Panorama

Schnelle Kontaktbeschränkungen Virologin Ciesek: Jeder Tag zählt

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Omikron ist längst zur vorherrschenden Variante geworden, und das nicht nur in Südafrika. Die Virologin Sandra Ciesek rechnet damit, dass Omikron in Deutschland bereits zu Weihnachten Delta überholen wird. Im neuen Corona-Podcast erklärt sie jedoch, warum es für Alarmismus noch zu früh ist.

Während die Omikron-Welle in Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien bereits rollt, geht die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Deutschland noch zurück. Die Virologin Sandra Ciesek rechnet aber mit einer ebenso großen Omikron-Welle in Deutschland. "Mir fällt kein Grund ein, warum das in Deutschland anders sein sollte", sagt die Virologin im neuen "Coronavirus Update" des NDR. Angesichts der kurzen Verdopplungszeit erwartet Ciesek, dass Omikron bereits zu Weihnachten Delta als vorherrschende Variante überholen wird.

Derzeit liege die Verdopplungsrate von Omikron-Neuinfektionen in Großbritannien bei zwei Tagen. In Deutschland, so Ciesek, liege die Rate zwar noch bei drei Tagen. Kontaktbeschränkungen sollten trotzdem früher als später eingeführt werden. Denn erst vor drei Wochen habe man von der Existenz von Omikron erfahren. Schon jetzt hat die Variante Delta in mehreren Ländern verdrängt. Deshalb zähle jeder Tag: "Das ist eine Geschwindigkeit, die wir in dieser Pandemie nicht kennen", so die Virologin.

Maßnahmen, die gegen Delta geholfen haben - wie 2G plus oder Boostern -, würden bei Omikron nicht mehr ausreichen. Die Daten aus einer Osloer Infektionskette zeigten, wie es trotz Teststrategie zu einem Superspreader-Ereignis kommen kann. Dort hätten sich etwa 70 Prozent der mehr als 100 Gäste einer Betriebsfeier mit Corona infiziert. Bei 17 von ihnen wurde Omikron nachgewiesen. Und das, obwohl alle Gäste zwei Tage vor der Party getestet worden waren - und die meisten Anwesenden mindestens doppelt geimpft waren.

Schwerer Verlauf bei Omikron?

Die wichtigste Erkenntnis aus Oslo, so Ciesek, sei die verkürzte Inkubationszeit bei Omikron. Bei Delta beträgt die Inkubationszeit etwa fünf Tage. Der Fall in Oslo zeige, dass sie bei Omikron nur drei Tage betragen könnte. Das würde auch die rasante Verbreitung der Variante erklären. Zudem zeigen erste Ergebnisse aus dem Labor von Ciesek am Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt, dass eine mit Omikron infizierte Person viel länger positiv getestet wird als eine mit Delta infizierte. Das würde auch die höhere Infektiosität erklären.

Erste Erkenntnisse aus Südafrika deuten auf einen milderen Krankheitsverlauf bei Omikron hin. Der Vergleich mit Südafrika sei aber für Deutschland nicht zutreffend, weil das afrikanische Land anders als hierzulande eine sehr junge Bevölkerung habe, stellt Ciesek klar. Wie sich eine Omikron-Welle auf eine ältere Bevölkerungsstruktur auswirken würde, könne man noch nicht vorhersagen. Vielmehr müsse man in den Nachbarländern schauen, wie sich die Omikron-Welle dort auf die Hospitalisierungsrate auswirken wird.

Die Erkrankten in Oslo berichteten größtenteils über schwere bis mittelschwere Symptome, "obwohl das subjektiv ist", so Ceisek. Viele hatten Husten, Schnupfen, waren müde, hatten Halsschmerzen und Kopfschmerzen. Die Hälfte hatte Fieber. Aber auch hier waren die meisten Erkrankten sehr jung und gehörten nicht zur Hochrisikogruppe. Auch im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden seien die meisten Erkrankten 20- bis 40-Jährige. Valide Aussagen über die Auswirkungen einer Omikron-Welle in Deutschland bei einer viel älteren Bevölkerung seien also noch nicht möglich: "Es ist zu früh, Entwarnung, aber auch Alarmismus zu schlagen", so Ciesek.

