"Nie was Vergleichbares gesehen" Opferzahl nach tödlichem Polizeieinsatz in Rio mehr als verdoppelt
29.10.2025, 17:36 Uhr Artikel anhören
Kriminelle steckten Barrikaden und Autos in Brand, warfen Sprengsätze von Drohnen ab und eröffneten das Feuer auf die Beamten.
(Foto: AP Photo/Silvia Izquierdo)
In Brasilien geht die Polizei mit massiver Gewalt gegen ein Drogenkartell vor. Nach dem Einsatz spricht der Gouverneur von Rio de Janeiro von 64 Todesfällen. Die Justizbehörde geht jetzt von einer wesentlich höheren Anzahl an Opfern aus. Regionalchef Castro steht "zu allem, was wir gestern getan haben".
Bei dem blutigen Einsatz der brasilianischen Polizei gegen Drogenhändler in Rio de Janeiro sind nach Angaben einer Justizbehörde mindestens 132 Menschen getötet worden. "Nach unseren jüngsten Zahlen sind es 132 Tote", teilte die Behörde, die bedürftigen Menschen rechtlichen Beistand leistet, mit.
Der Gouverneur des Bundesstaats Rio, Cláudio Castro, hatte zuvor mitgeteilt, bei dem Polizeieinsatz gegen Drogenhändler seien am Dienstag rund 60 Menschen getötet worden, die Zahl könne aber steigen, da die Toten erst in der Leichenhalle gezählt würden. Die Regierung des Bundesstaats korrigierte die Zahl dann aber ohne Angabe von Gründen auf 58.
Allerdings bargen die Bewohner der Favela Penha Dutzende Leichen aus den umliegenden Brachflächen und Waldgebieten und legten sie auf der Hauptstraße des Viertels ab. Der Sprecher der Militärpolizei, Marcelo de Menezes Nogueira, sagte dem Fernsehsender TV Globo, er gehe davon aus, dass es sich um weitere Tote handele, die noch nicht registriert wurden.
Die Bewohner der Favela reihten die Toten nebeneinander auf, einige unter Decken, viele aber auch nur mit Unterhosen bekleidet. Familienmitglieder suchten nach ihren Angehörigen, andere trauerten bereits um ihre Toten. "In 36 Jahren in der Favela, in denen ich mehrere Einsätze und Massaker miterlebt habe, habe ich noch nie etwas Vergleichbares gesehen wie das, was ich heute sehe", sagte der Aktivist Raull Santiago, der bei der Bergung der Leichen half, zu TV Globo. "Das ist etwas Neues. Brutal und gewalttätig auf einem bisher unbekannten Niveau."
Auch vier Polizisten tot
Der Polizeieinsatz vom Dienstag richtete sich gegen die größte Drogenbande in Rio, Comando Vermelho. Nach Angaben des Gouverneurs Castro war die Razzia der bisher größte Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundesstaats. "60 Kriminelle" seien "neutralisiert" worden, sagte er. Auch vier Polizisten wurden getötet, neun Beamte verletzt. Auch unbeteiligte Zivilisten gerieten ins Kreuzfeuer.
Forensiker bergen die Leichen von Menschen, die gestern getötet wurden und heute aufgereiht im Stadtteil Penha lagen.
(Foto: AP Photo/Silvia Izquierdo)
"Das ist die Realität. Wir bedauern zutiefst, dass Menschen verletzt wurden, aber dies ist eine notwendige, intelligent geplante Maßnahme, die fortgesetzt wird", sagte der Sicherheitsminister von Rio de Janeiro, Victor Santos, dem Sender TV Globo.
Trotz der blutigen Bilanz bezeichnete Castro die Operation als Erfolg. "Wir stehen zu allem, was wir gestern getan haben", sagte er und kondolierte den Familien der vier getöteten Beamten. "Die einzigen Opfer gestern waren diese Polizisten." Es seien 81 Verdächtige festgenommen und 100 Schusswaffen sowie mehr als 200 Kilogramm Drogen beschlagnahmt worden.
Kriegsähnliche Szenen in Rio de Janeiro
Nach dem Einsatz wurden zehn bereits inhaftierte hochrangige Anführer des Comando Vermelho in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt. Sie sollen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Sicherheitskräfte angeordnet haben.
Bei dem Einsatz spielten sich kriegsähnliche Szenen ab. Kriminelle steckten Barrikaden und Autos in Brand, warfen Sprengsätze von Drohnen ab und eröffneten das Feuer auf die Beamten. Rund 2500 Polizisten in Kampfmontur, 32 gepanzerte Fahrzeuge, 12 Räumfahrzeuge, Drohnen und zwei Hubschrauber waren in zwei Armenvierteln im Einsatz. Die Polizei konzentrierte sich auf die Favelas Penha und Alemao im Norden der Stadt in der Nähe des internationalen Flughafens von Rio.
In kaum einem anderen Land der Welt kommen so viele Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben wie in Brasilien. 2024 töteten Sicherheitskräfte in dem südamerikanischen Land 6243 Menschen - durchschnittlich 17 Menschen pro Tag, wie aus dem Jahrbuch für öffentliche Sicherheit hervorgeht. In den USA waren Polizisten im vergangenen Jahr für den Tod von 1378 Menschen verantwortlich, in Deutschland wurden 22 Personen von Beamten erschossen.
Quelle: ntv.de, mpa/dpa/AFP