New Yorker Prozess spaltet USA Obdachlosen erwürgt: Ist Daniel Penny Held oder Mörder?


Dem 26-jährigen Studenten Penny drohen bis zu 15 Jahre Haft.
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Ein psychisch kranker Mann bedroht in einer New Yorker U-Bahn andere Fahrgäste. Ein junger Ex-Marine greift ein - und erwürgt ihn. War es Selbstverteidigung oder Totschlag? Darüber diskutieren seit über einem Jahr Zeugen, Aktivisten, Republikaner und Demokraten. Nun steht ein Urteil bevor.
Für die einen ist Daniel Penny ein Held, für die anderen ein Mörder. Gewiss ist, dass der 26-jährige Architekturstudent in der New Yorker U-Bahn einen Menschen getötet hat. Seit rund einem Monat verhandelt ein Gericht in Manhattan über Pennys Schuld oder Unschuld. Hat er selbstlos gehandelt und seine Mitmenschen beschützt, oder den Tod eines psychisch Kranken billigend in Kauf genommen? Diese Frage spaltet Zeugen, Politik und die US-amerikanische Öffentlichkeit.
Der Vorfall ereignete sich am 1. Mai 2023. Penny war auf dem Weg ins Fitnessstudio, als er in der U-Bahn auf Jordan Neely traf. Der 30-jährige Obdachlose schrie Augenzeugen zufolge, dass er hungrig sei, einen Job brauche, keine Angst davor habe, ins Gefängnis zu gehen und bereit sei, zu sterben.
Manche Zeugen sagten laut CNN vor Gericht, sie hätten sich durch Neely bedroht gefühlt, andere sagten wiederum, dies sei nicht der Fall gewesen. Eine Frau gab an, als Neely in die U-Bahn stieg, habe sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gehabt, sterben zu müssen. Schließlich nahm Penny den Obdachlosen von hinten in den Würgegriff - um sicherzustellen, dass der Mann niemanden verletze, wie er später der Polizei sagte. Der Angeklagte hatte vor seinem Studium vier Jahre bei den US-Marines gedient und dort nach Angaben seiner Ausbilder Kampfsporttechniken erlernt.
"Lass ihn los!"
Ein Handyvideo zeigt, wie Penny, auf dem U-Bahn-Boden liegend, den Arm um den Hals des regungslosen Neely geklammert hat. Sechs Minuten lang soll der Würgegriff angedauert haben. Zeugen beschrieben, dass der Angeklagte nicht abgelassen habe, obwohl ihn Umstehende dazu aufgefordert hätten. In einem Video hört man einen Passanten rufen: "Lass ihn los!". Ein Mann sagte vor Gericht, Penny habe ihn aktiv daran gehindert, Neely zu helfen. Andere Anwesende sollen Penny hingegen unterstützt haben, den 30-Jährigen bis zum Eintreffen der Polizei zu fixieren. Die Beamten versuchten noch, Neely wiederzubeleben, doch er starb kurz darauf im Krankenhaus. Die Polizei stellte später fest, dass er keine Waffe bei sich trug.
Videos des Vorfalls gingen viral und lösten gegensätzliche Reaktionen aus. Republikaner wie der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, oder der Musiker Kid Rock bezeichneten Penny als "barmherzigen Samariter". Pennys Anwälte sammelten über eine Fundraising-Website mehr als drei Millionen Dollar Spenden für die Rechtskosten ein.
Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez dagegen sprach auf X von "Mord". Die Gouverneurin von New York, Kathy Hochul, sagte, Neely starb, "weil er ein U-Bahn-Passagier war". Sie forderte Konsequenzen. Bekannte demokratische Politiker wohnten Neelys Beerdigung bei. Black-Lives-Matter-Aktivisten warfen dem weißen Penny Rassismus vor, denn Neely war schwarz. An den Prozesstagen demonstrierten stets zwei Gruppen vor dem Gerichtsaal. Die einen jubelten Penny zu, die anderen empörten sich über ihn.
Bürgermeister nimmt Penny in Schutz
Im Zuge des Prozesses entbrannte eine Debatte um die Versorgung psychisch kranker Menschen in New York. Laut dem Bürgermeister der Metropole, Eric Adams, hätten die psychiatrischen Dienste versagt. Neely habe sich "durch die Drehtüren des Systems" bewegt. Den Angeklagten nahm er in Schutz. "In der U-Bahn war jemand, der reagierte und das tat, was wir als Stadt in einem Staat, in dem es eine psychiatrische Einrichtung gibt, hätten tun sollen", sagte Adams in einem Radiointerview.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, hatte Neely mit Schizophrenie, Depressionen und Drogensucht zu kämpfen, nachdem seine Mutter vor 15 Jahren von ihrem Freund erwürgt wurde. In den vergangenen sechs Jahren wurde er immer wieder ins Krankenhaus eingewiesen. Die Polizei nahm ihn mehrfach wegen verschiedener Delikte fest, darunter Schwarzfahren, Diebstahl und ein tätlicher Angriff auf drei Frauen. Zeitweise verdingte er sich als Michael-Jackson-Imitator.
In ihrem Schlussplädoyer am Montag stellte die Verteidigung Penny als Retter der übrigen Fahrgäste dar. "Daniel Penny war derjenige, der sie beschützte. Warum? Weil er etwas hatte, was die anderen nicht hatten, etwas Einzigartiges. Seine Ausbildung", zitiert CNN den Anwalt Steven Raiser.
Neely sei "auf Kollisionskurs mit sich selbst" gewesen und Penny habe "gehandelt, als andere es nicht konnten. Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, das hat er für wildfremde Menschen getan". Die Staatsanwälte würden Penny zum Sündenbock machen, "den einzigen, der mutig genug war, aufzustehen, als er gebraucht wurde. Die Regierung war nicht da, die Polizei war nicht da, als die Menschen Hilfe brauchten", so der Anwalt.
Staatsanwaltschaft: Niemand hätte sterben müssen
Staatsanwältin Dafna Yoran sagte im Schlussplädoyer der Anklage, es sei bewundernswert gewesen, dass Penny seine Mitreisenden schützen wollte. Sie fügte jedoch hinzu: "Er hat einfach nicht erkannt, dass auch Jordan Neelys Leben geschützt werden musste." Am 1. Mai 2023 habe niemand sterben müssen. Doch der Angeklagte habe "viel zu lange und auf viel zu rücksichtslose Weise viel zu viel Gewalt angewendet". Dafür müsse er zur Rechenschaft gezogen werden.
Selbstverteidigung sei nur in seltenen Fällen rechtlich gerechtfertigt, so die Staatsanwältin. Neely habe in der U-Bahn möglicherweise mit tödlicher Gewalt gedroht, Yorans Auffassung nach hätte ein vernünftiger Mensch aber wissen müssen, dass er nicht in der Lage war, diese Drohung wahrzumachen. Sie verwies auf ein Polizeiverhör im Anschluss, in dem der Angeklagte sich nicht nach Neelys Befinden erkundet habe. Es fehle "jegliches Bedauern, jede Reue, jede Selbstreflexion".
Sollte Penny wegen Totschlags verurteilt werden, drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung sind es bis zu vier Jahre. Seit Dienstag beraten sich die Geschworenen.
Quelle: ntv.de