Mehr Infektionen führen zu mehr Klinikaufenthalten

Auch bei einem milderen Verlauf würden allerdings die hohen Infektionszahlen in naher Zukunft Probleme verursachen, prognostiziert die Expertin. Denn in absoluten Zahlen betrachtet, werden selbst bei einer niedrigeren Hospitalisierungsrate mehr Menschen im Krankenhaus landen, wenn mehr Menschen infiziert werden. Darüber hinaus sei mit schwerwiegenden Ausfällen in kritischen Bereichen wie Krankenhäusern, der Polizei und den Wasser- und Stromversorgern zu rechnen. Denn auch wenn Omikron keinen schweren Verlauf verursacht, muss im Falle einer Infektion eine zweiwöchige Quarantäne eingeplant werden.

Daher rät die Virologin diesen kritischen Bereichen dringend, Notfallpläne für den Fall einer Infektion aufzustellen. Dazu gehört das Arbeiten in kleinen Gruppen, die wenig Kontakt zueinander haben. Der Antigentest könnte hier noch helfen, müsste aber anders eingesetzt werden als bei Delta. Die Halbwertszeit - also die Anzahl der Stunden, für die ein Schnelltestergebnis noch aussagekräftig ist - nimmt bei Omikron ab. Ein Test ist nicht mehr unbedingt 24 Stunden gültig, sondern kann schon nach wenigen Stunden ungültig sein.

Die Beschlüsse des Bund-Länder-Treffens lassen sich so interpretieren, dass die Omikron-Variante für Geimpfte und Genesene genauso gefährlich ist wie für Menschen, die noch keinen Kontakt mit dem Virus hatten. Denn auch für geimpfte Menschen gelten ab dem 28. Dezember Kontaktbeschränkungen. Virologin Ciesek bestätigt dies - allerdings nur teilweise. Denn zwischen einer Infektion und einem schweren Verlauf besteht noch ein großer Unterschied.

Was ist mit geimpften Menschen?

Zu Geimpften gibt es erste Ergebnisse aus Studien: Ciesek selbst untersuchte den Unterschied zwischen einer Delta- und Omikron-Infektion bei Geimpften sechs Monate nach der zweiten Impfung. Bei Delta war zu diesem Zeitpunkt bei der Hälfte der Personen noch ein ausreichender Schutz vor einer Infektion vorhanden - gegen Omikron gab es keine neutralisierenden Antikörper mehr. "Das war das Erste, was uns stutzig gemacht hat", sagt die Virologin.

Bei geboosterten Patienten war der Schutz zwei Wochen nach der dritten Impfung deutlich besser. Bei Delta lag der Schutz vor einer Infektion dann bei fast 100 Prozent, bei Omikron nur bei 60 Prozent. Dies zeigt jedoch, dass beim Boostern auch eine große Anzahl von Antikörpern gegen die neue Variante gebildet wird. Drei Monate nach der dritten Impfung zeigen erste Studien allerdings ein anderes Bild. Auch dann besteht ein hoher Schutz gegen Delta, gegen Omikron sind aber nur noch 25 Prozent der neutralisierenden Antikörper vorhanden. Die Frage sei nun, ob ständig geboostert werden muss, so Ciesek - oder ob sich der Kontakt mit dem Virus irgendwann nicht mehr vermeiden lässt. Das müsse noch untersucht werden.

Eine gute Nachricht bringen die ersten Studien zur Entwicklung von T-Zellen. Diese schützten nicht vor einer Infektion, sondern vor einem schweren Verlauf. In Kapstadt habe man gesehen, dass doppelt geimpfte Menschen einen Monat nach der zweiten Impfung immer noch eine sehr starke T-Zell-Antwort auf Omikron hatten, so Ciesek. "Das würde bedeuten, dass sich die Leute noch anstecken, aber einen relativ robusten Schutz haben vor einer schweren Erkrankung."

Quelle: ntv.de, cls

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