Long-Covid-Behandlung beschränkt Lauterbach: Haben Medikamente, aber können sie nicht anwenden
12.09.2023, 19:48 Uhr Artikel anhören
Die Behandlung von Patienten dürfe nicht an Bürokratie scheitern, betonte der Minister.
(Foto: picture alliance/dpa)
Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Long Covid. Eigentlich benötigen sie dringend eine Therapie, doch die Möglichkeiten sind begrenzt. Zwar gibt es bereits Mittel zur Behandlung, Ärzte in Deutschland können sie jedoch bisher nicht verschreiben. Das soll sich nun schnell ändern.
Offiziell ist die Corona-Pandemie beendet. Einschränkungen im Alltag, das Tragen einer Maske oder Abstandsregeln sind allenfalls freiwillig, längst ist wieder Normalität in den Alltag eingekehrt. Allerdings längst nicht bei allen. Rund 36 Millionen Menschen in Europa leiden der Weltgesundheitsorganisation WTO zufolge an Long Covid - das wäre in etwa jeder 30. Europäer. Experten schätzen die Zahl der Erkrankten in Deutschland derzeit auf rund 2,5 Millionen. Millionen Menschen spüren die Folgen der Pandemie damit jeden Tag, für viele ist ein normaler Alltag in weite Ferne gerückt.
6 bis 15 Prozent aller Corona-Infizierten erkranken an Long Covid, schätzt das Robert-Koch-Institut anhand verschiedener Studien. Dabei ist "Long Covid" eine Art Überbegriff und schließt alle Patienten ein, die vier Wochen nach ihrer Infektion noch Symptome haben. Wer nach drei Monaten noch anhaltend krank ist, hat das "Post-Covid-Syndrom".
Long Covid ist, das machen die Daten deutlich, kein Nischenproblem. Die Betroffenen leiden unter vielfältigen Symptomen. Das RKI berichtet etwa von Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, Kurzatmigkeit, Husten, Kopfschmerzen, Herzrasen, Magen- und Darmbeschwerden und psychischen Problemen wie Depressionen. Eins haben die meisten Erkrankten jedoch gemeinsam: Sie leiden unter einer tiefen Erschöpfung, dem Fatigue-Syndrom. Bei einigen Patientinnen und Patienten ist dies bereits chronisch. Während die Erkrankung für die Betroffenen oft enorm einschränkend ist, macht sich die Erkrankung auch bei den Krankenkassen deutlich bemerkbar. So melden sich die Betroffenen im Durchschnitt 105 Tage arbeitsunfähig, wie die Techniker Krankenkasse meldete. Das ist rund 7 mal so viel wie der Durchschnitt der Versicherten.
Trotz der enormen Einschränkungen ist vieles im Zusammenhang mit den Corona-Langzeitbeschwerden noch ungewiss. So stecken die Diagnose- und Behandlungsverfahren noch in den Kinderschuhen. Für die Betroffenen wird das zur enormen Herausforderung, denn die Möglichkeiten der Therapie sind bisher stark begrenzt. Ein Mittel zur Heilung der Krankheit ist bisher nicht in Sicht. Ärztinnen und Ärzte können somit nur die Symptome, etwa Schmerzen oder Schlafstörungen, behandeln. Problematisch ist dabei vor allem, dass es noch keine spezifisch für die Behandlung von Long Covid zugelassenen Arzneimittel gibt.
Zugang zu Medikamenten erleichtern
Das soll sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zufolge nun ändern: Long-Covid-Patienten sollen so schnell wie möglich einen erleichterten Zugang zu Arzneimitteln erhalten, verkündete der Minister nach einer Diskussion mit über 70 Gästen und Experten über die Verbesserung der Versorgung von Long-Covid-Erkrankten. Dieser Runde Tisch ist Teil der im Juli vorgestellten Initiative Long Covid des Bundesgesundheitsministeriums.
