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"Babys wurden nicht ermordet" Experten halten Krankenschwester Lucy Letby für unschuldig

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In jedem einzelnen Fall gab es Versäumnisse im Krankenhaus.

In jedem einzelnen Fall gab es Versäumnisse im Krankenhaus.

(Foto: AP)

Die britische Krankenschwester Lucy Letby wird 2023 wegen Mordes an sieben Babys verurteilt. Ein Expertenbericht zeigt nun gravierende Fehler im medizinischen System und stellt die Verurteilung infrage. Demnach wurde keiner der Säuglinge ermordet.

Im August 2023 wird Lucy Letby zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Geschworenen sind überzeugt, dass die britische Krankenschwester in den Jahren 2015 und 2016 sieben Babys unter anderem durch das Spritzen von Luft in die Venen auf einer Neugeborenenstation tötete. Bei sieben weiteren Babys gehen sie von versuchtem Mord aus.

Nicht einmal zwei Jahre später könnte dieser Prozess völlig neu aufgerollt werden, denn inzwischen halten viele das Urteil für einen Justizirrtum. Nun sorgt der Abschlussbericht eines internationalen Expertengremiums aus Kinderärzten und Neonatologen, das jeden einzelnen Fall untersucht hat, für einen Paukenschlag. An der Spitze der Gruppe steht Dr. Shoo Lee, ein emeritierter Professor an der Universität Toronto.

Die Fallberichte zu jedem Baby wurden jeweils von zwei Experten unabhängig voneinander geprüft. Wichen diese Einschätzungen voneinander ab, überprüfte ein drittes Mitglied des Gremiums den Fall, bis es eine einvernehmliche Bewertung gab. Bei den Untersuchungen stand eine medizinische Bewertung im Vordergrund, nicht ob Letby juristisch schuldig ist oder nicht.

Lange Liste an Fehlern

Die Einschätzungen der Expertinnen und Experten fallen verheerend aus. Ein Baby starb an einer nicht erkannten Thrombose, ein anderes, weil nicht erkannt wurde, dass es unter Atemnot litt, ein weiteres hatte schon im Mutterleid Diabetes, wurde aber nicht angemessen versorgt.

In anderen untersuchten Fällen wurden Überwachungswarnungen ignoriert, falsche Antibiotika verabreicht, es gab Diagnosefehler und mangelnde Kenntnisse bei grundlegenden medizinischen Verfahren, Warnungen vor Infektionen wurden missachtet. Insgesamt hätten vermutlich mehr als ein Dutzend Probleme zum Tod der Babys beigetragen, so die Einschätzung der Expertinnen und Experten.

"Es gab in keinem der 17 Fälle des Prozesses medizinische Beweise dafür, dass ein Fehlverhalten zu Tod oder Verletzungen geführt hätte", schreiben sie in der Zusammenfassung ihrer Erkenntnisse. "Der Tod oder die Verletzungen der betroffenen Säuglinge waren auf natürliche Ursachen oder Fehler in der medizinischen Versorgung zurückzuführen."

Neues Verfahren wahrscheinlicher

Letby hatte vor Gericht immer ihre Unschuld beteuert und nach dem Urteil bereits zwei Berufungsanträge gestellt, die jedoch abgelehnt wurden. Ihre Verurteilung basierte vor allem auf Indizien, zumeist Aufzeichnungen, in denen sie sich selbst als "böse" bezeichnet hatte. In den Prozessen waren keine forensischen Psychologen zu Wort gekommen, um die Aufzeichnungen und ihren Wahrheitsgehalt zu interpretieren. Schon nach dem Urteil waren Befürchtungen laut geworden, dass damit strukturelle Mängel, die möglicherweise zum Tod der Babys beigetragen haben, weiterhin unberücksichtigt bleiben. Das könnte weitere Säuglinge das Leben kosten, warnten Experten.

Auch führende Statistiker hatten schwere Bedenken hinsichtlich der Art der Beweisführung angemeldet. Die Verurteilung sei wackelig, weil sie weitgehend auf der Häufung von Todesfällen basierte, wenn die Krankenschwester im Dienst war, so die Kritik. Todesfälle, die sich ereigneten, als Letby nicht im Dienst war, seien ausgeklammert worden.

Letbys Rechtsanwalt Mark McDonald, ein auf Berufungen und Justizirrtümer spezialisierter Anwalt, den sie nach ihrer Verurteilung engagiert hatte, sieht in dem Expertenbericht eine Bestätigung der Unschuld seiner Mandantin. Die Einschätzung habe die Anklage gegen Letby zunichtegemacht und stelle einen "überwältigenden Beweis dafür dar, dass diese Verurteilung nicht gerechtfertigt ist", so McDonald.

Die Criminal Cases Review Commission (CCRC), die für die Untersuchung möglicher Justizirrtümer zuständig ist, teilte nach der Übergabe der Ergebnisse mit, dass sie den Fall offiziell prüfe.

Quelle: ntv.de

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