Jüngstes Opfer erst ein Jahr alt Chirurg in Frankreich gesteht Massen-Missbrauch von Kindern
24.02.2025, 17:02 Uhr Artikel anhören
Der Prozess gegen den 74-Jährigen ist auf vier Monate angelegt.
(Foto: REUTERS)
Erneut entsetzt ein Missbrauchs-Prozess ganz Frankreich: Jahrzehntelang vergewaltigt ein Chirurg seine Patienten. Die Anklage spricht von knapp 300 Opfern - das jüngste war gerade einmal ein Jahr alt, das älteste 70 Jahre. Zum Verfahrensauftakt räumt der Angeklagte viele Taten ein.
Ein wegen des Missbrauchs von knapp 300 Kindern angeklagter französischer Arzt hat sich zum Auftakt des Prozesses weitgehend geständig gezeigt. "Der Angeklagte erkennt seine Verantwortung für die sehr große Mehrheit der Taten an", sagte sein Anwalt Maxime Tessier vor dem Strafgericht im bretonischen Vannes. Der frühere Chirurg Joël Le Scouarnec hatte über seine Vergehen an seinen jungen Patienten detailliert Buch geführt.
Der 74-Jährige steht im Verdacht, viele seiner jungen Patienten unter dem Vorwand medizinischer Untersuchungen und unter Narkose missbraucht zu haben. In dem Prozess geht es um 299 mutmaßliche Opfer, die im Schnitt elf Jahre alt waren. "Ich habe Angst, ihn zu sehen, obwohl ich so sehr auf diesen Tag gewartet habe", sagte die heute 42 Jahre alte Nebenklägerin Amélie Lévêque. Sie war nach Darstellung der Anklage im Alter von neun Jahren von Le Scouarnec missbraucht worden, als sie wegen einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus behandelt wurde.
Die Opfer des Arztes hofften in erster Linie auf die "Anerkennung durch die Justiz", sagte die Anwältin Marie Grimaud beim Eintreffen im Gericht. Viele von ihnen hatten erst im Erwachsenenalter erfahren, was ihnen widerfahren war.
Großteil der Opfer unter 15 Jahre
"Auch wenn man es vergessen hat, bleibt das Trauma. Ich lebe bis heute mit den Folgen", sagte vor Beginn des Prozesses einer der Nebenkläger, der seinen Namen nicht nennen möchte. Die Ermittler hatten ihm 2018 Ausschnitte aus dem Tagebuch von Le Scouarnec zu lesen gegeben, die seinen Missbrauch im Alter von zwölf Jahren betrafen. "Das Vergessen mindert nicht die Schwere der Taten", sagte er.
Le Scouarnecs mutmaßliche Straftaten waren ans Licht gekommen, weil die Ermittler bei einer Hausdurchsuchung in einem anderen Verfahren auf Tagebücher des Arztes stießen. Darin beschrieb er minutiös, wie er sich an Jungen und Mädchen verging - teils im Krankenzimmer, teils sogar auf dem Operationstisch. Ermittler fanden außerdem rund 300.000 Fotos und Videos mit kinderpornographischen Inhalten. Zunächst gingen die Ermittler von mehr als 300 Opfern aus, einige Fälle wurden jedoch als verjährt eingestuft.
Le Scouarnec muss sich nun wegen 111 Vergewaltigungen und 189 sexueller Übergriffe verantworten, die sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahrzehnten erstreckten. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft. 256 der 299 mutmaßlichen Opfer waren jünger als 15. Zu den Opfern zählen laut der Anklage aber auch ein einjähriges Kind, das älteste Opfer war demnach 70 Jahre alt.
Karriere trotz Verurteilt wegen Kinderpornografie
Das Verfahren dürfte ähnlich große Aufmerksamkeit bekommen wie der Prozess gegen den Serienvergewaltiger Dominique Pelicot, der im Dezember verurteilt worden war. Dabei gibt es mehrere Parallelen: Viele von Le Scouarnecs Opfern waren laut Anklage während der Taten bewusstlos. Zudem führte der Chirurg wie Pelicot sorgfältig Buch über seine Schandtaten und hortete Fotos und Videos. Während es im Pelicot-Prozess jedoch ein Opfer und 51 Täter gab, sind es nun ein Täter und knapp 300 Opfer.
Le Scouarnec arbeitete in etwa einem Dutzend verschiedener Krankenhäuser im Westen Frankreichs. Obwohl manche seiner Chefs und Kollegen wussten, dass er bereits früher wegen Kinderpornografie verurteilt worden war, behinderte dies nicht seine Karriere. Dies führte zu einem zweiten Ermittlungserfahren, in dem es um Behördenversagen geht. Zum Prozessauftakt hing in der Nähe des Gerichts ein Transparent, das dem französischen Ärzteverband vorwarf, sich zum "Komplizen" gemacht zu haben.
Der Prozess ist auf vier Monate angelegt, etwa 40 der Nebenkläger haben den zeitweisen Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt. Der Angeklagte war bereits 2020 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weil er in den 90er Jahren vier Mädchen missbraucht hatte, unter ihnen zwei Nichten und die sechs Jahre alte Tochter seiner Nachbarn. Es war der Fall des Nachbarskindes, der die Hausdurchsuchung ausgelöst und damit das schockierende Ausmaß des mutmaßlichen Massenmissbrauchs ans Licht gebracht hatte.
Quelle: ntv.de, spl/AFP