Stadt der ObdachlosenDie Party in Tijuana ist vorbei

Den meisten ist das mexikanische Tijuana vor allem als Partystadt bekannt. Doch aufgrund von Abschiebungen, Naturkatastrophen und Gewalt sitzen Tausende Menschen in der Grenzstadt fest - zur Freude von Drogenkartellen und Menschenhändlern.
Tijuana liegt nur 33 Kilometer südlich von San Diego, der Metropole im äußersten Südwesten der USA. Mit dem Auto dauert die Fahrt zur Grenze gerade einmal 40 Minuten. Täglich passieren rund 178.000 Menschen einen der drei Kontrollpunkte, die 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr geöffnet sind.
Die Nähe und der starke Dollar haben Tijuana bereits vor Jahren zu einem beliebten Ausflugsziel gemacht. Viele US-Amerikaner kommen hierher, um günstig einzukaufen; andere, um günstig zu feiern. Vor allem für junge Amerikaner ist die Grenzstadt mit ihren rund 1,7 Millionen Einwohnern attraktiv. Anders als in ihrer Heimat dürfen sie dort bereits mit 18 Jahren Alkohol trinken.
Doch Alkohol ist nicht das einzige Rauschmittel, das in Tijuana zur Party gehört. Die USA sind der größte Drogenkonsument der Welt, Mexiko ist einer der größten Lieferanten. Und so gehören Drogendealer in der "Zona Norte", dem Partyviertel im Norden der Stadt, genauso zum Straßenbild wie Bars, Clubs und Prostituierte.
Doch die Zeit der ausgelassenen Partys nähert sich dem Ende. Nur wenig außerhalb der "Zona Norte" entfernt pflastern unzählige Drogenabhängige und Obdachlose den Straßenrand. Wie viele es genau sind, können die Behörden nicht sagen. Zu viele verstecken sich unter Brücken, entlang der Grenze und in Abrisshäusern.
Menschen von Nord und Süd
Die meisten von ihnen stammen nicht gebürtig aus Tijuana, für sie war die Stadt lediglich eine Transitstation auf dem Weg in die USA - ehe sie am Grenzübergang gescheitert sind oder nach der illegalen Einreise abgeschoben wurden. Denn Tijuana ist nicht nur Party-, sondern auch Abschiebeziel. Etwa 40 Prozent der Menschen, die die USA abschieben, werden hierhergebracht - so viele wie in keine andere mexikanische Stadt.
Vergangenes Jahr waren es insgesamt 39.000 Menschen, die Tijuana aufnehmen musste. Unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump erwarten die städtischen Behörden einen weiteren Anstieg, auch wenn die Abschiebungen in den ersten Wochen seiner Amtszeit zurückgegangen sind.
An einem anderen Ort ihr Glück zu versuchen, ist für die meisten Menschen keine Option. Vielen fehlt das Geld für eine weitere Reise, andere haben bereits Familien in den USA. Also bleiben sie in Tijuana und warten auf die nächste Gelegenheit, legal oder illegal die Grenze zu überqueren.
Doch nicht nur aus dem Norden ist die Stadt mit riesigen Menschenmassen konfrontiert, sondern auch von Süden. Vor allem aus dem von Erdbeben und Tropenstürmen geplagten Haiti, aber auch aus vielen anderen zentralamerikanischen Staaten haben sich in den letzten Jahren tausende Menschen auf der Flucht vor Gewalt nach Tijuana durchgeschlagen, um von dort in die USA zu gelangen. 425.000 waren es von 2014 bis 2016 insgesamt. Doch seit die USA ihre Immigrationspolitik verschärft haben, stecken sie auch in Mexiko fest - pleite und verzweifelt.
Die Organisierte Kriminalität jubelt
Die mexikanische Regierung zeigt sich bisher mit dieser Situation überfordert. Für die Unterbringung von Abgeschobenen und Flüchtlingen stehen in Tijuana gerade einmal 36 Notunterkünfte bereit, betrieben von Kirchen und Freiwilligen. Dort teilen sich in der Regel hunderte Menschen eine Handvoll Toiletten und Duschen. Ohne diesen Einsatz müssten auch sie auf der Straße leben.
Ein Segen ist dieses Elend für die mexikanischen Drogenkartelle und Menschenhändler. Vor allem verzweifelte Frauen und Kinder enden nicht selten als Prostituierte und bieten sich dem wohlhabenden Partyvolk an. Viele Männer versuchen, als Drogendealer oder -schmuggler über die Runden zu kommen.
Die Konkurrenz ist angesichts der Menschenmassen erbarmungslos und zunehmend tödlich. 910 Morde haben die Behörden von Tijuana vergangenes Jahr registriert. Das sind 36 Prozent mehr als 2015 und so viele wie noch nie in der Geschichte der Stadt. Die meisten Fälle hatten Verbindungen ins Drogen- und Rotlicht-Milieu.
Auf Unterstützung der USA sollte Tijuana trotz dieser enormen Probleme nicht zählen. Im Februar ordnete die Regierung von Donald Trump großflächige Razzien an, um illegale Einwanderer festzusetzen. Elf Millionen Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung droht damit die Abschiebung nach Mexiko. Die meisten von ihnen dürften 33 Kilometer südlich von San Diego landen.