Mehr als jeder Zehnte krank Beispiellose Krankheitswelle erfasst Deutschland
15.12.2022, 22:13 Uhr
Heftige Infektionswelle mit mehreren Erregern: Influenza und RSV gefährden Kleinkinder, Alte und Geschwächte.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im dritten Pandemie-Winter erlebt Deutschland eine beispiellose Krankheitswelle. RKI-Daten zeigen: Die Zahl der Atemwegsinfekte liegt bereits zu Beginn der kalten Jahreszeit weit über den saisonüblichen Ausmaßen. Corona spielt dabei aber eine Nebenrolle.
Volle Hausarztpraxen, halbleere Büros, katastrophale Zustände in den Krankenhäusern: Die aktuelle Erkrankungswelle zeigt bundesweit Auswirkungen. Längst geht es nicht mehr nur um ausfallende Unterrichtsstunden in den Schulen, geschlossene Kitas oder Fehltage am Arbeitsplatz. Engpässe beim Personal gefährden auch den Betrieb in systemkritischen Bereichen. Seit Wochen warnen Mediziner vor dramatischen Überlastungen im deutschen Gesundheitssystem.
Bei den akuten Atemwegserkrankungen - also Erkrankungen mit Symptomen wie Husten, Halsschmerzen und/oder Fieber - ist die Zahl der erfassten Fälle Mitte Dezember weiter angestiegen, wie Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) belegen. Die auf Basis von Angaben aus der Bevölkerung geschätzte Erkrankungsrate sprang Ende November bereits über die Marke von 10 Prozent.
Bis Mitte Dezember kletterte die sogenannte ARE-Rate auf 11,0 Prozent. Den Schätzungen der RKI-Experten zufolge waren damit zuletzt rund 9,3 Millionen Menschen in Deutschland akut betroffen: Schon zu Beginn der laufenden Erkältungssaison war mehr als jeder zehnte Teilnehmer an der Online-Befragung "GrippeWeb" erkrankt. Das RKI spricht von einem "deutlich steigenden Trend". Weil die üblichen Nachmeldungen aus den letzten Wochen noch ausstehen, könnte die wahre Rate höher ausfallen.
Schon jetzt liege der Indikator "deutlich über den Vorjahreswerten" und übertreffe auch die Erfahrungswerte aus vorpandemischen Zeiten bei weitem, betont das RKI. "Der aktuell sehr hohe Wert überschreitet sogar die Höchstwerte, die sonst in starken Grippewellen bisher erreicht wurden", heißt es in einer Lageeinschätzung der Gesundheitsexperten.
Ungewöhnlich starkes Infektionsgeschehen
Die Abkürzung ARE steht im Fachjargon für "Akute Respiratorische Erkrankungen", also Infektionen der Atemwege, unabhängig von der Art des Erregers. Hinter der großen Zahl an Infektionen stehen Influenza-Fälle ebenso wie Ansteckungen mit RS-Viren oder den meist sehr viel harmloseren Rhinoviren. Die im dritten Pandemie-Winter anschwellende Infektwelle wird nur zu einem kleinen Anteil von Coronavirus-Infektionen angetrieben.
Die Masse der Infektionen geht den verfügbaren Daten zufolge auf eine außergewöhnlich starke und ungewöhnlich früh einsetzende Grippewelle und die in der Bevölkerung kursierenden RS-Viren zurück. Auffällig ist, dass die Zahl der Influenza-Fälle in diesem Jahr sehr viel früher und steiler anstieg als in den Vorjahren. Ähnlich verhält es sich mit der RSV-Welle, die insbesondere für Kleinkinder lebensbedrohliche Erkrankungen auslösen kann.
Der Anteil der Covid-Erkrankungen dagegen bewegt sich bisher weit unter dem Niveau der beiden Vorjahre: Bei einer ARE-Rate von 11,0 Prozent kommt Deutschland aktuell auf insgesamt rund 11.000 Infektionsfälle je 100.000 Einwohner - Influenza, Corona, RSV, Rhinoviren und andere Erreger eingeschlossen. Die auf vergleichbarer Basis berechnete wöchentliche Covid-Rate gibt das RKI für Anfang Dezember dagegen mit "etwa 0,2 Prozent" an, was etwa 200 Fällen je 100.000 Einwohner entspricht. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag die Covid-Rate in der Vergleichswoche (KW 48) bei 0,5 Prozent.
Anhand von Labordaten kann das RKI abschätzen, welche Erreger das Infektionsgeschehen aktuell antreiben. Diese sogenannte "virologische Surveillance" liefert allerdings nur ein recht grobes Bild der Lage: In der jüngsten Stichprobe fanden sich unter den knapp 300 analysierten Fällen zuletzt in mehr als der Hälfte der ausgewerteten Proben (55 Prozent) echte Influenzaviren und in rund 18 Prozent die respiratorischen Synzytialviren, also RSV. Rhinoviren, die meist harmlosere Erkältungssymptome hervorrufen, konnten nur in sieben Prozent der Proben entdeckt werden. Coronaviren vom Typ Sars-CoV-2 kommen aktuell nur auf einen Anteil von drei Prozent.
Wie sich die Gesundheitslage in Deutschland im weiteren Verlauf des Winters entwickeln wird, ist noch vollkommen offen. Üblicherweise erreichen Grippewellen ihren Höhepunkt erst gegen Ende der kalten Jahreszeit im Februar. Und auch mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie ist die Gefahr noch lange nicht gebannt. Zuletzt stiegen die Fallzahlen auch hier wieder erkennbar an.
Erkältungssymptome? Quarantäne!
Das RKI ruft daher seit Wochen dazu auf, die bekannten Empfehlungen zum Gesundheitsschutz einzuhalten und die angebotenen Impfungen gegen Covid-19 und Influenza in Anspruch zu nehmen. Die Wucht der Krankheitswelle hänge vor allem vom "Verhalten der Bevölkerung und der gegenseitigen Rücksichtnahme" ab.
Wer sich krank fühlt, sollte demnach schon beim Auftreten von Symptomen wie zum Beispiel Schnupfen, Halsschmerzen oder Husten unbedingt für drei bis fünf Tage und "bis zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik" zu Hause zu bleiben, bei Bedarf die Hausarztpraxis kontaktieren und alle vermeidbaren Kontakte einschränken – "unabhängig vom Impfstatus und auch bei negativem Covid-Schnelltestergebnis", wie es beim RKI ausdrücklich heißt.
Quelle: ntv.de