Panorama

Terrorakt und Staatsversagen? Die Unschuld stirbt im Blutbad von München 1972

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Der Münchener Polizeipräsident Manfred Schreiber (l.) und Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher im Olympischen Dorf.

Der Münchener Polizeipräsident Manfred Schreiber (l.) und Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher im Olympischen Dorf.

(Foto: IMAGO/Sammy Minkoff)

Bei den Olympischen Spielen 1972 in München wird ausgelassen gefeiert, gelacht und sportliche Unterhaltung geboten. Doch dann kommt der 5. September - und mit ihm Tod und unsägliches Leid. 50 Jahre später sind noch viele Fragen offen.

Als am 26. August 1972 die Olympischen Sommerspiele in München eröffnet werden, ist die Stimmung fröhlich, zehn Tage später herrscht blankes Entsetzen. Am 5. September um 4.55 Uhr fallen palästinensische Terroristen der Organisation "Schwarzer September" in die Unterkunft der israelischen Mannschaft im Olympiadorf ein. Sie erschießen zwei Athleten und nehmen neun Geiseln. Eine Horrortat, die erst spät in der Nacht in einem Blutbad endet, bei dem neun Geiseln und ein Polizist sterben. Die Sportwettkämpfe werden unterbrochen und nach einem Tag fortgesetzt. "The Games must go on", so die höchst umstrittene Parole.

Heute, am 5. September, wird nun in München der Ermordeten gedacht werden. Doch die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag wurden im Vorfeld von langen Diskussionen begleitet: Opferfamilien halten den Umgang mit dem Attentat für ebenso unzureichend wie die bisher gezahlte Entschädigung, sie riefen deswegen zum Boykott der Veranstaltung auf.

Erst wenige Tage vor dem Jahrestag kam es zu einer Einigung - 28 Millionen Euro sollen wohl aus Deutschland an die elf Familien der israelischen Hinterbliebenen fließen. Dazu ist eine Aufarbeitung der Ereignisse von damals durch eine Historiker-Kommission geplant, besetzt mit Experten aus Deutschland und Israel. Der frühere FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum hatte das Paket mit den Hinterbliebenen ausgehandelt.

Die Weltöffentlichkeit ist live dabei

Vor 50 Jahren schaut die Welt zu, wie in München aus Spielen des Friedens Spiele des Grauens werden. Dem Angriff in den frühen Morgenstunden folgen zermürbende Verhandlungen, die Attentäter stellen immer wieder Ultimaten, die ablaufen. Versuche, zu den Geiseln vorzudringen, scheitern. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und andere bieten sich als Ersatzgeiseln an, ohne Erfolg. Die Terroristen fordern schließlich ein Flugzeug, um mit ihren Gefangenen nach Kairo zu fliegen. Am Flugplatz Fürstenfeldbruck wird dafür eine Maschine bereitgestellt, zeitgleich suchen die Sicherheitskräfte unter Hochdruck nach Wegen, die gefangenen Sportler zu befreien.

Als gegen 22.30 Uhr zwei Hubschrauber mit Terroristen und Geiseln an Bord in Fürstenfeldbruck landen, kommt es zur Katastrophe. Bei wüsten Schusswechseln sterben alle Geiseln und ein Polizist im Kugelhagel. Auch fünf Attentäter kommen um. Drei weitere werden festgenommen, werden aber schon im Oktober mithilfe einer Flugzeug-Entführung freigepresst.

Kameraleute und Schaulustige beobachten das Geschehen im Olympischen Dorf.

Kameraleute und Schaulustige beobachten das Geschehen im Olympischen Dorf.

(Foto: IMAGO/Sammy Minkoff)

Ein Debakel, das schärfste Vorwürfe an der Vorgehensweise nach sich zieht und viele sprach- und ratlos macht. Die Journalisten Uwe Ritzer und Roman Deininger haben die Ereignisse für ihr Buch "Die Spiele des Jahrhunderts" noch einmal zusammengetragen. Viele Pannen führen sie darin auf. So konnten die Attentäter die Polizeiaktionen im Olympischen Dorf live am Fernseher verfolgen, weil alles weltweit im TV übertragen wurde. Später in der Nacht wurde zudem fälschlich verkündet, dass die Geiseln in Fürstenfeldbruck glücklich befreit worden seien - Stunden danach musste ihr Tod vermeldet werden.

