Montgomery im Interview "Die Politik liefert ein jämmerliches Bild ab"
18.11.2021, 12:40 Uhr
Vor allem beim Thema Impfen ist Frank Ulrich Montgomery vom Handeln der Politik enttäuscht.
(Foto: picture alliance / Eventpress)
Weltärzte-Vorstandschef Frank Ulrich Montgomery warnt vor "bitterharten" Monaten. Er fordert eine generelle 2G-Regelung, auch wenn die nicht sofort Erfolge erzielt. Besonders entnervt zeigt er sich beim Handeln der Politik in Sachen Impfung. Da müsse mehr passieren. Weihnachten könnte sonst aussehen wie im Vorjahr.
ntv: Laufen wir geradewegs in eine Katastrophe hinein?
Frank Ulrich Montgomery: Wir laufen in einen sehr, sehr schweren Winter hinein. Es gibt noch Möglichkeiten, dass es keine Katastrophe wird, aber die nächsten Monate werden bitterhart bei dem Versuch, möglichst viele Menschenleben zu retten und möglichst viele Menschen vor der Infektion zu schützen.
Kommt die Politik jetzt zu spät?
Ich komme mir manchmal vor wie die altgriechische Kassandra, die ja auch immer alles vorhergesagt hat und keiner hat es gehört, keiner hat es wahrnehmen wollen. In der Tat warnt die gesamte seriöse Wissenschaft eigentlich schon seit dem Spätsommer und hat genau das skizziert, was jetzt passiert. Die Politik hätte viel, viel früher reagieren können. Die Ministerpräsidenten werden auf ihrer Konferenz hoffentlich vernünftig reagieren.
Reicht die 2G-Regelung denn aus? Oder sollten wir mehr Zwang erzeugen, vielleicht durch eine Impfpflicht?
Wir brauchen eine generelle 2G-Regelung, das ist gut. Sie kommt aber spät und wird uns ja erst mal ein paar Wochen gar nichts nutzen. Sie wird nur das weitere Ansteigen von Infektionen verhindern. Wir haben aber schon wahnsinnig viele. Und die Impfpflicht, die werden wir mit Sicherheit mindestens als moralische Impfpflicht haben müssen. Aber das Problem ist ja im Moment gar nicht die Impfpflicht. Das Problem ist die Organisation des Impfens. Wir kriegen die Booster nicht ausreichend auf die Straße, wir kriegen die Erstimpfung nicht ausreichend auf die Straße, wir leisten uns eine zähe Debatte über die Frage, ob Impfzentren wieder aufgebaut werden sollen oder nicht. Wir überfordern die Hausärzte, indem wir ihnen das Problem zuschieben, aber nicht sagen, wie sie es logistisch lösen können. Also, die Politik liefert ein jämmerliches Bild ab, gerade in diesen Zeiten, wo wir so dringend Führung und konkrete, gute Politik bräuchten.
Was ist nötig, damit wir bei den Booster-Impfungen wirklich schnell vorankommen?
Wir brauchen jetzt ganz viele Impfungen. Ob das mit mobilen Impfteams, mit einem Aufrüsten der niedergelassenen Ärzte, mit der Öffnung von Krankenhaus-Ambulanzen oder Ähnlichem geht - wir müssen viel, viel umfassender denken. Wir müssen an die Menschen rankommen, um sie zu impfen, nicht warten, dass die Menschen zu uns kommen. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Und wenn man Impfzentren, da wo die Struktur noch da ist, nutzen kann, dann soll man das bitte, bitte tun.
Sollten Apotheker mitimpfen?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Die Frage ist natürlich: Sind die Apotheker ausreichend vorgebildet? Es gibt welche, die sind es, und dann sollte man die mit in die Struktur einbauen. Ich kann es eigentlich keinem Apotheker raten. Dass sie immer noch mehrere Seiten Papier ausfüllen müssen, wenn sie jemanden zum dritten Mal mit demselben Impfstoff impfen. Das ist fast kafkaesk. Hier müsste man die Bürokratie reduzieren, man muss andere Berufsgruppen hinzuholen, damit sie uns beim Impfen helfen. Wenn die Apotheker dafür ausgebildet sind, dann sollen in Gottes Namen auch die Apotheker mitmachen können.
Schaffen die Hausärzte es denn dann, den Großteil zu schultern?
Sie schaffen es mit Sicherheit nicht, wenn man ihnen am ersten Tag alle Booster-Impfungen zumuten will, das schaffen sie nie im Leben. Jetzt brechen ja schon die Telefonleitungen der Hausarztpraxen zusammen. Nein, man muss einen Plan machen, man muss mit dem Hausarztverband darüber reden und mit der kassenärztlichen Vereinigung darüber reden, wie man das in den nächsten Wochen und Monaten hinkriegt. Es müssen ja nicht alle Booster-Impfungen morgen gemacht werden, aber bitte in den nächsten Wochen. Das kann man planen, aber dafür muss man anfangen, mit den entsprechend Verantwortlichen zu planen.
Wofür sind Sie: Booster für alle oder mit Priorisierung?
Die Reihenfolge ergibt sich doch eigentlich aus der letzten Impfung, die man gehabt hat. Die, bei denen die Impfung am längsten zurückliegt, und das waren die priorisierten Gruppen, die sollen es jetzt auch als Erste kriegen. Aber ich warne jetzt davor, mit Einschaltung des Ethikrates, mit Einschaltung der STIKO, mit Einschaltung irgendwelcher politischen Gremien, erst wieder lange über eine Priorisierungsliste zu diskutieren. Die Zeit des Diskutierens ist vorbei, wir müssen handeln.
Wie wird das Weihnachtsfest dieses Jahr aussehen?
Es ist so viel passiert, dass ich mich ehrlich gesagt gar nicht erinnere, wie es letztes Jahr war. Aber ich glaube, es wird ähnlich eingeschränkt sein. Wir werden Kontaktbeschränkungen so lange machen müssen, wie die Zahl der Infektionen noch immer weiter steigt. Und das ist das, was bisher ja auch am besten geholfen hat. Niemand will einen Lockdown, aber es ist das einzige Instrument, was - mit Ausnahme der Impfung - uns bisher wirklich weitergeholfen hat, wenn wir kurzfristig handeln mussten. Und deswegen glaube ich, Weihnachten wird wieder mit eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten verbunden sein. Man wird nicht die ganze Familie um den Weihnachtsbaum versammeln können. Hoffentlich lassen sich möglichst viele impfen, dann wird Weihnachten etwas freudiger als letztes Jahr.
Mit Frank Ulrich Montgomery sprach Nele Balgo
Quelle: ntv.de