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Haftbefehl gegen Bauunternehmer Türkei geht nach Erdbeben gegen Pfusch am Bau vor

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Mehr als 35.000 Tote wurden in der Türkei und im benachbarten Syrien bislang gezählt.

Mehr als 35.000 Tote wurden in der Türkei und im benachbarten Syrien bislang gezählt.

(Foto: picture alliance/dpa/BERNAMA)

Nach dem letzten großen Erdbeben in der Türkei kommen windige Bauträger glimpflich davon: Von 2000 Ermittlungsverfahren werden 1800 eingestellt. Solche Fehler sollen sich nach der jüngsten Katastrophe nicht wiederholen. Ermittler spüren Bauherren auf und verhaften sie.

Eine Luxus-Wohnanlage, die wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt: Die Rönesans-Residenz in Antakya ist nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei zum Sinnbild für tödlichen Pfusch am Bau geworden. Der Bauunternehmer Mehmet Yasar Coskun wurde am Freitag auf der Flucht verhaftet, ebenso wie zwei seiner Kollegen. Die Wut der Bevölkerung richtet sich gegen die Baubranche, das Justizministerium ermittelt gegen 134 Verdächtige.

"Ich weiß nicht, warum das Gebäude eingestürzt ist", beteuerte Bauunternehmer Coskun seine Unschuld. Auch der Bürgermeister, der die Baugenehmigung für die Wohnanlage erteilt hatte, wies die Verantwortung zurück. "Ein privates Unternehmen hat die Kontrollen vorgenommen", sagte Seyfettin Yeral dem Nachrichtenportal T24. "Wir haben gar keine Mitarbeiter für solche Arbeiten."

Vor zehn Jahren errichtete Coskun den Rönesans-Komplex mit seinen 250 Komfort-Appartements samt Schwimmbad in der südtürkischen Stadt. Die Erdstöße am 6. Februar verwandelten den Wohnturm binnen Minuten in einen Haufen Schutt, der für viele Bewohner zum Grab wurde.

114 Haftbefehle erlassen

Mehr als 35.000 Tote wurden in der Türkei und im benachbarten Syrien bislang gezählt. Viele Menschen seien nur deshalb gestorben, weil die Vorschriften für erdbebensicheres Bauen missachtet wurden, sagen Experten. In den Online-Netzwerken fordern viele Türken, die Bauunternehmer zur Rechenschaft zu ziehen. Auch die Behörden konzentrieren sich auf die Suche nach Schuldigen, 114 Haftbefehle wegen Verstößen gegen die Bauvorschriften wurden bereits erlassen.

Der Einsturz der Rönesans-Anlage ist bei weitem kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Hochhäuser in der Region errichtet, in der seit langem mit einem schweren Erdbeben gerechnet wurde. Viele von ihnen offenbar nicht vorschriftsgemäß.

Das Hotel "Isias" in der Provinzhauptstadt Adiyaman beispielsweise war wegen "Unregelmäßigkeiten" beim Bau behördlich geschlossen worden. Wie Zeugen dem Fernsehsender ntv berichteten, wurden die Siegel an den Türen einfach aufgebrochen und das Hotel wieder geöffnet. Als die Erde bebte, übernachtete eine Jugend-Volleyballmannschaft aus Nordzypern im "Isias": Alle Kinder starben, nur vier erwachsene Begleiter überlebten. Die Wände des Hotels seien "gerissen wie Papier", schildern Augenzeugen. "Ich will, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden, sie sind Mörder", sagte die Angehörige eines Opfers dem Sender.

Angeklagte profitierten von Verjährungsfrist

Allen Warnungen renommierter Ingenieure und Architekten zum Trotz hatten windige Bauunternehmer und Bauträger in der Türkei in der Vergangenheit nicht viel zu befürchten. Nach dem schweren Erdbeben 1999 im Nordwesten des Landes vergingen sechs Monate, bevor der erste Beschuldigte verhaftet wurde.

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Die Behörden leiteten schließlich 2100 Ermittlungsverfahren gegen die Bauträger eingestürzter Gebäude ein. Doch nach einer Generalamnestie im Dezember 2000 wurden 1800 davon eingestellt. Nur in 110 Fällen stellten Gerichte eine Schuld fest. Die meisten Angeklagten profitierten von einer Verjährungsfrist, die 2007 in Kraft trat.

Doch nun scheint die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die am 14. Mai wiedergewählt werden will, härter durchzugreifen: Mindestens zwölf Beschuldigte wurden bereits festgenommen.

Quelle: ntv.de, Burcin Gercek und Anne Chaon, AFP

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