Südostasien ächzt unter Welle Corona erfasst die Vorzeigestaaten
05.06.2021, 16:08 Uhr
Thailand sah zuletzt einen rapiden Anstieg an Neuinfektionen.
(Foto: imago images/ZUMA Wire)
Im vergangenen Jahr zieht das Coronavirus um den Erdball - doch Südostasien ist kaum betroffen. Die Fallzahlen sind niedrig, Todesfälle gibt es kaum. Länder wie Thailand und Vietnam werden für ihr konsequentes Vorgehen gelobt. Doch plötzlich scheint das nichts mehr zu nutzen: Eine Corona-Welle rollt durch die Region.
Während in Europa die Corona-Kurven in fast allen Ländern sinken, flammt die Pandemie in einer Weltregion auf, die lange als unverwundbar galt: Südostasien. Im gesamten vergangenen Jahr infizierten sich in Thailand, Vietnam und Kambodscha weniger als 10.000 Menschen mit Sars-CoV-2, lediglich 100 starben daran. Doch das glückliche Händchen im Umgang mit der Pandemie scheint den Ländern verloren gegangen zu sein: In den vergangenen Monaten liefen erstmals Infektionswellen auch durch diese Region.
Vietnam etwa kämpft mit etlichen neuen Infektionsherden. Im Mai haben sich die Fallzahlen mehr als verdoppelt auf zuletzt rund 8000. Thailand erleidet derzeit seine schwerste Welle mit fast 4000 Neuinfektionen täglich - die Inzidenz ist mittlerweile höher als in Deutschland, wo sie zuletzt deutlich sank. In Kambodscha, in dem zu Jahresbeginn weniger als 400 Corona-Fälle bekannt waren, sind es mittlerweile über 30.000.
Im vergangenen Jahr sorgten diese Staaten noch mit ihrem erfolgreichen Umgang mit dem Coronavirus weltweit für Staunen und Neid. Dabei liegen sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu China, dem mutmaßlichen Ausgangspunkt der Pandemie. Aber gerade dies galt lange als Vorteil: So hatten die Länder Südostasiens bereits Erfahrungen im Umgang mit pandemischen Erregern gesammelt, wie bei der Sars-Pandemie im Jahr 2003, die ebenfalls von China ausgegangen war.
System bekommt Risse
Die Reaktion auf die anrollende Katastrophe war in Südostasien Anfang 2020 entsprechend schnell: Vietnam schloss in Windeseile seine Grenze für chinesische Touristen. Quarantänen wurden konsequent umgesetzt - Thailand isolierte Erkrankte etwa in Krankenhäusern. Auch bei der Einreise griff das beliebte Urlaubsland streng durch: Direkt nach der Landung mussten Reisende zwei Wochen in Quarantäne. Zudem wurde die größere Akzeptanz in der Bevölkerung zum Tragen von Masken als strategischer Vorteil gewertet.
Doch wieso breitet sich das Virus nun dennoch aus? Das System hat offenbar Risse bekommen. Für Aufsehen sorgte etwa der Fall von vier chinesischen Touristinnen in Kambodscha. Wie die örtliche "Khmer Times" berichtete, waren sie Anfang Februar mit einem Jet aus Dubai angereist, entzogen sich aber durch Bestechung von Wachleuten der vierzehntägigen Quarantäne in einem Hotel - und besuchten stattdessen unter anderem einen Nachtklub. Später wurden zwei von ihnen positiv getestet, eine auf die ansteckendere Variante Alpha. In den Wochen darauf stieg die Zahl der Neuinfektionen in Kambodscha plötzlich deutlich an.
Auch in Bangkok war Anfang April bei einigen Patienten die Variante Alpha entdeckt worden, berichtete "The Strait Times" aus Singapur. Demnach hatten sich die Infizierten zuvor in örtlichen Vergnügungslokalitäten aufgehalten. Die thailändischen Behörden ließen es dennoch zu, dass Menschen zum Neujahrsfest Mitte April aus Bangkok in ihre Heimatregionen reisten. Wenig später schossen die Neuinfektionen nach oben.
Die neuen Varianten ergaben mit einem weit verbreiteten Gefühl der Sicherheit wohl einen gefährlichen Mix. "Die Leute wurden entspannt, was persönliche Hygienemaßnahmen angeht, wie das Tragen von Masken", sagte Vip Viprakasit, Professor für Kinderheilkunde am Siriraj-Krankenhaus in Bangkok, gegenüber "The Strait Times". Die zuvor so wichtige Selbstkontrolle habe nachgelassen - bei den Menschen und in der Politik.
Im Mai tauchte in Thailand zudem die indische Variante Delta auf. Die vietnamesischen Behörden hatte zuletzt sogar eine neue Virusmutante gemeldet, angeblich eine Kombination aus Delta und Alpha. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stellte später jedoch klar, dass es sich um keine neue Variante handelt, sondern Delta lediglich eine weitere Mutation aufweise.
Impfquoten extrem niedrig
Ein weiteres Problem ist die vergleichsweise niedrige Impfquote in der Region. In Thailand etwa wurden insgesamt erst 5 Impfdosen pro 100 Einwohnern ausgegeben - in Deutschland sind es knapp 63, wenn man Erst- und Zweitimpfungen zusammenrechnet. In Vietnam ist die Impfquote sogar noch niedriger als in Thailand. Lediglich Kambodscha weist mit 30 Dosen je 100 Einwohner eine vergleichsweise hohe Quote auf.
Die Gründe sind vielfältig. So schlägt sich auch in Südostasien die weltweite Impfstoffknappheit durch. Die Regierungen in der Regionen sollen sich aber auch nicht frühzeitig um die Beschaffung gekümmert haben. Auch politische Gründe spielen eine Rolle - so verzichtete Vietnam zunächst auf Impfstofflieferungen aus China, mutmaßlich aufgrund politischer Spannungen zwischen den Ländern. Vielmehr verließ sich Vietnam zunächst auf Sputnik V und Astrazeneca und setzte wie Thailand auf die Entwicklung eines eigenen Impfstoffs. Der lässt allerdings noch auf sich warten.
Wie die Lage sich in Südostasien weiter entwickeln wird, ist wie immer nicht vorherzusagen. Die Reaktionen der einzelnen Staaten sind unterschiedlich. Thailand will an der geplanten Öffnung der Urlaubs-Insel Phuket ab dem 1. Juli festhalten. Auch in Kambodscha kündigten die Behörden an, einen im April verhängten Lockdown in der Hauptstadt Phnom Penh wieder aufzuheben. In Vietnam scheint die Reaktion entschlossener: Seit Dienstag ist der internationale Flugverkehr nach Hanoi ausgesetzt. Auch beim Impfstoffmangel will das Land nachbessern - Vietnam hat nun doch noch eine Liefervereinbarung mit China über den Impfstoff Sinovac abgeschlossen. Noch dieses Jahr sollen drei Viertel der Bevölkerung immunisiert werden.
Quelle: ntv.de