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Eskalationsrisiko steigt Warum Israelhass an Neuköllns Fassaden klebt

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Die Polizei hat ihre Sicherheitsmaßnahmen in Neukölln verstärkt. Immer wieder kommt es zu vorläufigen Festnahmen.

Die Polizei hat ihre Sicherheitsmaßnahmen in Neukölln verstärkt. Immer wieder kommt es zu vorläufigen Festnahmen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Als Israel von der Terrorgruppe Hamas in den Krieg gezwungen wird, ist das für einige Menschen in Berlin ein Grund zum Feiern. Die Behörden setzen nun alles daran, weitere antisemitische Vorfälle zu verhindern. Eine enorme Herausforderung, denn Israelfeindlichkeit ist in Neukölln tief verwurzelt.

Mit einem Messer schabt ein Berliner Polizist die plakatierte Palästina-Flagge von der Fassade eines Shawarma-Imbisses auf der Sonnenallee. Das Plakat zeigt das israelische Staatsgebiet - vollständig überdeckt von der palästinensischen Flagge. Vor den Beamten versammeln sich drei junge Männer und filmen das Geschehen mit ihrem Handy. Zwei von ihnen tragen die Kufiya um den Hals, ein arabisches Tuch mit schwarz-weißem Würfelmuster. Immer wieder rufen sie "Free Palestine". Doch an die Flagge an der Wand erinnern nach ein paar Minuten nur noch grün-weiße Klebefetzen. Die Beamten springen in den Polizeiwagen, rollen ein paar Meter, dann beginnt das Prozedere von vorn. Vor ihnen kleben noch Dutzende Sticker mit Flaggen, arabischen Schriftzügen und Maschinengewehren.

Die Sonnenallee in Neukölln.

Die Sonnenallee in Neukölln.

(Foto: ntv.de )

Rund eine halbe Woche, nachdem Israel von der palästinensischen Terrororganisation Hamas in den Krieg gezwungen wurde, sind die Behörden in Berlin-Neukölln in Alarmbereitschaft: Israelfeindliche Aktionen wie am vergangenen Wochenende müssen unbedingt verhindert werden. Damit stehen sie vor einer großen Herausforderung, denn Israelhass und Antisemitismus sind in Neukölln tief verwurzelt.

"Die Lage im Bezirk ist seit dem Terrorangriff auf Israel am vergangenen Samstag merklich angespannter", sagt Christian Berg vom Bezirksamt Neukölln im Gespräch mit ntv.de. Man nehme eine aggressivere Stimmung wahr. So war der Großangriff der islamistischen Hamas auf Israel für einige Menschen im Bezirk Anlass zum Feiern. Als die Terroristen am vergangenen Samstag begannen, Hunderte Israelis zu ermorden und zu verschleppen, verschenkten Männer auf der Sonnenallee Süßigkeiten.

Israelhass in Neukölln

Anschließend versammelten sich nur ein paar Meter weiter rund 60 Menschen zu einer pro-palästinensischen Kundgebung, bei der anti-israelische Parolen skandiert und Polizisten angegriffen wurden. Über diese Szenen aus Neukölln - feiernde Menschen während eines Terroranschlags auf Jüdinnen und Juden - wurde international berichtet.

Zwar sind diese Bilder nicht repräsentativ für einen ganzen Stadtteil, wie Berg betont. Allerdings sind sie - gerade in Neukölln - auch alles andere als neu. Im April etwa eskalierte eine Pro-Palästina-Demo, Teilnehmer brüllten "Tod den Juden" durch die Straßen. Im Juni klebten Plakate an den Fassaden, auf denen für Raketenangriffe auf Israel geworben wurde. Die Straßen von Neukölln würden "denen von Gaza ähneln", schrieb der israelische Botschafter Ron Prosor damals auf Twitter.

