Musik

Stefan Gwildis dreht sich "Doppelhaushälftenfrau meets BoFrost-Mann"

Hat seine Träume anscheinend nicht verloren: Stefan Gwildis.

Hat seine Träume anscheinend nicht verloren: Stefan Gwildis.

(Foto: Sandra_Ludewig)

Stefan Gwildis steht im Wald - aber so gar nicht still und stumm. Da geht er gerne hin, um Kraft zu tanken. Merkwürdigerweise sprechen wir zuerst über den Tod, weil an dem Tag des Interviews eine bekannte Persönlichkeit gestorben ist. Das war’s aber auch schon an Morbidem, ansonsten verläuft das Gespräch sehr lebendig. Anfang 2016 geht der Hamburger mit der sanften Stimme und den guten Mitsing-Songs auf Tour durch Deutschland. n-tv.de verriet Gwildis, wie er vom Saatgutausfahrer und Sonnenbankaufsteller zu einem der erfolgreichsten deutschen Interpreten wurde.

n-tv.de:  Herr Gwildis, …

Stefan Gwildis: Entschuldigung, nochmal kurz zum Thema Tod: Ich habe eine Bekannte, die beruflich sehr viel mit dem Tod zu tun hat – da frage ich mich schon, was das und dieser ganze Wahnsinn auf der Welt mit einem Menschen anstellen können, wenn man ständig damit konfrontiert wird.

Kommt mir bekannt vor, also "der Wahnsinn der Welt" …

Wenn man dem entfliehen will, gibt es aber Methoden, da rauszukommen. Ein anderer Bekannter teilt sich sein Leben in "zwei Drittel Arbeit, ein Drittel Urlaub" ein. Da muss man ein bisschen bescheidener auftreten, aber es geht.

Klingt gut. Aber dann kommen wir jetzt zu den schönen Dingen, zu Ihrem neuen Album und der Tour.

Ja, gleich (lacht). Es geht mir vor allem darum, dass man in neue Situationen kommt, in denen man sich selbst begreift. Und es muss möglich sein, wenn man sich dann doch mal verloren hat, selbst wieder zu finden und zu begreifen.

Das machen Sie im Wald, oder? Nicht am Meer?

Nur der Wandel hat Bestand, das wusste bereits Goethe (lacht). Das ist so schnell daher gesagt, aber in der Natur begreift man vieles viel besser. Im Wald sieht man den Prozess von Werden und Vergehen noch viel deutlicher, man kann sich besser einordnen. Und bekommt mit, dass man nun ein Teil der Natur ist und nicht der Nabel der Welt. Das finde ich total versöhnlich und schön.

Dann haben Sie auch keine Probleme mit dem Älterwerden? Ich meine, das aus Ihren Texten herauszuhören.

Richtig, es gehört doch dazu. Die verschiedenen Phasen wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind etwas immer Wiederkehrendes und doch nie gleich. Ein Song heißt "Da wo wir hingehen", das ist nämlich die Frage: was passiert, wenn das Herz nicht mehr schlägt und der Körper nicht mehr will? Wo gehen wir hin? Inspiriert hat mich die Mutter eines Freundes, die über 90 ist und an Demenz leidet. Ihr ganzes Leben hat sie der Bibel vertraut, aber jetzt fängt sie an zu zweifeln und fragt ganz viel, wie sieht es aus, da wo wir hingehen. Eine riesige Frage.

Er singt für Gott und die Welt und seine Süße ...

Er singt für Gott und die Welt und seine Süße ...

Absolut berechtigte Frage, und keiner kann es so wirklich beantworten. Im Song "Zu dir" geht es auch ganz ruhig zu. Für wen ist der?

Oha, das kann man im doppelten Sinne sehen. Auf der einen Seite ist der für meine Süße (lacht), aber es geht auch um die Liebe im Großen und Ganzen. Auch um die Liebe, die man für sich selbst empfindet oder auch für den Rest der Welt. Um die Empathie, die überall mitschwingen sollte. Es geht darum, sich zu besinnen. Noch eine Sache zu "Da wo wir hingehen": ich mache seit Jahren autogenes Training. Und als ich mal in Amerika war, lernte ich einen Gefängnispsychologen kennen, der mir eine Meditationstechnik beibrachte, "Deep Muscle Relaxation" und noch was, das ich nicht mehr so gut erinnere (lacht). Ich weiß nur noch, dass ich am See mit ihm saß, wir uns sehr entspannten, und dass ich quasi meinen Körper verlassen habe, als ob ein Kran mich zog, es ging immer höher. Ich sah die Bäume, den See, das gegenüberliegende Dorf. Diese außerkörperliche Erfahrung ist sehr entscheidend und wichtig für mich und wer weiß, ob das nicht auch so ist, wenn das Herz nicht mehr mag. Ich stell' mir vor, dass man auf eine Art Wanderschaft geht, dass zumindest die Seele aus dem Körper wandert. Vielleicht ist der Tod also nur der Übergang in eine neue Zeit oder die Geburt in eine neue Zeit.  

Wie alt waren Sie da?

So Mitte 30. Und seitdem bin ich viel entspannter mit dem Thema.

Waren Sie als Kind ein Zappel-Phillip?

Nö, ich war ein ganz entspannter Bursche, weil ich immer viel mit der Natur zu tun hatte, denke ich.

