Steigen die Corona-Zahlen? So geht es Deutschlands Nachbarn ohne Isolationspflicht
17.11.2022, 19:06 Uhr
Mit positivem Corona-Test auf die Straße, zur Arbeit und in die Schule? In vielen europäischen Ländern ist das längst möglich.
(Foto: picture alliance/dpa)
Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein schaffen als erste Bundesländer im Alleingang die Isolationspflicht ab. Kritiker fürchten steigende Corona-Zahlen. Ein Blick ins europäische Ausland zeigt jedoch: Das muss nicht der Fall sein.
Nach Bayern und Baden-Württemberg verabschiedet sich nun auch Schleswig-Holstein von der Isolationspflicht für Corona-Infizierte. Ab sofort dürfen Menschen mit einem positiven Test nicht nur auf die Straße gehen, sondern auch zur Arbeit und in die Schule. Die Argumente der Länder: Es sei an der Zeit, Corona wie eine normale Erkrankung zu behandeln und auf Eigenverantwortung zu setzen. Zudem könnten symptomfreie Infizierte mit Maske arbeiten gehen und so die Personalnot lindern. Befürworter der Isolationspflicht, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, warnen hingegen vor steigenden Infektionszahlen.
Doch führt die Aufhebung der Isolationspflicht tatsächlich zu mehr Corona-Fällen? Ein Blick ins Ausland kann Aufschluss geben. Denn mehrere Nachbarländer Deutschlands sind diesen Schritt bereits vor Monaten gegangen.
Österreich: "Verkehrsbeschränkungen" statt Isolationspflicht
So gibt es in Österreich seit August keine Isolationspflicht mehr. Stattdessen gelten "Verkehrsbeschränkungen": Voraussetzung ist, dass sich Infizierte nicht krank fühlen. Dann dürfen sie mit einer FFP2-Maske nicht nur vor die Tür gehen, sondern auch in die Schule und zur Arbeit. Das gilt auch für Lehrer und im Grunde genommen auch für Krankenhauspersonal .
Wie in Deutschland stieß die Entscheidung auch in Österreich auf Kritik. Die sozialdemokratische Opposition sprach von "Verantwortungslosigkeit". Sogar ein eigenes Beratungsgremium der Regierung mahnte, der Schritt sei "mit einer Reihe von unkalkulierbaren Risiken verbunden".
Tatsächlich hatte die Aufhebung der Isolationspflicht aber keine große Auswirkung auf das Infektionsgeschehen. Die Zahl der laborbestätigten Fälle sank sogar bis Mitte September. Dann rollte die Oktoberwelle über Österreich hinweg. Die täglichen Infektionszahlen erreichten damals Spitzenwerte von weit mehr als 100.000. Allerdings hielt der steile Anstieg nur kurze Zeit an. Inzwischen hat sich das Infektionsgeschehen wieder beruhigt, die Werte liegen wieder auf dem Niveau vom Spätsommer.
Allerdings sind die offiziellen Fallzahlen auch beim "Testweltmeister" Österreich mittlerweile mit großen Unsicherheiten verbunden. Das Land testet längst nicht mehr so viel wie zuvor. Und auch die Abwasseruntersuchungen deuten auf eine hohe Dunkelziffer hin. Auswirkungen auf die Krankenhäuser scheint das jedoch nicht zu haben. Lediglich vier Prozent der Intensivstationen sind landesweit mit Covid-Patienten belegt. Und auch auf den Normalstationen liegen seit Ende Oktober immer weniger Corona-Kranke. Die befürchtete Überlastung durch den Wegfall der Isolationspflicht blieb aus.
Für den Fall, dass die Infektionszahlen doch wieder bedrohlich ansteigen sollten, hat die Regierung in Wien einen Notfallplan in der Hinterhand. Der Vier-Stufen-Plan reicht von Maskenpflicht über eine Wiedereinführung der Isolations- und Quarantänepflicht bis hin zu stärkeren Beschränkungen des öffentlichen Lebens. Ein Lockdown kommt dabei aber nur bei einer katastrophalen Entwicklung in Frage - ein derzeit sehr unwahrscheinliches Szenario.