Hätte der 5. September verhindert werden können?

Deininger und Ritzer kritisieren auch, was in den Jahrzehnten danach geschah. Insbesondere, dass erst 2017 nach mehr als 40 Jahren ein Erinnerungsort im Olympiapark geschaffen wurde. "Dass es so lange dauert, kann man eigentlich nur als Fortsetzung des Versagens von 1972 begreifen", schreiben sie. "Vermutlich ist die traurige Wahrheit schlicht, dass es den Verantwortlichen von damals widerstrebt, ihre katastrophalen Fehler auch noch zur Schau zu stellen."

Sven Felix Kellerhoff erzählt in dem vor wenigen Monaten erschienenen Buch "Anschlag auf Olympia" die Geschehnisse minuziös nach. Seit einem halben Jahrhundert werde darüber gestritten, ob das Drama durch bessere Vorbereitung hätte verhindert werden können und ob die Verantwortlichen angemessen reagiert haben. "Die Antworten sind verstörend eindeutig: Ja, der 5. September 1972 hätte verhindert werden können, und nein, die Verantwortlichen haben nicht angemessen reagiert", meint er.

Doch die Wirklichkeit sei differenzierter. Kellerhoff verweist auf das Sicherheitskonzept, das 27 Jahre nach dem Ende des Nazi-Terrors ein freundliches Gastgeberland präsentieren sollte. Dennoch sieht der Autor auch schwere polizeiliche Versäumnisse im Vorfeld der Spiele.

Die Konsequenzen des 5. Septembers

Die Politik zog Konsequenzen. Drei Wochen nach dem Anschlag, am 26. September 1972, wurde die Spezialeinheit GSG9 gegründet - für den Antiterroreinsatz und zur Befreiung von Geiseln. Zudem gab der Staat Geld: 1972 und 2002 rund 4,6 Millionen Euro als humanitäre Geste für die Betroffenen. Dazu rund eine halbe Million Euro Leistungen des Nationalen Olympischen Komitees und Spenden des Deutschen Roten Kreuzes. 1994 forderten Familien vor Gericht 40 Millionen Mark (rund 20,45 Millionen Euro) Schadenersatz wegen massiver Fehler während des Polizeieinsatzes. Eine Klage, die aber wegen Verjährung scheiterte.

Ankie Spitzer wurde über Jahrzehnte zum Gesicht der Hinterbliebenen. Für sie reichte das Gezahlte nicht aus, um den Tod ihres Mannes, des Fechttrainers André Spitzer, wiedergutzumachen. "Ich hätte ihnen schon längst vergeben, aber sie waren immer so absurd demütigend", sagte Spitzer erst kürzlich dem Deutschlandfunk. Deutschland wollte zunächst nicht mehr zahlen, auch um kein zu großes Ungleichgewicht im Vergleich zur Entschädigung anderer Terroropfer entstehen zu lassen.

Die deutschen Behörden sind nicht der einzige Gegner der Hinterbliebenen in der Angelegenheit: 2012, während der Olympischen Spiele in London, hatten sie dem Internationalen Olympischen Komitee schwere Vorwürfe gemacht, weil dieses ihre Forderung nach einer Gedenkminute während der Eröffnungsfeier ausgeschlagen hatte.

Auch Ilana Romano, Witwe des ermordeten Gewichthebers Yossef Romano, kann nicht vergessen: "Auch nach 50 Jahren ist es immer noch schwer", sagte sie in Tel Aviv. "Manche sagen, dass die Zeit die Wunden heilt. Und ich sage: Absolut nicht! Die Zeit hat sie nicht geheilt, alles ist noch ganz glasklar, wir erinnern jede Einzelheit."

Quelle: ntv.de, Ulf Vogler & Cordula Dieckmann, dpa

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