Ein Jahr nach tödlicher Attacke Brokstedt-Messerangriff weder vergessen noch verarbeitet
25.01.2024, 09:30 Uhr Artikel anhören
Neben einem Wartehäuschen auf dem Bahnsteig in Brokstedt steht als Erinnerung an die Opfer ein Holzkreuz.
(Foto: dpa)
Ein Jahr ist es her, seit ein Mann in einem Regionalexpress in Brokstedt zwei Menschen bei einem Messerangriff tötete und weitere schwer verletzte. Juristisch ist die Tat noch nicht zu Ende aufgearbeitet. Vergessen ist sie schon gar nicht - zum Jahrestag gibt es eine Gedenkfeier.
Die grausigen Szenen aus dem Regionalexpress werden vor dem Landgericht Itzehoe wieder und wieder durchgegangen. Dutzende Zeugen, Fahrgäste, Polizisten und Rettungskräfte schildern jeweils aus ihrer Sicht, wie ein Mann zwei Fahrgäste ersticht und vier weitere schwer verletzt, bis er endlich entwaffnet und überwältigt werden kann.
Seit vergangenem Juli haben bereits mehr als 60 Beteiligte in dem Mordprozess ausgesagt - doch die juristische Aufarbeitung der Tat von Brokstedt am 25. Januar 2023 ist noch lange nicht abgeschlossen. Damit das Grauen nicht in Vergessenheit gerät, gibt es für Angehörige und Betroffene, Freunde, Zeugen und Mitfühlende in der kleinen schleswig-holsteinischen Gemeinde am Jahrestag der Tat eine Gedenkfeier.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Ibrahim A. die Bluttat begangen hat, die für die Opfer unvermittelt erfolgte. Der 34 Jahre alte Palästinenser bestreitet den tödlichen Angriff im Zug inzwischen nicht mehr. Zum Prozessauftakt hatte er das noch getan. Verteidiger Björn Seelbach wies immer wieder auf eine psychische Erkrankung seines Mandanten hin und verlangt bis heute dessen Unterbringung in einer Psychiatrie anstelle der Untersuchungshaft. Ein psychiatrischer Gutachter, der die Verhandlung begleitet, soll kurz vor Ende des Verfahrens, voraussichtlich im Frühjahr, seine Stellungnahme abgeben. Die Staatsanwaltschaft hält den Mann für voll schuldfähig und wirft ihm Mord vor. Er habe aus Frustration über einen für ihn erfolglosen Termin bei der Kieler Ausländerbehörde gehandelt.
Zu der Gedenkfeier werden Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, Landesinnenministerin Sabine Sütterlin-Waack und Landesjustizministerin Kerstin von der Decken (alle CDU) in Brokstedt erwartet. Teilnehmen wollen auch der Vater eines Todesopfers und ein Vertreter der Deutschen Bahn. Geplant sind nach Angaben des Brokstedter Bürgermeisters Clemens Preine eine Kranzniederlegung auf dem Bahnsteig sowie ein Gottesdienst in der örtlichen Kirche.
Behördenpannen vor der Tat
Die Tat im Januar 2023 hatte weit über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus nicht nur für Entsetzen und Trauer gesorgt. Die Landesparlamente in Kiel und Hamburg beschäftigten sich damit. Schnell wurde klar, dass es im Fall des Palästinensers vor der Tat Pannen gegeben hatte. Sechs Tage vor der blutigen Attacke im Zug war A. aus einjähriger Untersuchungshaft in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden, wo er auch wegen eines Gewaltdelikts mit einem Messer eingesessen hatte. Später wurde bekannt, dass er sich während der Haft mit dem islamistischen Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verglichen hatte.
Die Aufarbeitung in den Ländern erbrachte klare Mängel im Informationsaustausch zwischen Behörden in Hamburg, Kiel und Nordrhein-Westfalen, wo Ibrahim A. jeweils gelebt und auch Straftaten begangen hatte. Die Regierungen von Hamburg und Schleswig-Holstein legten später als Konsequenz aus der tödlichen Messerattacke Maßnahmenpakete vor. Hamburg kündigte an, wegen eines Gewaltdelikts inhaftierte Untersuchungsgefangene, die aggressive Verhaltensauffälligkeiten zeigen oder drogenabhängig sind, besser in den Blick zu nehmen, um frühzeitig auf mögliche Gefahren nach ihrer Entlassung reagieren zu können.
Arbeit an bundesweiten Regeln
Ende Mai beschloss die Justizministerkonferenz, die Datengrundlage zu Messerangriffen zu verbessern, um damit möglichen Handlungsbedarf in der Gesetzgebung zu identifizieren. Weitere Beschlüsse auf Initiative Schleswig-Holsteins zielten darauf, den Informationsaustausch zwischen Behörden zu verbessern. Beide Nordländer setzen sich auf Ebene der Innenministerkonferenz für bundesweite, einheitliche Regelungen zu Waffenverboten in Zügen und an Bahnhöfen ein. Um mehr Polizeibeamte in die Züge zu bekommen und damit die Eingriffsmöglichkeiten zu erhöhen, sollen Polizistinnen und Polizisten in Zivil, wenn sie sich kenntlich machen, kostenlos in Zügen mitfahren dürfen. An der bundesweiten Regelung arbeiten die Länder noch.
Schleswig-Holstein stellte darüber hinaus für das laufende Jahr zwei Millionen Euro für zusätzliches Sicherheitspersonal bereit. Neben fest installierten Kameras in Zügen prüft das Land unter anderem auch Bodycams für Zugbegleiter.
Im Juni wurde am Bahnhof neben einem Wartehäuschen ein Holzkreuz als Erinnerung an die Opfer aufgestellt. Die Deutsche Bahn und Angehörige hatten den Platz gemeinsam ausgewählt. Auf dem Holzkreuz sind mit dem Datum der Tat die beiden Namen Danny und Ann-Marie graviert, verbunden mit einem Herzen. Der 19-Jährige und die 17-Jährige waren ein Paar. Sie besuchten gemeinsam die Berufsschule in Neumünster.
Quelle: ntv.de, Sönke Möhl und André Klohn, dpa