Panorama

Aus der Schmoll-EckeBeim Italien-Urlaub hört die Angst vor dem Postfaschismus auf

08.06.2025, 10:05 Uhr schmollEine Kolumne von Thomas Schmoll
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Sonne, Gelato, Handyfoto - und das auch noch am Trevi-Brunnen: La dolce vita. (Foto: picture alliance / Pacific Press)

Wer wird denn auf Ferien in Italien verzichten, nur weil eine Regierungschefin die EU und Deutschland doof fand? Am Ende zählt das eigene Erleben, das Selfie vor dem Vatikan, gar mit dem Papst oder am Trevi-Brunnen in Rom. Daheim kann man ja zum Ausgleich ein AfD-Verbot fordern.

Was unterscheidet mich von Greta? Im Gegensatz zu ihr war ich, ein Sehr-Gutmensch vor dem Herrn und einer der letzten echten Schöngeister unserer wunderbaren Republik, schon wieder nicht auf die Republica eingeladen, konnte keine atemberaubend wichtigen Sätze sagen wie: "Die Demokratie brennt." Oder: "Wer die Narrative kontrolliert, kontrolliert die Realität." Oder: "Wir wollen die guten neuen Zeiten gestalten und zeigen, dass die Zukunft der Demokratie nicht in den Händen von Algorithmen liegt." Oder: "Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend, bau auf. Für eine bessere Zukunft, freie deutsche Jugend, bau auf." Lauter Gedanken, die auch zu meinen geistigen Fähigkeiten passen.

Ich weiß wirklich nicht, womit ich es verdient habe, dass mich die Macher der Republica jedes Jahr ignorieren, um nicht zu sagen: ausschließen. Ich heule deshalb nicht, bin tapfer und akzeptiere das Ausgestoßen-Sein, aber frage mich, was nur los ist mit mir (und der Welt); ob ich nicht woke genug bin, weil ich Mails mit "Sehr geehrte Damen und Herren" beginne, das Gendern schräg finde, kein Hochdeutsch kann, generell zu ostzonal, zu langweilig, zu wenig migrantisch - mein Großvater war lediglich Österreicher; oder ob ich einfach nur zu unbedeutend bin, obwohl ich alle zwei Wochen hier an dieser Stelle mein Bestes gebe, den Berg der Erkenntnis zu erklimmen.

Anders Greta. Gemeint ist nicht die Klima-Schwedin, die im Gaza-Streifen mit ihren queeren Kumpanen Solaranlagen in die Hamas-Tunnel from the river to the sea bauen will, denn wisset: Klimagerechtigkeit auf besetztem Land gibt es nicht. Für die Greta, die ich meine, war die "re:publica25", wie man die Veranstaltung schreiben muss, damit sich alle Geschlechter angesprochen fühlen (oder so was in der Art, denn der Doppelpunkt muss irgendeinen Sinn haben), ihr "erstes größeres Speaker-Event". Das klingt, als würde man künftig noch viel von ihr hören. "Aktuell überlege ich, ob ich mein Auslandssemester lieber an der Sorbonne in Paris oder an der Zürcher Hochschule der Künste verbringen soll", verkündete sie in eigener Sache. Und: "Tipps zur Entscheidungsfindung nehme ich gerne entgegen."

Lang lebe der Alarmismus!

So schlecht kann es Deutschland nicht gehen, wenn junge Leute der letzten, der allerletzten oder der neuen Generation derlei Probleme lösen müssen. Sehr gerne gebe ich Rat. Ich finde die Schweiz generell spießig und zu geleckt, Zürich ist obendrein sehr teuer. Frankreich mag ich gern, Paris ist meine absolute Lieblingsstadt. Also: unbedingt Paris. Auch teuer, aber dafür nicht so puppenstubenhaft wie Zürich. Ich war so um die 25 Mal in Paris, bin immer wieder aufs Neue fasziniert und begeistert. Allein Whistlers wunderbares Porträt seiner Mutter, Courbets "Der Ursprung der Welt" und die Parkettschleifer von Caillebotte im Musée d'Orsay zu bewundern, lohnt die Reise. Meine Klimabilanz bessere ich damit auf, dass ich in Berlin fast nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahre und versuche, nicht zu furzen.

