Panorama

"Irrsinnige Debatten"Die Generationenfrage und (nicht nur) die Rente

07.12.2025, 14:26 Uhr Foto-AutorenboxVon Torsten Landsberg
Muenchen-Deutschland-02-12-2025-Im-Bild-Symbolbild-fuer-Zusammenhalt-und-Naehe-zwischen-den-Generationen-Die-Hand-eines-Kindes-liegt-schuetzend-auf-der-Hand-einer-alten-Frau-Das-Motiv-steht-fuer-Fuersorge-Verbundenheit-und-Unterstuetzung-im-Alter
Die Jungen von heute sind die Alten von übermorgen. (Foto: IMAGO/Fotostand)

Der Streit ums Rentenpaket wärmt das Klischee von Jung gegen Alt neu auf. Dabei lassen sich die Probleme nur gemeinsam lösen, sagt die Soziologin Martina Brandt.

Die Rente ist nicht mehr ganz so sicher, immerhin darüber dürfte es über Generationen hinweg keinen Dissens geben. Ansonsten wirkt die Debatte rund ums umstrittene Rentenpaket der schwarz-roten Regierung einmal mehr wie ein Verteilungskampf: Hier die Alten, die nur kassieren und es sich gut gehen lassen, dort die Jungen, die noch nichts geleistet haben und sowieso viel zu faul sind. Die nächste Runde im Kampf der Generationen ist eingeläutet. Oder?

"Der Generationenkonflikt oder gar -krieg wird schon ziemlich lange ausgerufen", sagt Martina Brandt, Soziologin an der TU Dortmund, im Gespräch mit ntv.de. In der näheren Betrachtung müsse man Familie und Gesellschaft voneinander trennen. "In den Familien sehen wir keinen systematisch größer werdenden Konflikt zwischen Eltern, Kindern, Enkeln, Großeltern." Die Solidarität sei unvermindert groß.

Die Alterung der Gesellschaft, in der Debatte häufig als Kern des Problems dargestellt, sei tatsächlich "eine demografische Revolution, also eine gute Nachricht", sagt die Professorin für Sozialstruktur und Soziologie alternder Gesellschaften. "Wir alle dürfen im Schnitt älter werden, und wenn wir alles richtig machen, auch gesund. Das ist für jeden Einzelnen, jede Einzelne und auch als Gesellschaft eine richtig gute Nachricht."

Bevölkerungspyramide ist Vergangenheit

Problematisch für die Gemeinschaft sei nicht das Altern, sondern wie das System darauf reagiere. "Die Umlagefinanzierung in Zeiten der Bevölkerungsalterung kaum anzupassen, das funktioniert nicht." Man könne den sozialstaatlichen Aufbau nicht so beibehalten, "als hätten wir immer noch die Bevölkerungspyramide aus der Vergangenheit".

Diese Pyramide stellt die Altersstruktur einer Bevölkerung dar. Lange Zeit bildeten die Jungen das breite Fundament, auf dem das Rentensystem basierte. Die Umkehr der Alterspyramide war allerdings schon in den 1980er-Jahren absehbar, als Norbert Blüm noch launig sichere Renten garantierte. Bereits vor fast 30 Jahren wurde "Rentnerschwemme" zum Unwort des Jahres gewählt - die Folgen des demografischen Wandels sind also kein Phänomen der Gegenwart.

Früh gewarnt, nichts passiert

"Wie das so ist mit Systemwechseln: Man tut sich schwer damit, insbesondere wenn man Legislaturperioden und Wählerschaften hat", sagt Brandt. "Die Stimmen aus der Demografie, aus der Ökonomie und auch aus der Soziologie waren schon lange sehr laut." Sie erkenne Parallelen zu den frühzeitigen und ebenso vernachlässigten Warnungen vor den Folgen des Klimawandels.

