Interview mit Timo Ulrichs "Reiserückkehrer stärker in die Pflicht nehmen"
26.07.2021, 14:20 Uhr
Timo Ulrichs ist Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe. Der Mikrobiologe und Infektionsepidemiologe Ulrichs forscht und lehrt an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin.
Rückgabe der Freiheiten und weiter Einschränkungen für Nicht-Geimpfte? Timo Ulrichs wunder sich über die Debatte. Dies sei doch von Anfang an klar gewesen, sagt er im Gespräch mit ntv. Ulrichs plädiert für mehr Überzeugungsarbeit, möchte Reise-Rückkehrer engmaschiger kontrollieren und glaubt dennoch: Wir werden eine vierte Corona-Welle erleben.
ntv.de Angesichts steigender Neuinfektionszahlen richtet sich im Moment der Blick auf die Reiserückkehrer. Markus Söder fordert, man müsse schnell schärfere Regeln einführen. Also nicht erst ab September, sondern schon ab dem 1. August. Sind Reiserückkehrer tatsächlich das Problem?
Timo Ulrichs: Welchen Anteil sie jetzt an einem Wiederanstieg der Neuinfektionen und dann möglicherweise auch an einer noch weiteren Verstärkung dieser Entwicklung haben, kann man jetzt noch nicht so genau abschätzen. Aber wir wissen aus den Erfahrungen von vor genau einem Jahr, dass Reiserückkehrer in der Tat eine Rolle spielen können.
Und welche Rolle?
Das ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass jetzt noch erschwerend hinzukommt, dass die Delta-Variante grassiert. Und die ist noch wesentlich ansteckender als die bisherigen Varianten. Wir sollten deshalb jetzt - gerade angesichts der noch niedrigen Fallzahlen - die Reiserückkehrer wieder stärker in die Pflicht nehmen.
Was heißt "in die Pflicht nehmen"?
Nun, es sollte da wieder eine Quarantäne eingeführt und auch durchgehalten werden. Eine Quarantäne, von der man sich frühestens erst nach ein paar Tagen freitesten lassen kann. Das ist sinnvoll, um hier möglichst die Übertragungsketten und die Einführung von weiteren Viren ein bisschen unter Kontrolle zu bekommen.
Also zwei Tests plus Quarantäne ist der richtige Schritt für alle, die aus dem Ausland zurückkommen?
Ja genau, und das sollte auch durchgehalten und kontrolliert werden. Dafür sind die Gesundheitsämter zuständig. Dass wir hier wenigstens diese Lücken in der Viruseindämmung möglichst klein halten.
Wie engmaschig kann man das denn kontrollieren?
Es ist sicher so, dass man das nicht komplett kontrollieren kann. Aber es sollte der Appell an alle ergehen, dass man hier wirklich nochmal besonders vorsichtig ist.
Viele Urlauber sagen, sie sind fast nur draußen unterwegs. Und draußen, so haben wir ja alle gelernt, ist es eigentlich kein Problem, drinnen lauert die Gefahr einer Übertragung. Gilt das noch? Auch mit der Delta-Variante?
Dieser Grundsatz gilt natürlich nach wie vor. Wenn ich einen geschlossenen Raum habe und da Menschen drin sind, auch wenn die dann wieder diesen Raum verlassen haben, da sind die Aerosole möglicherweise noch da und können eingeatmet werden. Das ist also wesentlich effektiver für die Virusübertragung. Aber wir wissen von der Delta-Variante auch, dass das Vorbeigehen eines Virusträgers reichen kann, um die Übertragung auszulösen. Deshalb sollte man auch im Freien ein bisschen vorsichtig sein. Das Abstandhalten ist nach wie vor das erste Mittel der Wahl, um hier für Sicherheit zu sorgen. Und in der Tat, wenn dann Menschen in größeren Gruppen zusammenkommen und da ist jemand drunter, der das Virus verteilt, die Delta-Variante vor allen Dingen, kann das eben schon zu vielen Infektionen führen.
Rechnen Sie denn mit einer vierten Welle?
Wir werden wohl eine vierte Welle bekommen.
Wie stark wird sie?
Sie wird wohl auch ziemlich hoch ausfallen, auch wenn möglicherweise die Opferzahlen, also die Krankenhauseinweisungen, intensivpflichtigen Patienten und auch die Todeszahlen, weniger stark ausfallen werden. Aber es ist damit zu rechnen, dass es eben doch noch sehr viele Menschen betreffen kann und da sollte man alles versuchen, was möglich ist, diese Welle möglichst flach zu halten.
Stichwort Einschränkungen für Ungeimpfte. Die Liste der Politiker, die das fordern, wird immer länger: Kanzleramtschef Helge Braun, Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery und jetzt auch Innenminister Horst Seehofer. Also, kein Kino, kein Stadion- und kein Restaurantbesuch mehr, selbst mit negativem Test. Halten Sie das für den richtigen Weg?
Ja. Ich dachte auch, das sei vorher völlig klar gewesen. Denn mit dem Impfen wird man aus dem Verkehr gezogen was diese Virusweitergabe angeht und das ist ja das Ziel der ganzen Übung. Ich würde es auch andersherum formulieren: Mit der vollständigen Impfung kann man die Grundrechte, also die Einschränkung der Grundrechte, aufheben. Man kann also wieder zur Normalität zurückkehren, weil man eben sicher ist, sicher für sich selber und auch sicher für die Umgebung.
Und die Nicht-Geimpften?
Die noch nicht Geimpften sind im Prinzip noch in der Situation, in der wir alle waren vor dem Einsetzen der Impfkampagne. Nämlich, dass die Einschränkungen gemacht werden müssen, um das Virus einzudämmen und damit die Gesundheit aller zu schützen. Von daher: Ungeimpfte bleiben in dieser Mühle. Und als Geimpfter ist man draußen.
Glauben Sie denn, dass man durch weiter anhaltende Einschränkungen der Rechte der Ungeimpften das Impftempo steigern kann, weil dadurch die Impfbereitschaft wächst?
Sehr viel zielführender erscheint mir, man würde nochmal so richtig auf den Nutzen der Impfung hinweisen. Wie gut die Corona-Schutzimpfung für den Selbstschutz und für den Schutz der unmittelbaren und mittelbaren Umgebung ist. Und das das Risiko-Nutzen-Verhältnis sehr groß ist, nach allem was wir wissen. Dies alles muss noch viel besser kommuniziert werden. Dies ist hilfreicher als mit Einschränkungen zu drohen. Aber es muss auch jedem Nicht-Geimpften klar sein: mit diesem Status steht man eben genauso oder immer noch so da, wie es im Jahr 2020 war, als wir die Impfung noch gar nicht hatten.
Das wir eine Herdenimmunität erreichen, ist das eine Illusion? Es gibt immer mehr Wissenschaftler, die sagen, das ist kaum zu schaffen.
Was das Erreichen der Herdenimmunität angeht, so kann man das mit dem Impfen, mit dem stringenten Durchimpfen, erreichen. Dann müssten allerdings auch die 12- bis 17-Jährigen mitmachen, das ist klar. Und was parallel laufen wird ist eine weitere Durchseuchung während der zu erwartenden vierten Welle. Zwar bei den jüngeren Menschen mit nur ganz geringen Auswirkungen auf schwere Covid-19-Verläufe, aber es ist dann eben die harte Tour. Verbunden mit den Risiken einer Erkrankung, und nicht die viel sicherere Variante, die durch das Impfen.
Mit Timo Ulrichs sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de