Wie Sie merken: Ich liebe die Kunst. Und ich reise gerne. Ich habe - wie jedes Jahr zur Zeit der Republica - auch 2025 mein Fernbleiben von selbiger genutzt, in die Ferne zu fahren und verweilte wieder einmal in dem Land, in dem, gemessen an der Berichterstattung des Jahres 2022, die Demokratie brennt oder jedenfalls brennen müsste. Ein Hamburger Nachrichtenmagazin verkündete kurz vor der Wahl von Giorgia Meloni: "Sie ist Neofaschistin, bekämpfte die EU und verabscheut Deutschland." Und nach ihrem Sieg: "Die Wahl in Italien zeigt: Der Faschismus ist nicht vorbei. Er ist wie ein Schwelbrand, der auch in Demokratien jederzeit auflodern kann." Überall Abgründe in Sicht. Frau am Steuer - Ungeheuer. Italien ist verloren.

Lang lebe der Alarmismus! Von dem ich mich, zugegeben, auch nicht freimachen kann in diesen Zeiten. Und nun? Meloni ist nicht Orban, Italien nicht Ungarn. "Ein bisschen mehr Meloni könnte gerade gut für Europa sein", las ich in einer süddeutschen Zeitung, die nicht gerade politisch rechts verortet wird. Eine "Neofaschistin" wirbt für die Unterstützung der Ukraine, die europäisch-amerikanische Zusammenarbeit und den Zusammenhalt des Westens, wettert aber gegen Eliten, woke Ideologien, Cancel Culture und jene Medien, die sie kritisieren. Die Deutschen stört der Kontrast nicht. Sie rammeln wie eh und je nach Italien und fühlen sich dort offenbar pudelwohl.

Beim Urlaub hört die Angst vor dem Postfaschismus auf, muss ich immer wieder feststellen. Italien erlebt Jahr für Jahr Zuwachsraten beim Tourismus, da helfen auch keine Eintrittsgelder für Venedig. Allein für das Kolosseum in Rom haben 2024 beinahe 15 Millionen Leute ein Ticket gekauft. Wer wird denn auf Ferien in Italien verzichten, nur weil eine Politikerin die EU bekämpfte und Deutschland verabscheut(e)? Am Ende zählt das eigene Erleben, das Selfie vor dem Vatikan, gar mit dem Papst, am römischen Trevi-Brunnen und dem florentinischen David.

Mit Ambivalenzen leben

Man kann für den inneren Ausgleich, das eigene politische Wonnegefühl vor dem Postfaschismus in Deutschland warnen, das Verbot der Alternative für Durchgeknallte fordern, nicht in die USA fahren und nicht mehr Whatsapp benutzen, um die AfD, Blitzfrieden-Trump und amerikanischen Oligarchen zu ärgern. Aber Italien-Verzicht? Da machen wir gerne eine temporäre Ausnahme beim Postfaschismus. Wäre nicht eine Immobilie wunderbar? Jetzt, wo die italienischen Käffer aussterben und es haufenweise Ein-Euro-Buden in abgelegenen Gegenden zu haben gibt? Jeder lebt mit seinen Ambivalenzen, so gut er kann.

Ich war in einem Bergdorf wenige Kilometer vom Comer See entfernt - übrigens nahe der kleinen Stadt, in der Mussolini, seine Geliebte und ein paar andere faschistische Dreckschweine erschossen worden sind - und erlebte jeden Tag von meinem Balkon aus den Angriff deutscher Touristen auf die Trattoria und die Wander- und Mountainbikewege gleich dahinter. Auch wenn man Menschen nicht nach Äußerlichkeiten beurteilen darf, so fällt es mir schwer zu glauben, dass ich der einzige Deutsche war, der nicht die AfD wählt. Da wären etwa die drei sympathischen Frauen, die sich gendernd zum Feminismus bekannten und fest davon ausgingen, dass es mehr als zwei Geschlechter gebe, sowie den Kapitalismus für eine Ausgeburt der postfaschistischen Hölle halten.

Für mich fühlte sich Italien wie immer an. Berlin nach meiner Rückkehr ebenso. Da ist der Lehrer, dem der Schüler laut Protokoll sagte: "Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef." Und da ist die Bundestagsabgeordnete der Grünen, die umgehend verkündete: "Queerfeindlichkeit ist kein Randphänomen, kein importierter 'Kulturkonflikt', sie ist tief verwurzelt in unserer Mehrheitsgesellschaft: in Glaubensgemeinschaften, auf Schulhöfen, in Parlamenten und Redaktionsstuben." Alles klar, hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern mit dem Bösen, das überall auf der Welt existiert - garantiert auch in Italien. Man denke nur an die Problem-Bären und die Problem-Politikerin. Trotzdem fahr ich nächstes Frühjahr wieder hin. Falls nicht die Republica darauf besteht, dass ich einen Vortrag halte, wie man die Demokratie rettet.

Quelle: ntv.de

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