Tödliches Mittagessen Ist Erin Patterson eine Giftpilz-Mörderin?


Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, ihre Angehörigen vorsätzlich vergiftet zu haben.
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In einer australischen Kleinstadt isst Erin Patterson mit vier Verwandten zu Mittag. Drei Gäste sind wenig später tot - gestorben durch einen hochgiftigen Pilz. Im Prozess muss die Jury nun über eine Frage entscheiden: War es Mord oder ein tragisches Versehen?
In Erin Pattersons Küche muss es am 29. Juli 2023 nach gebratenen Pilzen gerochen haben. Die heute 50-Jährige aus der australischen Kleinstadt Leongatha hatte vier Gäste zu einem aufwendigen Mittagessen eingeladen: Beef Wellington, dazu Kartoffelpüree und Bohnen. Den gesamten Vormittag stand Patterson nach eigener Aussage in der Küche. Das mit einem Teig ummantelte Fleisch hatte sie mit einer Paste paniert, bestehend aus Knoblauch, Schalotten und eben Pilzen.
Doch der Familienlunch endete für drei Essensgäste tödlich. Ein Anwesender überlebte knapp. Gegen die Gastgeberin steht nun ein Mordprozess vor dem Abschluss, der Stoff für einen Kriminalroman bietet. Denn Patterson soll den zerkleinerten Champignons absichtlich eine weitere Zutat hinzugefügt haben: Knollenblätterpilze, eine der giftigsten Pilzarten der Welt.
Das Gerichtsverfahren in der Stadt Morwell wird von einem Medienansturm begleitet. Der australische Sender ABC produziert einen täglichen "Pilz-Update"-Podcast - der derzeit beliebteste Australiens. Das britische Magazin "The Spectator" spricht von "Australiens Prozess des Jahrhunderts". Die seit neun Wochen andauernden Verhandlungen kreisen um Familienverhältnisse, eine Dörrmaschine und eine Angeklagte, die ihre Unschuld beteuert.
Eine entfremdete Familie
Patterson, Mutter von zwei Kindern, hatte sich von ihrem Mann entfremdet. Das Paar war nicht geschieden, lebte aber in getrennten Wohnungen. Ihre Beziehung sei wegen finanzieller Probleme und Streitigkeiten über die Kinder angespannt gewesen, berichtet unter anderem CNN. Die Angeklagte hatte demnach auch ihren Ehemann zum Essen eingeladen, der sagte aber am Vorabend per SMS ab. Er habe sich "zu unwohl" gefühlt.
Die Dinnergäste, zwei Ehepaare, waren allesamt direkte Angehörige des Mannes. Don und Gal Patterson: seine Eltern und damit Erin Pattersons Schwiegereltern. Sowie Heather und Ian Wilkinson: seine Tante und sein angeheirateter Onkel. Ian Wilkinson, der einzige überlebende Gast, sagte CNN zufolge im Zeugenstand, er sei überrascht, aber "sehr glücklich" über die Einladung gewesen. Das Verhältnis zwischen dem 71-Jährigen und der Angeklagten sei "freundschaftlich" gewesen, er habe sie aber eher als Bekannte betrachtet.
Wilkinson, ein Pastor in der örtlichen Kirche, sagte demnach, Patterson habe ihm während der Corona-Pandemie geholfen, Gottesdienste auf Youtube zu übertragen. Ab und zu habe sie seine Predigten besucht. "Sie wirkte einfach wie ein ganz normaler Mensch." Den Grund für die Einladung habe Patterson schließlich nach dem Essen mitgeteilt: "Erin gab bekannt, dass sie Krebs hat. Sie sagte, sie sei sehr besorgt, weil sie glaubte, es sei sehr ernst, lebensbedrohlich." Die Runde hätte daraufhin gemeinsam gebetet.
Angeklagte hatte Geheimnis
Vor Gericht kam heraus: Bei Patterson wurde nie Krebs diagnostiziert. "Sie hätten nie gedacht, dass Sie sich für diese Lüge über die Krebserkrankung verantworten müssten, weil Sie dachten, die Mittagsgäste würden sterben", warf die Staatsanwaltschaft der Angeklagten vor. "Das stimmt nicht", antwortete Patterson dem CNN-Bericht zufolge.
Sie habe die Krebserkrankung erfunden, um eine andere, anstehende medizinische Behandlung zu verschleiern, die ihr peinlich gewesen sei: eine Magenverkleinerung. Patterson leidet nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten unter Fressattacken, zuletzt mehrmals wöchentlich. Anschließend übergebe sie sich. Dem Gericht liegen Belege eines Beratungstermins für eine Magenbypass-Operation in einer Klinik in Melbourne vor.
Stunden nach dem Mittagessen mussten sich den Ermittlungen zufolge Pattersons Gäste plötzlich übergeben. Doch erst am nächsten Morgen, mit schwerem Durchfall und Erbrechen, kamen die vier ins Krankenhaus. Ihr Zustand verschlechterte sich rapide, sie wurden in eine größere, auf Lebererkrankungen spezialisierte Klinik verlegt.
