"#Zeitgeist" Wer hat Angst vorm Internet?
11.12.2014, 10:27 Uhr
Donna (l.) schiebt die Modelkarriere ihrer Tochter an - mit fragwürdigen Fotos.
(Foto: 2014 Paramount Pictures. All Rights Reserved.)
Ein Vater holt sich am Computer des Sohnes einen runter. Eine Mutter veröffentlicht aufreizende Bilder ihrer Tochter. Ein Sohn verliert sich in Onlinespielen. Das Internet ist böse. Oder? "#Zeitgeist" von Jason Reitman ist da wohl einem Klischee aufgesessen.
Zeitgeist - der Geist einer Epoche. Was macht unser derzeitiges Leben aus? Was ist uns wichtig? Welche Ideen und Ideale werden überdauern? Regisseur Jason Reitman behandelt in seinen Filmen oft aktuelle gesellschaftliche Themen. In "Thank You for Smoking" ist es das Treiben von Lobbyisten, in "Juno" geht es um einen schwangeren Teenager, in "Up in the Air" um moderne Arbeitsprozesse, in "Young Adult" um eine Frau, die nicht erwachsen werden will.

Bei Helen und Don kriselt's. An den Tablets im Bett dürfte das aber nicht liegen.
(Foto: 2014 Paramount Pictures. All Rights Reserved.)
In seinem neuen Film seziert Reitman nun das moderne Familienleben. "Men Women & Children" heißt der Film passend im Original. Hierzulande bekommt er den etwas hochtrabenden Titel "#Zeitgeist" verpasst. Der Hashtag verweist darauf, wo der heutige Zeitgeist vermutet wird: im Internet und in den sozialen Medien. Regisseur, Autor und Produzent Reitman untersucht deren Auswirkungen auf soziale Strukturen und auf Teenager.
Ein Experiment namens Leben
"#Zeitgeist" folgt mehreren Familien, die in einer Vorstadt von Austin leben. Vater Don (Adam Sandler) etwa masturbiert am Computer seines Sohnes, weil sein eigener kaputt ist. Seine Ehe mit Helen (Rosemarie DeWitt) kriselt, beide gehen fremd. Ihr Sohn Chris (Travis Tope) macht derweil erste sexuelle Erfahrungen mit der ebenso unerfahrenen Hannah (Olivia Crocicchia). Deren Mutter Donna (Judy Greer) treibt Hannahs Modelkarriere voran, wofür sie auch freizügige Fotos der minderjährigen Tochter ins Internet stellt.
Außerdem bändelt Donna mit Kent (Dean Norris) an, der von seiner Frau verlassen wurde. Sein Sohn Tim (Ansel Elgort), der mit dem Weggang der Mutter nicht klarkommt, verlässt sein Highschool-Football-Team, verkriecht sich in seinem Zimmer und spielt Online-Videospiele. Dann verguckt er sich in Brandy (Kaitlyn Dever), die von ihrer Mutter (Jennifer Garner) totalüberwacht wird - sie kontrolliert Aufenthaltsort, SMS, Mails und Facebook-Aktivitäten der Tochter, aus Angst vor der digitalen Welt. Allison (Elena Kampouris) schließlich kämpft mit der Magersucht.

Patricia überwacht ihre Tochter auf Schritt und Tritt.
(Foto: 2014 Paramount Pictures. All Rights Reserved.)
Wie ein Versuchslabor erscheinen diese Konstellationen. Aus dem Off kommentiert eine Stimme das Leben der Protagonisten und ihre Gefühle. Als wären die Männer, Frauen und Kinder Teil eines wissenschaftlichen Experiments, das die Auswirkungen von Smartphone und Co. erforscht. So sieht man auch, wer was in Smartphones tippt, simst oder tweetet. Herrlich sarkastisch etwa ist eine Szene, in der sich drei Schulfreundinnen gegenseitig Komplimente machen, gleichzeitig aber über ihr Smartphone Gehässigkeiten übereinander austauschen.
Reitman seziert die reale und die virtuelle Welt, stellt sie immer wieder gegenüber. Gerade in der ersten Hälfte des Films gelingen ihm so interessante Beobachtungen über unsere schöne digitale Welt. Hannah, die mit den freizügigen Fotos im Internet, und Chris, der dort regelmäßig Pornos schaut, werden wieder zu Teenagern, als sie zusammen im Bett landen. Man sieht hilflose Eltern, die im Umgang mit neuen Medien viel unerfahrener sind als ihre Kinder - und deshalb die meisten Fehler machen.
Der Biss geht verloren
Das Problem ist allerdings, dass Reitman ein sehr einseitiges Bild zeichnet. Internet und soziale Medien sind stets unmenschliche Monstren: Über Chats werden Gemeinheiten ausgetauscht, auf Facebook wird gelästert und wer Computerspiele spielt, wird süchtig und kapselt sich von den anderen ab. Dass die digitale Welt zahlreiche Errungenschaften mit sich gebracht hat, fällt glatt unter den Tisch. Stattdessen spielt Reitman Internet und Realität gegeneinander aus und tappt dabei in die Klischeefalle.
Da verwundert es auch nicht, dass nach und nach der gesellschaftliche Kommentar auf die digitale Welt in den Hintergrund rückt. Umso mehr geht es um menschliche Dramen, um zerrüttete Ehen und Konflikte zwischen den Generationen. Vor allem Brandy und Tim rücken in den Mittelpunkt - auch dank der beiden sehr überzeugenden Darsteller (Elgort spielte bereits eine Hauptrolle in "Das Schicksal ist ein mieser Verräter"). Zwischen Überwachungswut und Videospielen, zwischen sozialen Medien und Einsamkeit verlieben sie sich.
Das Drama um die beiden Jugendlichen und ihren Kampf um ihre Beziehung funktioniert zwar wunderbar, bringt sehr zärtliche Szenen hervor und ist auch sehr schön anzuschauen. Doch der Themenwechsel zerreißt den Film in zwei Hälften. Er verliert damit nicht nur seinen roten Faden, sondern auch seinen Biss. Die multimedialen Spielereien, die den Anfang des Films dominierten, tauchen kaum noch auf, sie geben nur noch ein Hintergrundrauschen ab.
"#Zeitgeist" hat einen guten Ansatz: Den oft unverhältnismäßigen Umgang mit neuen Medien zu karikieren und zu zeigen, was sie aus den zwischenmenschlichen Beziehungen machen. Nur fällt das Fazit reichlich banal aus: Es gibt auch noch eine Welt da draußen. Dabei haben die Probleme, die das Internet hier aufwirft, ihren Ursprung ganz woanders: Wenn Ehepartner über Datingportale fremdgehen, stimmt offenbar generell etwas in ihrer Beziehung nicht. Wenn der Sohn sich in Videospielen verliert, dann auch deshalb, weil sein Vater unfähig ist, über den Weggang der Mutter zu sprechen. So zeigt sich, dass der deutsche Filmtitel in die Irre führt. Tatsächlich geht es einfach - wie der Originaltitel verspricht - um Männer, Frauen und Kinder.
"#Zeitgeist" läuft ab dem 11. Dezember in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de