Martin Walser wird 90 Jahre alt Das Enfant terrible vom Bodensee
24.03.2017, 13:14 Uhr
Für seine umstrittenen Äußerungen musste der Autor Martin Walser immer wieder harte Kritik einstecken.
(Foto: picture alliance / Felix Kästle/)
Er zählt zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern der Gegenwart - aber auch zu den umstrittensten. Nicht nur wegen seiner Bücher eckt Martin Walser immer wieder an. Nun feiert der Provokateur seinen 90. Geburtstag.
Für seinen Verlag ist er der "letzte Großautor" einer deutschen Schriftstellergeneration: Heinrich Böll, Wolfgang Koeppen, Max Frisch, Wolfgang Hildesheimer, Uwe Johnson, Günter Grass - in diese Reihe stellt der Rowohlt-Verlag Martin Walser, der nun 90 Jahre alt wird. Zwei aus der Reihe - Böll und Grass - bekamen den Literaturnobelpreis. Manche sagen, dass Walser dieser wegen seines Aneckens verwehrt blieb - vor allem der Vorwurf des Antisemitismus begleitet ihn seit Langem.
Walser kam am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee zur Welt, der Region blieb er sein Leben lang verbunden und lebte zunächst in Friedrichshafen und nun in Nußdorf. Das Ende des Zweiten Weltkriegs überlebte er als junger Wehrmachtssoldat nach eigenen Worten mit "mehr Glück als Verstand".
Martin Walser wird am 24. März 1927 im bayerischen Wasserburg geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg studiert er in Regensburg und Tübingen Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte. Seinen ersten Erzählband veröffentlicht er 1955 mit "Ein Flugzeug über dem Haus". Zu Walsers bekanntesten Werken zählen die Novelle "Ein fliehendes Pferd" (1978) die Romane "Seelenarbeit" (1979), "Das Schwanenhaus" (1980) und "Ein Sterbender Mann" (2016) sowie die Tagebuchsammlungen "Leben und Schreiben" (2008/2010). Für seine Werke erhält Walser viele Auszeichnungen, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sowie den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis.
Nach Kriegsende holte Walser das Abitur nach und studierte dann Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Er arbeitete als Reporter, schrieb Hörspiele und promovierte parallel über Franz Kafka. Die legendäre Schriftstellervereinigung "Gruppe 47" lud ihn ab 1953 zu ihren Tagungen ein.
Jahrzehntelanger Fleiß bis ins hohe Alter
Mit 30 Jahren veröffentlichte Walser seinen ersten Roman "Ehen in Philippsburg", der ihm direkt zum Durchbruch verhalf. Das Gesellschaftsporträt der Wirtschaftswunderjahre erhielt noch im Erscheinungsjahr 1957 den Hermann-Hesse-Preis. Walser konnte sich fortan erlauben, als freier Schriftsteller zu leben.
In diese Zeit fällt auch die Familiengründung mit seiner Frau Katharina "Käthe" Neuner-Jehle, mit der er vier Töchter hat. Unehelich hat Walser außerdem den Sohn Jakob Augstein, die Vaterschaft des in der Öffentlichkeit lange als Kind von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein geltenden Publizisten wurde erst spät öffentlich.
Der Fleiß Walsers blieb über die Jahrzehnte ungebrochen, praktisch in jedem Jahr gab es bis in sein hohes Alter mindestens eine Veröffentlichung - zuletzt in diesem Jahr "Statt etwas oder Der letzte Rank". Zu seinen bekanntesten Werken wurde der 1978 erschienene Millionenbestseller "Ein fliehendes Pferd" und "Tod eines Kritikers" 2002.
Vorwurf der "geistigen Brandstiftung"

In seiner umstrittenen Paulskirchen-Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von 1998 warnte Walser vor einer "Instrumentalisierung" von Auschwitz.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Mit dem "Tod eines Kritikers" entfachte Walser - einmal mehr - eine heftige Debatte. Das Buch wurde breit als Abrechnung mit dem führenden deutschen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki verstanden. Der damalige Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, sah schlicht als Thema "den Mord an einem Juden" als Buchmotiv und lehnte den Abdruck ab.
Die Diskussion knüpfte an eine andere große Debatte an, die Walser wenige Jahre vorher ausgelöst hatte. Bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels klagte er 1998 in seiner Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche über eine "Instrumentalisierung" des Holocaust. Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sprach von "geistiger Brandstiftung".
Die Angriffe auf sich konnte Walser nur schwer abwehren. Wiederholt erklärte er, missverstanden worden zu sein. Als Belege für seine Redlichkeit führte er etwa seine eigene Berichterstattung über den Auschwitz-Prozess 1964 und seine Dissertation über den Juden Kafka an. Der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte er nun allerdings, dass Auschwitz ein so "grauenhafter Vorgang" sei, "dass es vielleicht schon falsch war, über dessen Wirkung eine Rede zu halten, noch dazu eine Sonntagsrede".
Obwohl er oft aneckte, hält Walser auch als alter Mann den Streit für nötig. "Natürlich kann ich nachträglich, das ist dann aber wirklich sehr nachträglich, sagen: Das hätte alles nicht sein müssen. Aber man macht nicht nur das, was unter allen Umständen richtig ist, sondern was man jeweils für nötig hält", sagte er dem "Spiegel".
Quelle: ntv.de, Ralf Isermann, AFP