Panorama

Timo Ulrichs zu B.1.1.7 "Das höhere Sterberisiko ist keine gute Nachricht"

Sollte sich der Trend fortsetzen, müssten die ersten Lockdown-Lockerungen wieder zurückgenommen werden.

Sollte sich der Trend fortsetzen, müssten die ersten Lockdown-Lockerungen wieder zurückgenommen werden.

(Foto: dpa)

Befindet sich Deutschland bereist in der dritten Welle, wie RKI-Chef Wieler sagt? Epidemiologe Ulrichs will lieber abwarten, ob sich der Trend fortsetzt - und hofft auf den Frühling. Außerdem spricht er über die höhere Sterblichkeit der Variante B.1.1.7 und über den Impfstoff von Johnson & Johnson.

ntv: Herr Ulrichs, RKI-Chef Lothar Wieler sieht "klare Anzeichen dafür, dass die dritte Welle begonnen hat". Sehen Sie diese Anzeichen auch und welche könnten das denn sein?

Timo Ulrichs: Die heutigen Zahlen zeigen einen starken Anstieg. Und in der Tat könnte man sagen: Das sind starke Zunahmen und unsere Hoffnung, dass sich alles so stabil zwischen 100 und 50 Neuinfizierten pro 100.000 Menschen einpendeln könnte, wird damit ein bisschen zunichte gemacht. Allerdings müssen wir abwarten, ob sich dieser Trend tatsächlich fortsetzt. Wir haben ja die Hoffnung, dass es in Richtung Frühling Faktoren gibt, die diese Zahlen ein bisschen bremsen, wie wir es auch vergangenen Frühling erlebt haben.

Im Vergleich zu gestern, aber auch im Vergleich zum vergangenen Donnerstag sieht man den Anstieg ganz klar. Könnten das schon jetzt die Effekte der ersten Öffnungen sein, also etwa der Friseure und der Schulen?

Wenn überhaupt, könnten das die Effekte von den Schulöffnungen sein, aber da bin ich eher skeptisch. Wie die ganze Trendumkehr ist es wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass es im Verhalten von uns allen Nachlässigkeiten gegeben hat, oder Vorwegnahmen mit Blick auf geplante Öffnungen. Die Folgen der jetzigen Öffnungen werden erst so um den 22. März herum sichtbar werden. Bei den Neuinfektionen haben wir immer eine Zeitverzögerung von 10 bis 14 Tagen.

Wenn wir tatsächlich schon in einer dritten Welle sind, was bedeutet das denn konkret für uns? Worauf müssen wir uns einstellen, wie müssen wir uns verhalten?

Timo Ulrichs ist Epidemiologe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Timo Ulrichs ist Epidemiologe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Die Bundesländer haben mit der Bundesregierung vereinbart, dass wenn die Zahlen wieder steigen, die zaghaften Öffnungen wieder zurückgenommen werden müssen, um das Ganze nicht ausufern zu lassen. Die Gesetzmäßigkeit exponentiellen Wachstums kann ja nicht durch Hoffnung durchbrochen werden, sondern nur durch konkrete Maßnahmen. Das bedeutet, dass wir möglichst frühzeitig gegensteuern müssen, damit wir mit den Zahlen nicht in einem Peak münden. Das ist immer noch möglich, wir sind ja noch im ausgehenden Winter.

Die Mutation B.1.1.7 macht mittlerweile mehr als 50 Prozent der Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland aus. Jetzt gibt es eine britische Studie, die besagt: Wer sich mit dieser Variante infiziert, hat ein um 64 Prozent höheres Sterberisiko. Müssen wir nun mit sehr vielen Todesfällen rechnen?

Das höhere Sterberisiko ist keine gute Nachricht. Deswegen sollten wir umso mehr unsere Abstands- und Hygieneregeln beachten, denn sie helfen auch bei den neuen Varianten. Zum anderen sehen wir aber, dass es wegen den zunehmenden Impfungen bei den Hochrisikogruppen einen Trend gibt, dass die Zahl der neuen Todesfälle abnimmt - und das wird sie hoffentlich auch weiterhin tun. Die Subpopulation, die besonders gefährdet ist, hat also einen zusätzlichen Schutz. Deswegen sehen wir auch schon einen Rückgang der Belegung auf den Intensivstationen. Allerdings könnten sich beide Zahlen, also die Belegung der Intensivstationen und die Todeszahlen künftig etwas langsamer nach unten bewegen, beispielsweise wegen der höheren Sterblichkeit der Mutation.

Heute diskutieren alle sehr viel über den Impfstoff von Johnson & Johnson. Können Sie uns kurz erklären, was das für ein Impfstoff ist? Wie wirkt er? Mit welchen der bisher zugelassenen Impfstoffe in Deutschland kann man ihn gut vergleichen?

Der Impfstoff von Johnson & Johnson basiert auf Vektorviren, genau wie der Impfstoff von Astrazeneca und Sputnik V. Das Wirkprinzip ist also ähnlich. Allerdings hat man sich bei Johnson & Johnson überlegt, ob nicht möglicherweise auch eine einzelne Impfung reicht - anders als Astrazeneca, die sich für zwei entschieden haben. Wir sehen aber aus den Daten des Astrazeneca-Impfstoffs, dass schon die erste Impfung ganz gut schützt. Und diese Schutzwerte haben wir jetzt auch bei den klinischen Daten von Johnson und Johnson. Man kann ihn also nur einmal geben und hat bereits einen sehr guten Effekt. Darauf hoffen wir, wenn er jetzt verfügbar sein wird.

Wie sieht es denn mit der Wirksamkeit dieses Vakzins aus?

Da liegen weitere Daten vor. Einmal die generelle Wirksamkeit, die sehr gut ist. Sie ist vergleichbar mit den bereits auf dem Markt befindlichen Impfstoffen.

Aber etwas geringer als bei Biontech und Moderna.

Ja, etwas weniger, aber das sind nur die Daten aus den klinischen Studien. Wir müssen schauen, wie die Daten sind, wenn er tatsächlich verimpft wird. Das ist auch die Erfahrung mit dem Astrazeneca-Impfstoff: Die Schutzdaten aus einer Erhebung in Schottland sind genauso hoch oder sogar noch etwas höher als beim Biontech/Pfizer-Impfstoff.

Wie gut wirkt das Johnson-&-Johnson-Vakzin gegen die Mutationen?

Die Daten sind auch gut bei den Varianten, die zum Zeitpunkt der klinischen Tests in Brasilien und Südafrika aufgetreten sind. Man hat Studien durchgeführt, und es sieht gut aus, dass diese Mutationen von dem Impfstoff auch abgedeckt werden.

Mit Timo Ulrichs sprach Nina Lammers

Quelle: ntv.de

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