Schweiz setzt auf Eigenverantwortung
Noch vor Österreich schaffte bereits die Schweiz die Isolationspflicht ab, sowie alle anderen Corona-Maßnahmen auch. Seit dem 1. April sind Infizierte nicht mehr verpflichtet, zu Hause zu bleiben. Der Unterschied zu Österreich: Das trifft auch auf Corona-Positive mit Symptomen zu. Zudem wurde die Maskenpflicht in allen Bereichen aufgehoben. Forderungen sie wenigstens in Krankenhäusern, Zügen und Bussen beizubehalten fanden kein Gehör. Die Empfehlungen lauten auch in der Schweiz: Wer krank ist, bleibt zu Hause.
Statt Corona-Regeln beschränken sich Bund und Kantone seitdem auf Impf- und Verhaltensempfehlungen. So sollen etwa Infizierte ohne schwere Symptome sich mit ihrem Arbeitgeber absprechen, ob und wie sie weiterarbeiten.
Verschlimmert hat die Abschaffung aller Maßnahmen die Infektionslage dabei nicht, wie es scheint. Ähnlich wie in Österreich gingen die Fallzahlen zunächst zurück, zumindest auf dem Papier. Die anschließende Sommerwelle jagte die Zahlen zwar nach oben, für die Kliniken war das allerdings zu bewältigen. Inzwischen hat sich die Corona-Lage wieder beruhigt. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt zwar bei 237,8, zudem lässt sich ohne Test- und Isolationspflicht eine hohe Dunkelziffer vermuten. Aber nur etwa vier Prozent der Krankenhauspatienten sind wegen Corona dort. Das gilt den schweizerischen Behörden als Bestätigung, dass es keiner Maßnahmen mehr bedarf.
Allerdings entbrannte eine Debatte über die erhöhte Übersterblichkeit, vor allem bei den über 60-Jährigen. Tatsächlich starben in diesem Jahr in der Schweiz sehr viel mehr Menschen als erwartet. Die Ursache dafür? "Am ehesten die Corona-Wellen", sagte etwa der Berner Epidemiologe und Spezialist für Übersterblichkeit, Marcel Zwahlen, im SWR. Auch der Chefarzt einer Klinik in Winterthur, Urs Karrer, erkenne "einen direkten Zusammenhang mit der weiterhin hohen Coronavirus-Zirkulation", sagte er dem "Tages-Anzeiger". Das Bundesamt für Gesundheit hingegen äußerte, noch keine wissenschaftlich gesicherten Gründe nennen zu können.
Erfahrungen aus weiteren Ländern
In Polen gibt es seit dem 28. März keine Isolationspflicht mehr. Dennoch gab es bei den Corona-Fallzahlen im Frühling und Sommer keine bemerkenswerten Ausschläge. Erst Ende der Sommerferien nahmen die Infektionen wieder etwas zu. Spitzenwerte von um die 40.000 Infektionen pro Tag wie Anfang dieses Jahres wurden trotz fehlender Isolationspflicht nicht annähernd erreicht. Allerdings finden Tests nur noch ab und zu statt. Für die Regierung in Warschau sind weder Isolationspflicht noch andere Corona-Maßnahmen ein Thema.
Zur gleichen Zeit wie Polen schaffte auch Spanien die Isolationspflicht für milde und asymptomatische Fälle ab. Seitdem sind die Infektionszahlen relativ stabil geblieben, obwohl auch hier die offiziellen Zahlen kaum noch aussagekräftig sind. Das Gleiche gilt für die Zahl der Todesfälle. Darüber hinaus ist die Auslastung der Krankenhäuser insgesamt und der Intensivstationen auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Pandemie.
In Großbritannien gibt es ebenfalls seit Ende Februar keine offizielle Pflicht mehr, sich bei einem positiven Corona-Test zu isolieren. Welche Auswirkungen das auf das Infektionsgeschehen hat, kann niemand mit Gewissheit sagen. Denn das Vereinigte Königreich liefert längst keine zuverlässigen Corona-Zahlen mehr. Das Office for National Statistics lässt jedoch jeden Monat 300.000 PCR- und Schnelltests und 120.000 Bluttests im ganzen Land durchführen. Der Report vom 21. Oktober schätzt den Anteil der Corona-Positiven in der Bevölkerung auf über 3,1 Prozent - das wären mehr als 3100 Fälle pro 100.000 Einwohner. Die Lage in den Klinken ist zurzeit jedoch ruhig, doch die Sorge vor einer starken Winterwelle mit Corona und Grippe wächst.
Quelle: ntv.de