Zu dem Vorhaben gehört auch die Investition von 41 Millionen Euro in die Erforschung der Folgeerkrankungen von Corona-Infektionen. Rund die Hälfte davon soll in die Versorgungsforschung fließen. Ursprünglich hatte Lauterbach 100 Millionen Euro für die Initiative angekündigt, der Betrag wurde bei der Aufstellung des Haushaltsplans jedoch drastisch gekürzt. Nun kündigte der Minister an, eine "Allianz über die Parteigrenzen hinweg" aufbauen zu wollen, um weitere 60 Millionen für die Long-Covid-Forschung zu gewinnen.
Der Druck des Gesundheitsministers auf das Finanzministerium hat einen guten Grund: Ursache und Verläufe von Long-Covid-Erkrankungen sind "leider immer noch nicht ausreichend klar", betonte Lauterbach. Zwar habe es in den vergangenen Monaten "sehr wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse" in der Grundlagenforschung gegeben, allerdings fehle es an Studien, die die gewonnenen Hypothesen belegen oder verwerfen. Diese Forschung kostet jedoch Geld. Lauterbach wolle sich daher auch im G7- und G20-Rahmen dafür einsetzen, mehr Geld für die Long-Covid-Untersuchungen zu gewinnen.
Kommission erarbeitet Liste für Off-Label-Use
Allerdings, so der Minister weiter, brauche es neben der Forschung eine schnelle Hilfe für die Erkrankten. So habe man mittlerweile "gute Hinweise auf die Ursachen" von Long Covid. Bis diese Erkenntnisse zu einem therapeutischen Konzept werden, "werden jedoch Jahre vergehen", räumt der Minister ein. "Bis dahin können wir die Patienten nicht unbehandelt lassen." Der erste Schritt sei daher die einfachere Versorgung mit Medikamenten.
Manche Arzneien könnten die Leiden von Patienten mit Langzeitfolgen einer Corona-Infektion lindern, "obwohl sie nicht speziell für diese Erkrankung entwickelt wurden", erklärte Lauterbach und nannte das Mittel Paxlovid als Beispiel. Das Mittel zeigte in einigen US-Studien vielversprechende Wirkung bei einigen Long-Covid-Patienten. Allerdings können Medikamente wie diese in Deutschland bisher nicht verschrieben werden, weil sie als Long-Covid-Medikament keine Zulassung haben. "Wir haben Medikamente, die wirken", in Deutschland könnten sie aber nicht angewendet werden, fasste es Lauterbach zusammen. Dies sei in anderen Ländern wie etwa Schweden einfacher geregelt, Deutschland hänge in diesem Punkt der Versorgung hinterher.
Eine Kommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll daher schnellstmöglich eine Liste mit Medikamenten erarbeiten, die für Long-Covid-Erkrankte auch außerhalb der Zulassung, also im sogenannten Off-Label-Use, verordnet werden können. Die Behandlung der Patienten dürfe "nicht an Formalien scheitern", betonte der Minister. Auch Karl Broich, der Chef des BfArM, versprach nach der Expertenrunde Tempo. Die Liste mit empfohlenen Medikamenten soll noch in diesem Jahr kommen, man werde bei der Erstellung auf das "Gaspedal" treten.
Die Empfehlungen sind ein wichtiger Schritt für die Finanzierung der Behandlungen. Denn erst, wenn die Mittel offiziell empfohlen werden, können sie bei den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Zudem gebe die Liste Ärztinnen und Ärzten rechtliche Sicherheit und sorge für einen breiteren Kenntnisstand in der Behandlung von Long Covid, betonte Lauterbach.
Die Notwendigkeit hierfür zeigt sich in der bisherigen Praxis. Für die Erkrankten wird nicht nur das Warten auf eine Therapie sowie die eingeschränkten Möglichkeiten zur Odyssee, sondern bereits die Diagnose. So gibt es bisher nur wenige auf Long Covid spezialisierte Anlaufstellen. In Hausarztpraxen wurden die Beschwerden der Patienten nicht selten als psychische Probleme abgetan. In einigen Fällen kam es zu falschen, in wenigen sogar zu schädlichen Therapien. Man habe über die Wissenslücken vieler Mediziner im Expertenkreis "sehr offen gesprochen", sagte Lauterbach. Für einige Betroffene sei es tatsächlich schwer, eine Therapie zu erhalten, die "dem Stand der Forschung entspreche". Das müsse sich nun ändern.
Quelle: ntv.de