Verblüffende Zahlen in Bergamo Herdenimmunität in Italien bereits Realität?
18.11.2020, 18:23 Uhr
Die italienische Stadt Bergamo, in der die erste Corona-Welle besonders stark gewütet hatte, hat in der zweiten Welle bisher auffällig niedrige Infektionszahlen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Frühjahr wütet das Coronavirus in Bergamo. Die italienische Stadt wird zum Hotspot der ersten Pandemie-Welle. Heute sind die Fallzahlen dagegen erstaunlich niedrig. Experten vermuten dahinter eine Herdenimmunität. Doch sicher ist das nicht.
Die erste Welle der Coronavirus-Pandemie trifft den Norden Italiens im Frühjahr mit voller Wucht. Hunderttausende Menschen infizieren sich, viele sterben. Vor allem die Bilder aus Bergamo schocken ganz Europa: Krankenhäuser können Covid-19-Patienten nur noch notdürftig auf Fluren versorgen. Städtische Krematorien sind mit der Anzahl der Corona-Todesopfer überfordert. Militärtrucks müssen massenweise Särge abtransportieren. Die norditalienische Stadt ist zum Symbol dessen geworden, was passiert, wenn sich das Coronavirus unkontrolliert ausbreitet und das Gesundheitssystem zusammenbricht.
Heute sind die Fallzahlen ausgerechnet in dem einstigen Corona-Hotspot eher gering. Wie die italienische Zeitung "Il Fatto Quotidiano" schreibt, zeigte sich in der Provinz Bergamo im Oktober das langsamste Wachstum bei den Infektionszahlen in der gesamten Region.
Berechnungen der Zeitung zufolge nahm die Zahl der Ansteckungen in Bergamo zwischen dem 2. und dem 23. Oktober nur um 6,9 Prozent zu. Im 50 Kilometer entfernten Mailand hingegen, das in der ersten Welle vergleichsweise milde getroffen worden war, wurde im selben Zeitraum ein Plus von 60,7 Prozent verzeichnet. Das Blatt vermutet als Ursache hierfür, dass es in Bergamo schon die sogenannte Herdenimmunität gibt.
Sollte sich die Vermutung der Zeitung bestätigen, würde Bergamo bereits zum zweiten Mal Corona-Geschichte schreiben: Es könnte die erste Stadt des Kontinents werden, in der diese Herdenimmunität nachgewiesen wird. Das bedeutet, dass genug Einwohner immun gegen den Erreger sind, sodass sich das Virus nicht weiter ausbreiten kann. Damit dieser Effekt einsetzt, müssen laut Experten etwa zwei Drittel der Bevölkerung bereits Kontakt mit dem Virus gehabt haben und eine entsprechende Immunreaktion zeigen.
Herdenimmunität oder einfach Angst?
Luca Lorini, Leiter der Abteilung für Notfallmedizin am Krankenhaus Papa Giovanni in Bergamo, glaubt, dass dieser Fall in seiner Stadt eingetreten ist: "Die Antikörper schützen vor einer abermaligen Infektion. Darum erkranken die Menschen in Bergamo jetzt weniger", zitiert ihn die "Welt". Studien hätten gezeigt, dass im Frühjahr im Schnitt 35 bis 40 Prozent der Einwohner von Bergamo mit Covid-19 in Kontakt gekommen seien. In einigen umliegenden Kleinstädten hätten die Antikörpertests sogar bei 60 Prozent der Bevölkerung angeschlagen. Dass sich in der Provinz Bergamo inzwischen weniger Menschen als anderswo infizieren, könnte ein Indiz zumindest für eine teilweise Herdenimmunität sein.
Allerdings gibt es auch andere naheliegende Erklärungen für das Phänomen: Den Menschen in den besonders betroffenen Städten wie Bergamo sitzt der Schreck über den Ausbruch im Frühjahr und das Trauma durch die verheerenden Folgen noch tief. In der zweiten Welle verhalten sie sich daher deutlich vorsichtiger als die Bürger in den Nachbarregionen. Auch Bergamos Notfallmedizin-Chef Lorini zieht diese Theorie in Betracht. Außerdem räumt der Arzt ein, dass die Antikörper nach einer bisher undefinierten Zeitspanne verschwinden würden und der Schutz vor einer Neuinfektion dann nicht mehr gegeben sei.
Quelle: ntv.de, hny