Verlust an Einfluss Die Cosa Nostra will zurück zu alter Macht


Carabinieri in Palermo im Februar bei einer Razzia gegen die Mafia.
(Foto: picture alliance/dpa/Carabinieri Palermo)
Die Cosa Nostra büßt in den vergangenen Jahren viel an Einfluss und Macht ein. Inzwischen bewegt sie sich lieber im Hintergrund und versucht, in den Vierteln von Palermo wieder Fuß zu fassen und zu alter Größe zurückzukehren.
Die sizilianische Mafia Cosa Nostra braucht neues Personal, der Großteil der Bosse sitzt im Gefängnis oder ist gestorben. Außerdem haben die Verhaftungen und Beschlagnahmungen der zurückliegenden 30 Jahre die Mafia geschwächt.
Nach aktuellen Schätzungen zählt die Cosa Nostra etwa 5500 Clan-Mitglieder. Diese Zahl ist seit Jahren relativ stabil, sie bezieht sich jedoch nur auf die Kernmitglieder, die durch einen Initiationsritus offiziell aufgenommen wurden. Die Organisation ist pyramidal aufgebaut. Neben den "Ehrenmännern", "uomini d’onore" deren unterste Stufe die sogenannten Soldati darstellen, gibt es zahlreiche Unterstützer und Helfer, die nicht als Vollmitglieder gelten, aber zum Einflussbereich der Mafia gezählt werden.
Heute aber agieren die Clans vor allem in Eigenregie. "Es stimmt, dass die Bosse im Gefängnis sitzen und es keine Cupola mehr gibt", sagt der Soziologe Umberto Santino, der sich schon ein Leben lang mit dem Thema beschäftigt. Mit Cupola ist die Spitze der Cosa Nostra-Pyramide gemeint. Einst sprachen sich hier die Super-Bosse über Strategie und Taktik ab. "Die Familien der Mafiosi gibt es aber weiter", fährt er fort. Sie übernehmen meist die Geschäfte der Väter, Onkel und Großväter. Und sie machen sich auch auf die Suche nach neuen Rekruten.
Bei ihren Anwerbungen greift die Cosa Nostra noch immer auf altbewährte Mittel zurück. Gemeint sind mehr oder weniger große Gefälligkeiten, etwa die Vermittlung eines Arbeitsplatzes, finanzielle Hilfe, die Schlichtung einer Auseinandersetzung. Wo der Staat versagt, steht die helfende Hand der Mafia bereit. Das ist zumindest das Bild, mit dem die Cosa Nostra bei der Bevölkerung punkten will.
"Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die Cosa Nostra sei ein Wohltätigkeitsverein", sagt Santino. "Gefälligkeiten dieser Art hat die Mafia schon immer verteilt. Aber geht es nicht um etwas ganz anderes? Hat sich die Mafia in der Vergangenheit darauf beschränkt? Und tut sie es heute?" fragt er. Natürlich nicht.
Die Mafia-Azubis
"In berüchtigten Vierteln von Palermo, wie das Zen eines ist, wenden die Jugendlichen Gewalt an, um sich hervorzutun", sagt Santino. "Das ist so eine Art Praktikum, um in die Cosa Nostra aufgenommen zu werden." Die Cosa Nostra rekrutiert nicht öffentlich oder zufällig auf der Straße. Vielmehr werden gezielt Personen angesprochen, die sich bereits durch Loyalität, Disziplin und Engagement ausgezeichnet haben.
Die Kandidaten werden sorgfältig ausgewählt, familiäre Bindungen spielen eine große Rolle. Die Organisation achtet penibel darauf, dass keine unerwünschten oder potenziell gefährlichen Personen aufgenommen werden. Um sich zu qualifizieren, musste der Kandidat früher in der Regel eine schwere kriminelle Tat begehen, häufig einen Mord oder einen bewaffneten Raubüberfall. Diese Tat diente als Loyalitätsbeweis und als Eintrittskarte in die Organisation. Inzwischen versichert man sich der Loyalität auf weniger auffällige Weise.
Diese Rekrutierungsstrategie scheint noch immer halbwegs Erfolg zu haben. Im Februar dieses Jahres wurden bei einer Razzia in Palermo 181 Mafiosi und Handlanger der Cosa Nostra festgenommen. Der Großteil davon sei keine 40 Jahre alt gewesen, erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo Maurizio de Lucia der Zeitschrift "Lavialibera". Doch die Mafia-Bosse sind erwiesenermaßen unzufrieden mit dem Nachwuchs. "Heute nehmen sie einen fest, und der wird gleich Kronzeuge", lamentierte der Boss von Bagheria, Giancarlo Romano, laut Ermittlungsakten.
Veränderte Geschäftsmodelle
Geld macht die sizilianische Mafia weiter mit dem Pizzo, der Forderung von Schutzgeld, obwohl dieses Geschäft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an Bedeutung verliert. Der Drogenhandel mit Koks, Crack und Fentanyl hat wieder Fahrt aufgenommen. Das große Rad drehen dabei aber andere: Meist arbeiten die Sizilianer mit der kalabrischen Mafia zusammen, der 'Ndrangheta, die die Nummer eins in der Branche ist. Und dann sind da noch die Ausschreibungen, an denen die Cosa Nostra teilnimmt, und die EU-Gelder, die sie sich unter die Nägel reißt. Häufig geht es dabei um die Bauindustrie oder die Förderung erneuerbarer Energien.
Dafür braucht es keine Schläger, sondern hochqualifizierte Leute, die der Mafia ergeben sind und die neuen Technologien beherrschen. Die Cosa Nostra bewegt sich gezielt im Internet und bedient sich wie alle organisierten Kriminellen verschlüsselter Plattformen.
Dabei ist ihr die "Borghesia mafiosa", die mafiöse Mittelschicht, eine außerordentliche Hilfe. "Die Festnahme von Matteo Messina Denaro hat das Ausmaß der Borghesia mafiosa offengelegt", hebt Santino hervor. Zu dieser Mittelschicht gehören Ärzte, Rechtsanwälte, Unternehmer, Beamte. Ohne ihre Hilfe hätte sich Matteo Messina Denaro nicht 30 Jahre versteckt halten können. Und natürlich haben diese Mitläufer daraus ihren Nutzen gezogen, eine Hand wäscht die andere.
Geschwächt, aber nicht ausgerottet
Die Cosa Nostra von einst, die sich so mächtig fühlte, dass sie sich nicht scheute, den Staat herauszufordern, gibt es nicht mehr. Bombenattentate, wie jene im Sommer 1992 gegen die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, gehören nicht mehr zu den gängigen Methoden. Man hält sich lieber bedeckt. Konsequente Ermittlungen und eine auf die Mafia zugeschnittene Gesetzgebung haben die Bosse, einen nach dem anderen, oft lebenslang hinter Gitter gebracht. Auch den blutrünstigsten Totò Riina und zuletzt, im Februar 2023, Messina Denaro.
Italiens Staatsoberhaupt Sergio Mattarella mahnt trotzdem immer wieder, die Augen offenzuhalten. Die Cosa Nostra ist heute zwar schwächer, ausgerottet ist sie aber nicht. Oder wie es Palermos Oberstaatsanwalt Maurizio De Lucia sagt: "Die Cosa Nostra lebt, macht Geschäfte und versucht, ihre Armee wieder aufzustellen."
Quelle: ntv.de