Der Fluch des zweiten Albums Hurts legen mit "Exile" nach
08.03.2013, 14:44 Uhr
Eintagsfliege oder Überflieger? Hurts.
(Foto: Sony Music)
Am Schluss sind sie sogar vor Erschöpfung auf der Bühne eingeschlafen. Touren, Interviews, TV-Auftritte - ihr Song "Wonderful Life" und das zugehörige Album "Happiness" katapultierten Hurts 2010 aus dem Stand auf den Pop-Olymp. Doch wer so weit oben ist, kann auch tief fallen.
Es war eine dieser Aschenputtel-Geschichten. Eine der Storys, in denen der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, Wirklichkeit geworden ist. Und das nicht etwa in den Vereinigten Staaten der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern in Großbritannien. "Todunglücklich und verzweifelt" seien sie gewesen, erinnerten sich Theo Hutchcraft und Adam Anderson 2011 im n-tv.de Interview. Ihre vorherigen Bands waren zerbrochen, sie beide hatten keine Jobs und keine Perspektive. Außer die, sich gemeinsam in einer kleinen Wohnung im schmuddeligen Manchester zu verbarrikadieren und an neuen Songs zu feilen.
Theo Hutchcraft (l.) und Adam Anderson - wie immer wie aus dem Herrenmode-Katalog.
(Foto: Sony Music)
Was dabei herauskam, ist bekannt. Unter dem Namen Hurts legte das Duo mit den Hits "Wonderful Life" und "Stay" sowie dem zugehörigen Album "Happiness" eine Blitzkarriere hin. Die Musik neu erfunden hatten die beiden mit Sicherheit nicht. Dennoch trafen ihr melancholischer und von den 80ern geschwängerter Synthie-Pop, ihre cool-kühlen Videos und ihr distinguierter Look mitten ins Herz des Publikums. Zumal in Deutschland, wo Klänge der Marke Depeche Mode und Co traditionell viele Anhänger hat.
Es folgte der übliche Marathon für Shootingstars - Interviews, Promo-Termine, Liveauftritte und Fernsehshows am laufenden Band. Bis November 2011 zogen Hurts von Land zu Land, um überall und immer wieder ihr noch spärliches Repertoire zum Besten zu geben. "Wir waren auf dem besten Weg, den Verstand zu verlieren", erinnert sich Hutchcraft an die Zeit. Das heißt, nein, so richtig erinnern kann er sich eigentlich nicht mehr. "Drei Gigs lang war ich überhaupt nicht bei Sinnen, hatte buchstäblich einen Blackout", sagt er. Unter anderem sei ein Auftritt in Innsbruck wie aus seinem Gedächtnis getilgt. Und auch sein Partner kann ähnliche Anekdoten beisteuern. "In Kiew bin ich während der Show eingeschlafen", gesteht Anderson.
Back to the roots?
An die Arbeit an Material für ein zweites Album war in dieser Zeit nicht zu denken. "Wir hatten versucht, während der Tour Songs zu schreiben, aber das erwies sich als Reinfall, absolut unmöglich, das haben wir einfach nicht hinbekommen", sagt Anderson. Doch ewig kann man im schnelllebigen Musikgeschäft nicht allein vom Ruhm des Debüts leben. Sich wie das Duo für den Nachfolger knapp zweieinhalb Jahre Zeit nehmen zu können, grenzt schon nahezu an Luxus.
Für die Arbeit an "Exile" sperrte sich das Duo erneut in eine Wohnung in Manchester ein.
(Foto: Sony Music)
A ls sie sich Ende 2011 schließlich dazu durchrangen, nun doch sämtliche Konzentration auf das neue Album zu verwenden, verzichteten Hurts indes auf jeden Luxus. Stattdessen zogen sie erneut in eine Wohnung in jener Straße in Manchester, in der sie sich bereits "Happiness" ausgedacht hatten. "Das war kein Fall von 'Ach, lass uns zu unseren Wurzeln zurückkehren' oder etwas in der Art. Es ging eher darum, dass wir keine Ahnung hatten, wie man anders arbeitet", erklärt Hutchcraft die Entscheidung.
Während räumlich die Kontinuität also durchaus gewünscht war, sollte es musikalisch hingegen eine Weiterentwicklung geben. "'Happiness' klang sehr kontrolliert und kalt. Dieses Mal wollten wir einen schmutzigeren, verschwommeneren und wilderen Sound", so Hutchcraft. Inspiriert worden seien sie dabei von Industrial-Musik und Bands der härteren elektronischen Gangart wie Nine Inch Nails. Das Ergebnis liegt nun mit dem Album "Exile" vor. Doch wird es den selbst gesteckten Zielen von Hurts gerecht? Und vor allem: Kann das Duo damit an den Erfolg von "Happiness" anschließen und beweisen, dass es nicht nur eine Eintagsfliege hoch über den Wolken war?
The journey continues
Eines vorneweg: Hutchcraft und Anderson haben ihr Gespür für geschmeidige Pop-Schmachtfetzen nicht verloren. Vor allem bei den getrageneren Songs in der zweiten Albumhälfte wie "The Crow" oder "Somebody To Die For" darf zu den Klängen von Marschtrommeln und synthetischen Streichern wieder knietief im Pathos gewatet werden. Und selbstverständlich auch, wenn Mister Elton John als Gastmusiker bei "Help" höchstpersönlich in die Tasten greift.
Doch tatsächlich schleichen sich an vielen anderen Stellen des Albums auch ruppigere Töne ein. Die erste Single-Auskopplung "The Road" oder aber das stampfende "Cupid" atmen fürwahr einen Hauch der Nine Inch Nails. Und der sogenannten "Electronic Body Music" (EBM) der 80er. Auf ihrer Reise in die Vergangenheit, die Hurts schon auf "Happiness" zu New Order, den Pet Shop Boys oder Ultravox geführt hatte, hat das Duo nun sein nächstes Ziel erreicht, das ein wenig weiter weg vom Mainstream liegt. Bei Stücken wie dem Titelsong "Exile" oder "Mercy" schwingt sich der Mix aus süßen Synthies, sakralen Chören, wummernden Beats und Hutchersons exaltiertem Gesang schließlich zu Höhen auf, die einen an die jüngsten Veröffentlichungen von Muse erinnern.
Mit der Mitsing-Hymne "Miracle" und dem inklusive Kinderchor vor sich hin groovenden "Sandman" bietet das Album zudem mindestens zwei Songs, die es allemal wieder in die Heavy Rotation der Radiosender schaffen dürften. Nein, die Musik neu erfunden haben Hurts auch mit "Exile" ganz bestimmt nicht. Dennoch ist ihnen ein würdiger Nachfolger zu "Happiness" geglückt. Einer, der abermals den Spagat zwischen ganz unterschiedlichen Hörerschichten schafft - vom Popper bis zum Gruftie.
Quelle: ntv.de