Denn die Giftstoffe der Knollenblätterpilze führen zu einem Absterben der Leberzellen, was wiederum zu Organversagen und Tod führen kann. Die Behandlung ist komplex und muss so früh wie möglich erfolgen. Für drei Vergiftete kam sie zu spät. Die 70-jährige Gail Patterson und die 66-jährige Heather Wilkinson waren zu schwach für eine Lebertransplantation und starben am 4. August an multiplem Organversagen. Der 70 Jahre alte Don Patterson erhielt zwar noch eine Transplantation, starb aber einen Tag später.
Auch Gastgeberin im Krankenhaus
Pastor Ian Wilkinson lag im künstlichen Koma und wurde künstlich beatmet, sein Körper sprang jedoch gut auf die Behandlungen an. Im September 2023 wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Und die Gastgeberin? Nachdem das Mittagessen als gemeinsamer Nenner der Vergiftungen ausgemacht worden war, ging auch sie den Angaben zufolge in ein Krankenhaus, entließ sich zunächst selbst, blieb dann auf ärztlichen Rat aber doch.
Die Angeklagte beschrieb ihr Befinden so: Sie habe nach dem Lunch Durchfall gehabt, dies aber als einfache Magen-Darm-Symptomatik abgetan. Als die Gäste gegangen waren, habe sie in einer Heißhungerattacke zwei Drittel eines mitgebrachten Orangenkuchens gegessen und musste sich daraufhin übergeben.
Die Staatsanwaltschaft stellt infrage, dass dies die Auswirkungen des Knollenblätterpilzes hätte abmildern können. Pattersons Anwalt sagte, je nach Verzehrmenge könnten sich die Symptome der Vergiftung unterscheiden. Hinweise auf eine Vergiftung mit einem Knollenblätterpilz fanden die Ärzte zwei Tage nach dem Essen bei der Angeklagten laut Staatsanwaltschaft jedoch nicht.
Ein Küchengerät im Fokus
Im Wesentlichen befasst sich der Prozess mit der Frage, auf welchem Weg die Knollenblätterpilze in das Essen gelangt sein könnten und ob das mit Vorsatz geschah. Im Zentrum steht ein Dörrautomat. Mit dem Gerät soll die Hobby-Pilzesammlerin Patterson regelmäßig Pilze getrocknet haben. Bei den Vorbereitungen für das folgenschwere Mittagessen habe die Panade für das Beef Wellington "etwas fad" geschmeckt, woraufhin sie weitere Pilze hinzugegeben habe, die in der Speisekammer aufbewahrt waren, so Patterson.
Sie sei damals der Auffassung gewesen, es habe sich um Pilze gehandelt, die sie bei einem asiatischen Supermarkt in Melbourne gekauft hatte. Im Nachhinein könne sie aber nicht ausschließen, dass auch Selbstgesammelte darunter waren, die sie zuvor mit dem Dörrgerät getrocknet hatte, möglicherweise auch unwissentlich gesammelte Knollenblätterpilze. Die Giftpilze kommen in Pattersons Umgebung vor, wenn auch selten und nur für wenige Wochen im Jahr.
Also alles ein Versehen? Die Staatsanwaltschaft glaubt das nicht. Nachdem die Angeklagte aus dem Krankenhaus entlassen worden war, brachte sie das Dörrgerät in ein Recyclingzentrum. Dabei wurde sie von einer Videoüberwachung gefilmt. Sie habe "Angst" gehabt, dass man ihr die Schuld für die Vergiftung geben und die Kinder wegnehmen würde, rechtfertigte Patterson ihr Verhalten. Analysen des Geräts stellten später laut den Anklägern Rückstände von Knollenblätterpilzen fest.
Gelöschte Bilder und Lügen
Zudem gab Patterson zu, Bilder von Pilzen und dem Dörrgerät von ihrem Handy gelöscht und gegenüber den Ermittlern gelogen zu haben. Die 50-Jährige sagte der Jury, das sei eine "dumme, reflexartige Reaktion" gewesen, in die sie sich verstrickt und weiter gelogen habe. Etwa über ihr Pilzesammeln, das sie in einem Verhör offenbar geleugnet hatte, eigentlich aber schon seit der Corona-Pandemie betreibe, wie sie vor Gericht aussagte.
Im Verhandlungssaal wurden Medienberichten zufolge auch Facebook-Chatnachrichten verlesen. Darin ließ Patterson gegenüber Freunden Dampf über die Familie ihres Mannes ab: Die Schwiegereltern würden sich in einen Streit über den Kindesunterhalt einmischen. "Ich habe diesen Scheiß satt und will nichts mit ihnen zu tun haben", schrieb sie demnach unter anderem im Dezember 2022. Patterson sagte im Prozess, sie bereue diese Worte. Ihr Anwalt spricht von einem kurzen, "einvernehmlich beigelegten" Streit.
Inzwischen wurden die Schlussplädoyers gesprochen. Pattersons Verteidiger nannten die Mordanklage laut Medienberichten "lächerlich". Patterson habe kein Motiv gehabt. "Was passiert ist, war eine Tragödie und ein schrecklicher Unfall". Die Staatsanwaltschaft geht hingegen davon aus, dass die Angeklagte die Giftpilze gezielt gepflückt hat, um damit ihre Verwandten umzubringen. Das sei die einzige, vernünftige Erklärung, hieß es. Die Beratungen der Jury sollen voraussichtlich am Freitag beginnen. Das Urteil muss einstimmig sein.
Quelle: ntv.de