Ihre Texte sind gerne aussagekräftig, textlastig, deutsch. Wie finden Sie denn den "Trend", dass deutsch wieder so angesagt ist?

Das finde ich wunderbar, aber ich weiß gar nicht, ob ich das einen "Trend" nennen würde. Die deutschsprachige "Landschaft" brauchte ja eine lange Zeit, um sich von der Nazi-Keule zu erholen, da sind ja so viele Köpfe gerollt: Menschen wie Kästner, Ringelnatz oder Morgenstern, Brecht oder Dadaisten wie Schwitters. Wie reich waren wir an Menschen, die sich in dieser Sprache ausgedrückt haben? Und wie schwer war es nach dem Krieg, da wieder anzuknüpfen? Der Kreis lässt sich zum Beispiel so schließen: Kurt Schwitters Gedicht "An Anna Blume", wo er feststellte, dass sich A-N-N-A von vorne wie von hinten lesen ließ. Das griff so Mitte der Neunzigerjahre die Gruppe Freundeskreis auf - und da nahm das wieder Fahrt auf mit der deutschen Sprache, finde ich. Mir wurde früher oft gesagt: Deine Musik ist ja ganz cool, aber auf Deutsch, muss das denn sein? Aber für mich liegt das nah.

Sie haben damals englischsprachige Hits auf deutsch gesungen, nicht wortwörtlich übersetzt, aber angelehnt: nun sind alles neue, eigene Kompositionen.

Ja, eigene Geschichten. Früher habe ich einfach gerne Lieder gesungen von Menschen, die ich sehr verehre, Soul-Klassiker, die auch abseits der Bühne was zu sagen haben. Aber mittlerweile hat sich so viel aufgestaut, dass das eben auch mal raus muss.

"Handvoll Liebe" ist ein Rezept zum entspannten Miteinander. Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass das funktionieren kann?

Es ist kein Rezept, glaub ich, es ist eher der einzige Weg, wie funktionieren kann, dass Religionen miteinander klarkommen, Homos und Heteros, Farbige und Weiße. Unsere Welt wächst glücklicherweise immer mehr zusammen, auch wenn es viele Störfaktoren gibt. Aber: Das wird hier gehen müssen! Ich seh' das eher wie so eine Art Hausordnung, und zwar eine, die für alle gilt! Das klingt zwar spießig, ist aber gar nicht spießig gemeint. Ein Bursche, mit dem ich mal im Hamburger Hafen zusammen gearbeitet habe, meinte mal: "Macht doch einfach, wie ihr meint, aber geht den anderen nicht auf den Sack, dann kommen wir schon miteinander aus."

Ganz anderes Thema: "Doppelhaushälftenherz" - das ist der Bankrott der glücklichen Familie, oder? Mädchen träumt von Prinz, Prinz kommt angeritten, ein Haus wird gebaut, Hund gekauft, Kinder gekriegt, und sie lebten glücklich bis an ihr Ende. Das war der Plan - so sieht's aber meist nicht aus ...

Einfach mal Pollerhocken - das chillt gewaltig!

Einfach mal Pollerhocken - das chillt gewaltig!

Leider, dieser Traum wird so kaum mehr stattfinden. Da kommt immer was dazwischen. Sie kriegt 'nen dicken Arsch, er hat was mit der Sekretärin - und letzten Endes haben beide den Glauben an ihre Träume, vor allem ihre gemeinsamen Träume, verloren. Und die Dinge, die man aneinander geliebt hat, die sind oft verloren gegangen im Lauf der Jahre, jeder wird in seine Rolle reingezwängt, und das ist so ein Trend. In den Siebzigerjahren war das Emanzipatorische ganz weit vorne, und heute werden wieder Rollen eingenommen, als wäre nie was gewesen. Das kann doch nicht angehen! (lacht) Den anderen einfach mal so lassen, das kann doch nicht nur so Typen wie Helmut und Loki Schmidt gelingen ... Ich versuch' jedenfalls immer, das in einen lockeren, witzigen Kontext zu setzen.

Die Doppelhaushälftenfrau, die einzig und allein vom Speckgürtellieferanten-BoFrost-Mann verstanden wird, wird das nicht witzig finden ...

Dann wird sie eben wachgerüttelt ... Ich weiß wie das ist, wenn man irgendwo mal klingelt, ich hab' auch mal Sachen ausgefahren.

Die Dame des Hauses öffnet im Morgenmantel die Tür ...

Genau! Man wird zum Voyeur, ganz klar (lacht).

Sie waren ja auch schon Weihnachtsmann und Sonnenbankaufsteller - inzwischen geht es aber ohne Nebenjobs, oder?

Ja, im bescheidenen Maße, aber alles gut. (lacht)

Letzte Frage für alle Nicht-Hamburger: Was ist Pollerhocken?

(lacht) Einfach mal ausprobieren: An den Hamburger Hafen gehen, am besten Brücke 12, auf den Poller hocken und Schiffe gucken. Und die Schnauze halten. Das ist eine tiefschürfende Meditationstechnik!

Mit Stefan Gwildis sprach Sabine Oelmann

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Stefan Gwildis nimmt zusammen mit "Tatort"-Kommissar Dietmar Bär passend zur aktuellen politischen Lage den Song "Handvoll Liebe" erneut auf.

Von Februar bis März 2016 ist Stefan Gwildis auf Tour.

Quelle: ntv.de

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