Panorama

Seit zehn Jahren kaum eine Spur Schicksal von 43 Studenten in Mexiko ist rätselhaft

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Angehörige der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa protestieren vor dem Innenministerium in Mexiko-Stadt.

Angehörige der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa protestieren vor dem Innenministerium in Mexiko-Stadt.

(Foto: dpa)

Im Jahr 2014 verschleppen Polizisten und Bandenmitglieder in Südmexiko 43 Studenten. Abgesehen von drei gefundenen Knochen fehlt von ihnen bis heute jede Spur. Die Angehörigen gehen auf die Straße.

An einer Ecke der Prachtstraße Paseo de la Reforma in Mexiko-Stadt erinnert eine große 43 aus rotem Blech an ein dunkles Kapitel der mexikanischen Geschichte. Vor zehn Jahren wurden 43 Studenten verschleppt - bis heute ist ungeklärt, was ihnen geschehen ist. Am Jahrestag werden die Angehörigen der Opfer auf den Straßen um das Monument demonstrieren und Gerechtigkeit fordern.

Die Nacht des 26. September 2014 war eine Nacht des Schreckens für die Studenten des Lehrerseminars von Ayotzinapa im südlichen Bundesstaat Guerrero. Noch immer unklar ist, was mit ihnen geschah und weshalb korrupte Polizisten die jungen Männer in der Stadt Iguala festsetzten und einem Drogenkartell übergaben, das sie mutmaßlich tötete. Lediglich drei Studenten wurden anhand verbrannter Knochenteile bislang identifiziert.

Enttäuschte Hoffnung

Zunächst waren die Ermittler dem Verdacht nachgegangen, das Drogenkartell Guerreros Unidos und mit ihm verbündete Polizisten könnten die Studenten für Mitglieder einer verfeindeten Bande gehalten haben. Dann stand die Hypothese im Raum, die jungen Männer hätten einen Bus gekapert, ohne zu wissen, dass darin Drogen versteckt waren. Viele Fragen bleiben offen.

Als Präsident Andrés Manuel López Obrador 2018 sein Amt antrat, weckte er hohe Erwartungen. Er setzte eine Wahrheitskommission ein und sagte zu, die Studenten zu finden. Doch seine Amtszeit endet am 30. September mit einem gebrochenen Versprechen. "Vor sechs Jahren gab er uns eine große und schöne Hoffnung. Wir hatten das Gefühl, wir würden die Wahrheit kennen, aber leider war es nicht so", sagt Joaquina García, die Mutter des verschwundenen Studenten Martín Getsemany Sánchez.

Zudem kritisierte der Präsident die Menschenrechtsorganisationen, die die Eltern juristisch vertreten, und diskreditierte immer wieder deren Arbeit. Die Angehörigen hoffen auf einen besseren Dialog mit seiner Nachfolgerin, Claudia Sheinbaum.

Deutsche Waffen von Polizisten eingesetzt

Die meisten der 43 Studenten hatten wenige Wochen vor der Entführung ihr Studium am linken Lehrerseminar von Ayotzinapa begonnen. Sie waren damals zwischen 17 und 33 Jahre alt. Das Männerinternat nimmt Studenten aus bäuerlichen und indigenen Familien auf und gilt seit Jahrzehnten als eine kämpferische und politisch engagierte Institution.

An dem tragischen Wochenende hatten rund 100 Studenten das getan, was an der Hochschule seit langem üblich war und von den Behörden sonst in gewisser Weise toleriert wurde: Sie kaperten mehrere Busse, um zu einer Demonstration zu fahren. Doch diesmal wurden sie in einer koordinierten Aktion von Polizisten und Bandenmitgliedern angegriffen.

Sechs Menschen kamen in dieser Nacht ums Leben. 43 Studenten verschwanden. Andere konnten sich in Sicherheit bringen oder wurden verletzt. Einer von ihnen liegt seitdem mit einem Hirnschaden im Wachkoma. Mehrere der von der örtlichen Polizei eingesetzten Waffen stammten von der deutschen Firma Heckler & Koch, die sie unzulässigerweise in die Unruheregion exportiert hatte.

Als Staatsverbrechen eingestuft

Die offizielle Version von 2014, die Studenten seien getötet und auf einer Müllkippe verbrannt worden, wurde von einer unabhängigen internationalen Ermittlergruppe abgelehnt. Nach späteren Erkenntnissen sollen die Opfer in mindestens drei Gruppen aufgeteilt und an verschiedenen Orten getötet worden sein.

Aufgrund der Beteiligung von Behörden und Sicherheitskräften stufte die Wahrheitskommission die Tat als Staatsverbrechen ein. Auch das Militär soll demnach teilgenommen haben. Doch der Präsident verteidigte die Institution: "Wir haben keine Beweise dafür gefunden, dass die Streitkräfte an dem Verschwinden der jungen Männer beteiligt waren", sagte er. Der Chefermittler und der Leiter der Kommission traten zurück.

Rund 120 Bandenmitglieder, Polizisten, ehemalige Beamten und Soldaten sind in Untersuchungshaft oder während der Strafverfahren nur unter Auflagen auf freiem Fuß. Wegen Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen wurde auch der Ex-Generalstaatsanwalt Jesús Murillo festgenommen. Dutzende weitere Verdächtige mussten freigelassen werden, weil sie mutmaßlich von Ermittlern gefoltert wurden. Verurteilt wurde bislang niemand.

Laut der Menschenrechtsorganisation Centro Prodh ist der Fall der Studenten eines der gravierendsten Beispiele für Ungerechtigkeit und Straflosigkeit in Mexiko. Doch es ist nur die Spitze des Eisbergs: Insgesamt werden in dem lateinamerikanischen Land mehr als 100.000 Menschen vermisst.

Quelle: ntv.de, Andrea Sosa Cabrios, dpa

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