Mit Blick auf die Zahlen wird mittlerweile kaum noch jemand den Reformbedarf abstreiten. Waren 1990 nur 13 Prozent der Bevölkerung über 67 Jahre alt, werden es 2030 laut Statistischem Bundesamt 19,6 und 2070 sogar 25,6 Prozent sein. Kamen 1990 lediglich 24 Rentner auf 100 Erwerbsfähige, waren es 2020 bereits 37, für 2030 sind 47 prognostiziert.

DeutschlandBevölkerungsprognose bis 2045

Mehr als drei Millionen Menschen über 65 Jahren in Deutschland sind bereits heute von Altersarmut betroffen - mit mehr als 18 Prozent liegt die Quote inzwischen höher als in der Gesamtbevölkerung. Noch dazu steigt sie mit zunehmendem Alter überproportional weiter. "Menschen mit unterbrochenen Erwerbskarrieren stehen im höheren Alter wirklich schlecht da und haben auch keine Kompensationsmöglichkeiten mehr."

An die Stelle inhaltlicher Debatten über die Überarbeitung eines komplexen Systems treten schlichte Zuspitzungen: "Rentnerrepublik", Babyboomer gegen Gen Z, "Rente frisst Zukunft". Die Politik hat ihren Anteil daran. Wenn SPD-Chef Lars Klingbeil das aktuelle Rentenpaket mit den Worten verteidigt, eine gute Rente sei Ausdruck von Wertschätzung, klingt dabei der Vorwurf mit, die Jüngeren würden mit ihrer Kritik den Älteren eine finanzielle Absicherung missgönnen.

Übrig bleibt das Bild zweier in sich homogener Gruppen, die sich um einen Geldtopf streiten - als würden Renten- und Familienpolitik, Arbeitsmarkt- und Pflegestrukturen keine Rolle spielen. "Wenn wir uns weiter in irrsinnigen Diskussionen über Alt und Jung verstricken, kommen wir keinen Schritt weiter", sagt Brandt. Tatsächlich sind beide Gruppen nicht homogen, im Gegenteil: Innerhalb der Altersgruppen gibt es große Unterschiede, etwa in Einkommen, Bildung, Gesundheit oder familiären Strukturen.

"Wir sind Status erhaltend geprägt"

Wenn alte Mechanismen nicht mehr funktionieren, braucht es neue Ansätze. "Wir müssen das System demografiesensibel machen und an die Organisation der Erwerbsarbeit ran", sagt die Soziologin. Es gehe nicht darum, einfach nur länger zu arbeiten, sondern zum Beispiel Lebensarbeitszeitkonten einzuführen: "Über den Lebenslauf flexible Arbeitszeitmodelle mit Familien- oder Pflegezeiten und Phasen, in denen man mehr Ressourcen hat und mehr arbeiten kann." Es sei auch zu diskutieren, welche Altersgrenzen sinnvoll seien, welche schützten und welche diskriminierten. Kreative Maßnahmen, für deren Gelingen die Gesellschaft mitziehen müsste. "Das ist eine Herausforderung, denn wir sind schon stark bürokratisch und Status erhaltend geprägt."

Bleiben die angeblich so faulen und missgünstigen jungen Leute. Die sind heute mit Realitäten konfrontiert, die das jahrzehntelang gültige Versprechen, es werde ihnen noch besser gehen als ihrer Elterngeneration, pulverisiert haben. Klimawandel, Künstliche Intelligenz und brüchiger Frieden liefern trübe Zukunftsaussichten. Hätten die nicht allen Grund, unmotiviert zu sein?

"Die jungen Leute sind mit unglaublichen Herausforderungen konfrontiert und kommen damit vergleichsweise gut zurecht", sagt Brandt. Die Kritik an ihnen sei pauschal und übertrieben, "da sind sehr viele, die sehr engagiert sind, politisch, sozial, bei Klimafragen". Viel eher könne man ihnen zuhören und sich Gedanken machen, ob ihre Vorstellungen so verkehrt seien. "Zu sagen, ich möchte eine Work-Life-Balance haben, ist nach diesem arbeitszentrierten Ethos älterer Generationen vielleicht eine ganz gute Idee."

Quelle: ntv.de

KinderRenteDemografischer WandelSenioren