Hörbücher

Harlan Coben testet aus Kann ein reicher Arsch Sympathieträger sein?

Ein stinkreicher Kotzbrocken als Bestseller-Held? In einer Welt, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, ist das eine durchaus polarisierende Idee.

Ein stinkreicher Kotzbrocken als Bestseller-Held? In einer Welt, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, ist das eine durchaus polarisierende Idee.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Bestseller funktionieren, weil der Leser mit der Hauptfigur mitfiebert, für ein paar Stunden zu ihr wird. Bei Hörbüchern ist das nicht anders. Aber Harlan Cobens neuestes Werk "Nichts bleibt begraben" stellt die Fans auf eine sehr harte Geduldsprobe.

Win hat blonde Locken und seine Haut eine vornehme Blässe, die in den Augen der meisten Frauen attraktiv erscheint. Win ist auch hyperintelligent und supersportlich. Sein Körper ist gestählt, seine Muskeln ausdauernd. Kurzum: Er sieht nicht nur aus wie ein Superheld, er könnte schlichtweg einer sein. Könnte, denn ein Superheld wird von den meisten geliebt, ja sogar verehrt. Und genau da liegt der Hund bei Win begraben.

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Win heißt mit vollem Namen Windsor Horne Lockwood III. - und die meisten Menschen lieben und verehren ihn nicht, sie verabscheuen ihn: "Sie sehen die flachsblonden Locken, den rötlichen Teint, die porzellanen Gesichtszüge, meine hochmütige Miene. Sie wittern den unvermeidlichen Gestank alten Geldes, den ich unablässig verströme und halten mich für einen selbstgefälligen, hochnäsigen, elitären, faulen, voreingenommenen Taugenichts, der seinen Reichtum nicht verdient hat - und nicht nur mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, sondern auch noch ein 48-teiliges Silberbesteck mit Titan-Steakmessern in die Wiege gelegt bekommen hatte."

Diese Selbstreflektion Wins, für den selbst die FDP ihre Absage an eine Vermögenssteuer noch einmal überdenken würde, macht deutlich: Sympathisch ist anders. Aber genau darin liegt auch die Anziehungskraft von Wins Figur: Er kann sich Sachen erlauben, für die man als Otto Normalverbraucher jahrelang hinter Gitter landet. Laut Win ist das nämlich so: "Altes Geld" landet nicht im Gefängnis, "altes Geld" kann sich aus allem freikaufen. Und das spielt Win bei dem Versuch, eine alte Familientragödie aufzuklären, in die Hände.

Win-Win-Situation

Harlan Coben

Harlan Coben

(Foto: © Claudio Marinesco)

Vor mehr als zwei Jahrzehnten wurde Wins Cousine Patricia bei einem Raubüberfall entführt, vergewaltigt, schwer missbraucht und entkam nur mit viel Glück. Ihre Peiniger wurden nie gefasst. Auch die zwei damals verschwundenen Gemälde, ein Vermeer und ein Picasso, wurden nicht wiedergefunden. Dann taucht eines der Bilder bei einem Toten in einem New Yorker Apartment auf. Der Tote ist kein Unbekannter, er gehörte einst zu einer Gruppe Linker, die für einen Molotowcocktail-Anschlag verantwortlich zeichneten, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen, darunter auch die Tochter eines Mafiabosses.

Wins Neugier ist geweckt und so begibt sich der arrogante Schönling auf die Suche nach Antworten auf die Frage: Was hatte das Millionen Dollar schwere Gemälde im Apartment des Terroristen zu suchen? Win will der Sache auf den Grund gehen, Licht ins Dunkel bringen und muss dafür auch in die Geschichte und Geschichten seiner eigenen Familie eintauchen, die ein düsteres Geheimnis zu verbergen sucht.

Grenzwertig, aber effizient

Harlan Cobens neuer Bestseller "Nichts bleibt begraben" lebt von der Hauptfigur Win, von ihren Ecken und Kanten, von ihren durch und durch unsympathischen Zügen. Als Hörer des im Hörverlag erschienen Audiobooks dauert es, bis man sich daran gewöhnt hat, dass der "Held" in diesem Buch so ganz unheldenhaft auftritt. Klar, zu Beginn prügelt er einen Stalker so windelweich, dass dessen Leben nicht mehr lebenswert ist. Hier denkt der Hörer vielleicht noch: Gute Tat, hat der verdient.

Harlan Coben

Harlan Coben, geboren 1962 in New Jersey, studierte Politikwissenschaft und arbeitete danach in der Tourismusbranche, ehe er Schriftsteller wurde. Seine Thriller wurden bisher in 45 Sprachen übersetzt. Sie sind allesamt Bestseller. Coben wurde mit allen drei bedeutendsten US-Krimipreisen ausgezeichnet, dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award.

Danach obsiegt der Zwiespalt: Win setzt seinen Reichtum als Druckmittel ein, droht damit, Menschen psychisch zu zerstören, ihnen alles wegzunehmen, nur um an die eine, alles entscheidende Information zu gelangen. Er kokettiert offen damit, dass er alles machen kann, was er will, denn er ist reich und damit steht er über den normalen Bürgern. Eine Bestechung hier, eine dort - und schon läuft der Laden. Zwischendurch noch ein sexuelles Abenteuer in der Highest Society New Yorks. So lässt es sich leben.

Aber wenn sich Win etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er das auch durch. Gnadenlos. Ohne moralischen Kompass. Nur das Ziel zählt, der Weg dahin ist egal. Das stößt dem Hörer immer wieder sauer auf, auch wenn Coben Win seine Art und Vorgehensweisen häufig reflektieren lässt und so versucht, vielleicht doch etwas Sympathie für ihn zu wecken. Lediglich wenn Win und seine Tochter Emma zusammentreffen, gelingt das. Die Jugendliche - Erscheinungsbild Gruftie - lässt Win menschlich werden. Doch schon die Tatsache, dass Win sie bislang auf Distanz hält, sie am liebsten gar nicht gehabt hätte, lässt die Sympathiewerte wieder in den Keller rauschen.

Aber die Figur des Win ist eben auch dadurch gerade interessant. Als Hörer stößt man sich an seiner Person, seinen Wesenszügen. Das wird noch dadurch verstärkt, dass Detlef Bierstedt, die deutsche Synchronstimme von George Clooney, als Hörbuchsprecher fungiert und Wins hochnäsige Art perfekt wiedergibt. "Nichts bleibt begraben" ist ein spezieller Thriller, ein Psychogramm eines Psychopathen, der es sich leisten kann, dieser zu sein. "American Psycho" lässt grüßen. Aber Cobens Werk ist auch ein Krimi mit einer komplexen Story, mehreren Handlungssträngen und einigen überraschenden Wendungen. "Nichts bleibt begraben" ist wie Win selbst: grenzwertig in der Wahl der Mittel, aber effizient, was Spannung und Pageturner-Faktor angeht.

Quelle: ntv.de

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