sie entlässt die Söhne nur schwer in ihre eigenen Leben und baut ihre Stiftung für Unfallverletzte mit Schäden des Zentralnervensystems auf. Doch sie wird das alte Trauma nicht los. Schwan zufolge unternimmt sie bereits 1993 einen Selbstmordversuch, was die Söhne allerdings in einem aktuellen Interview bestreiten. Das Weiterleben danach wird ihr zur Qual. Sie zieht sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück, offizielle Begründung ist eine Lichtallergie. Für Schwan ein Mythos. "Fakt ist, dass sie keine Lichtallergie hatte. Da sind sich die behandelnden Dermatologen einig. Nein, sie war schwer depressiv, und das haben die Ärzte auch schnell herausgefunden und versucht, sie zu überlisten, damit sie sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterzieht."

Die Spendenaffäre bringt sie letztlich um

Doch Hannelore Kohl verweigert sich. "Sie wollte sich nicht öffnen, sie hatte Angst davor, sie wollte kein Licht in ihre Seele lassen und von ihrer Vergewaltigung erzählen. Sie wollte ihre Ängste, ihre Ehekrisen, ihre Einsamkeit und ihr Verlassensein nicht vor einem Therapeuten aufblättern, weil sie befürchtete, das würde alles an die Öffentlichkeit gelangen." Sie stirbt an einer Überdosis Morphiumsulfat und Schlaftabletten. Sie hinterlässt wohlgeordnete Abschiedsbriefe an die Menschen, die ihr wichtig sind. Schwan ist sich sicher, dass die Spendenaffäre, in der sie ihrem Mann ein letztes Mal beigestanden hat, sie schließlich umgebracht hat.

Schwan zeichnet Hannelore Kohl als Kind ihrer Zeit, mit Verletzungen, die kaum ein Mensch verkraften kann. Er tut dies voller Mitgefühl, manchmal zu sehr mit dem Bedürfnis der Ehrenrettung. Die Kohl-Söhne sind nicht gut auf ihn zu sprechen und legen einen Fotoband über ihre Mutter vor. Es scheint, als sei das Bild der Hannelore Kohl noch lange nicht vollständig.

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Quelle: ntv.de

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