Saddam war gestern Wenn Borat zum Diktator wird
17.05.2012, 09:28 Uhr
Sehen so Tyrannen aus? Der Diktator (Sacha Baron Cohen) und sein Gefolge.
(Foto: REUTERS)
Mit fiktiven Dokumentationen wurde der Komiker Sacha Baron Cohen zum Kultstar. Nun versucht er sich wieder einmal in einem Spielfilm - und schwingt sich dafür gleich zum "Diktator" auf. Was wohl Borat dazu sagen würde?
Borat und Brüno haben uns Szenen geschenkt, die unvergesslich sind. Etwa die, als der kasachische Reporter auf seinem Trip für die "kulturelle Lernung von Amerika" in einer voll besetzten Rodeo-Arena im US-Staat Virginia die umgetextete US-amerikanische Nationalhymne anstimmte und sich damit beinahe der Lynchjustiz aussetzte. Oder die, in der der schwule österreichische Modejournalist einen Hellseher aufsuchte, um mit dem verstorbenen Rob Pilatus von Milli Vanilli im Jenseits in Kontakt zu treten. Während Brüno pantomimisch den Oralverkehr mit dem imaginär vorhandenen Sänger vollführte, blieben einem als Zuschauer eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man lag vor Lachen auf dem Boden oder man versank in ihm vor lauter Fremdscham.
Borat und Brüno - beide waren natürlich Geschöpfe des Komikers Sacha Baron Cohen. Mit seinen überzeichneten Figuren schuf der heute 40-Jährige so etwas wie die britisch-derbe Variante von Hape Kerkeling und Christian Ulmen. Anders als Horst Schlämmer oder "mein neuer Freund" hatten Baron Cohens Charaktere jedoch auch weit über die nationalen Landesgrenzen hinaus Erfolg. Borat etwa war in den USA geradezu ein Straßenfeger. So schwang sich der Brite binnen kürzester Zeit zum weltweit bekanntesten Vertreter des Genres so genannter Mockumentarys auf - der oftmals ziemlich undurschaubaren Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm-Elementen. Was genau wirklich Situationskomik ist und was inszeniert, bleibt für den Zuschauer schließlich im Dunkeln.
Anders ist dies bei Baron Cohens neuestem Werk "Der Diktator". Zweifellos wäre es reizvoll gewesen, die (scheinbar) echten Reaktionen von Menschen auf das Auftreten dieser Figur zu erleben. Doch weil der von dem Komiker in dem Film verkörperte Admiral General Aladeen aus der fiktiven nordafrikanischen Republik Wadiya anders als Borat und Brüno kein (angeblicher) Normalbürger ist, wäre dies wohl kaum umsetzbar gewesen. So ist "Der Diktator" zum reinen Spielfilm geraten. Zu einer Komödie, die eher in der Tradition von Baron Cohens erstem großen Leinwand-Auftritt in Form von "Ali G In Da House" 2002 steht als in der von Borat und Brüno. Zu einem durchgehend auf Drehbuch basierenden Slapstick-Streifen also, der leider ganz ähnliche Defizite wie der Kino-Ausflug von Ali G aufweist.
"Junge oder Abtreibung"
Doch erst einmal: Worum geht es? Aladeen ist ein Diktator wie er nicht nur im Bilderbuch steht - skrupellos, selbstverliebt und größenwahnsinnig. Optisch erinnert Baron Cohen mit seinem nur allzu erkennbar angeklebten Bart ein wenig an Saddam Hussein, als er aus dem Erdloch kroch. Aladeens vordringliche Mission indes verweist unverhohlen auf Irans amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad - er arbeitet an einem Atomprogramm mit dem geheimen Ziel, eine Bombe zu bauen. Weil ihm das Ausland auf die Schliche zu kommen und mit einem Eingreifen droht, reist der Machthaber nach New York. Vor den Vereinten Nationen will er sich erklären.
Aber die Reise verläuft anders als von ihm geplant. Seine regimeinternen Widersacher unter Führung seines Onkels Tamir (Ben Kingsley), die eine Demokratisierung ihres Landes anstreben, entführen den Diktator. Ersetzt wird er durch einen trotteligen Doppelgänger, der sich bis dahin nur mit den von ihm gehüteten Ziegen auskannte. Dieser soll vor den Augen der Welt eine neue Verfassung für Wadiya in Kraft setzen. Doch dem echten Aladeen gelingt die Flucht. Unterschlupf findet der nicht gerade als Frauenversteher durchgehende Despot, der sich bei einer Geburt schon mal fragt, ob es "einen Jungen oder eine Abtreibung" geben wird, ausgerechnet im Öko-Laden der burschikosen Hardcore-Emanze Zoey (Anna Faris) mit Hang zu Achselhaaren. Von hier aus plant er, den Doppelgänger zu enttarnen und die Macht wieder an sich zu reißen. Noch bleiben ihm wenige Tage Zeit bis zu der von seinen Gegnern angekündigten Verfassungszeremonie. Wird er sein Land vor der Demokratie bewahren können?
Der kleine Diktator
Die Filmemacher berufen sich bei ihrer Geschichte auf den Roman "Zabiba und der König" - eine angeblich auf Saddam Hussein zurückgehende Liebesromanze mit politischen Botschaften im Subtext. Doch wie alles bei "Der Diktator" sollte man dies nicht allzu ernst nehmen. Schon eher lassen sich da definitiv nicht unbeabsichtigte Parallelen zu Charlie Chaplins Meisterwerk "Der große Diktator" ausmachen - auch in Chaplins Hitler-Persiflage wird der Despot schließlich durch einen Doppelgänger ersetzt, der seine Chance nutzt, um die Abkehr von der Tyrannei zu propagieren.
Doch trotz dieser inhaltlichen Schnittmenge - Baron Cohen ist nicht Chaplin. Dafür gleitet sein Streifen - wie auch schon "Ali G In Da House" - zu oft in plumpen Klamauk ab. Nur auf den ersten Blick ist es dabei ein Vorteil für Baron Cohen, dass man heutzutage wesentlich unbefangener auf der Klaviatur längst gefallener Schmerzgrenzen bei der "Political Correctness" spielen kann als noch zu Chaplins Zeiten. Schon auf den zweiten Blick aber wird klar, dass eine Eindringlichkeit und Tiefe, wie sie das grandiose Vorbild beim Zuschauer einbrennt, so nie und nimmer zu erreichen ist. Baron Cohen wird das wissen - und stellt sich schon beim Titel von "Der Diktator" freiwillig hinter "Der große Diktator" an.
Wenn nicht mal der Brite selbst ernsthaft den Vergleich anstrebt, ist es natürlich an sich gleich doppelt sinnlos, sein Gag-Feuerwerk an Chaplins Klassiker zu messen. Nur: Bei aller Blödelei beschleicht einen durchaus das Gefühl, dass auch Baron Cohen dem Publikum gern ein paar gut gemeinte Botschaften mit auf den Weg geben würde. Dabei ist er natürlich clever genug, die Welt nicht in Schwarz-Weiß zu pinseln. Im Gegenteil: Am Ende erscheint "Der Diktator" schon fast eher wie eine Abrechnung mit den USA als mit den Despoten dieser Welt. Eine Abrechnung mit den Mitteln des Komikers Baron Cohen im Schauspielergewand. Die aber sind tatsächlich um einiges begrenzter als die Mittel seiner vorherigen Figuren, die das jeweilige Gegenüber dazu bringen konnten, sich von ganz allein zu entlarven. Borat und Brüno - wo seid ihr?
"Der Diktator" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de