Hinter der Plakataktion wird der pro-palästinensische Verein Samidoun vermutet. Die Gruppe wurde 2011 in den USA gegründet und fordert Freiheit für palästinensische Gefangene. Dem Verfassungsschutz zufolge gehört Samidoun zu der Palästinenserorganisation "Volksfront für die Befreiung Palästinas", die seit 2002 auf der europäischen Liste terroristischer Organisationen steht.

Samidoun wird aktiver

Samidoun selbst ist in Deutschland nicht verboten, die Berliner Verfassungsschützer haben die Gruppe allerdings auf dem Schirm. Sie sei "klar antisemitisch und antiisraelisch ausgerichtet", sagte Verfassungsschutzleiter Michael Fischer kürzlich. Meist falle sie durch das Sammeln von Spenden, Plakataktionen oder durch die Teilnahme an linken Demos wie etwa am 1. Mai auf. Zwar zählt der Bezirk gerade einmal eine "mittlere zweistellige Zahl an Mitgliedern" der Gruppe, allerdings haben ihre Aktionen durch eine effektive Social-Media-Strategie durchaus Reichweite.

So steckt Samidoun auch hinter der Süßigkeiten-Aktion auf der Sonnenallee, die auf X und Instagram vielfach geteilt und verbreitet wurde. Nachdem Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel von der SPD schon mehrfach auf ein Verbot der Gruppe drängte, wird dies nun auch unter Ampel-Politikern diskutiert. Entscheiden müsste dies schlussendlich allerdings Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die sich zu einem Verbot bisher bedeckt hält.

Den Behörden in Neukölln würden diese Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit auf jeden Fall helfen, wie Berg deutlich macht. Denn die Aktivität der Gruppe im Bezirk habe seit einigen Monaten zugenommen. "Wir haben deutlich mehr Hinweise, etwa auf entsprechende israelfeindliche Parolen und gewaltverherrlichende Plakate." Vor allem aber beobachte das Bezirksamt seit einiger Zeit den Versuch des Vereins, Mitglieder für sich zu gewinnen. "Ein fester Kern geht ganz gezielt auf die Straße, zum Beispiel in Shisha-Bars, um junge Menschen für ihre Hasspropaganda zu akquirieren", führt der Sprecher des Bezirksamts aus.

Palästina-freundliche Narrative seit der Kindheit

Dass die Gruppe in Neukölln, wo besonders viele Menschen aus arabischen Ländern leben, größeren Anklang findet, ist keine Überraschung. Viele der Neuköllnerinnen und Neuköllner kommen aus Palästina oder haben Angehörige dort, erklärt Berg. "Diese Menschen sind natürlich sehr sensibel für Entwicklungen im Nahen Osten." Das sei nicht erst seit dem Terrorangriff am vergangenen Samstag zu beobachten, "das ist seit vielen, vielen Jahren so".

Immer dann, wenn es in Israel und im Gazastreifen zu Unruhen kommt, mache sich das auch in Berlin bemerkbar, führt Berg aus. Die Auslöser seien vielfältig, es könnten Aktionen der israelischen Verteidigungskräfte sein oder Terroranschläge gegen Israelis. Meist nehmen dann die Demonstrationen zu und an den Schulen werde mehr diskutiert.

Grund dafür seien vor allem die Erziehung und das Umfeld. "Natürlich sind nicht alle Menschen, die aus Palästina kommen oder Angehörige dort haben, per se antisemitisch", betont Berg. "Aber viele dieser Menschen haben von Kind an nichts anderes mitbekommen als Palästina-freundliche Narrative. Das waren zuerst die Erzählungen von Verwandten, später wurden entsprechende Medien konsumiert." Das einseitige Bild von Israel und Palästina sei so immer weiter gefüttert worden. Bei vielen habe eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt und der Existenzberechtigung Israels nie stattgefunden, sagt Berg. "Diese Situation stellt einen Bezirk vor große Herausforderungen."

Die kurzfristige Lösung

Ganz besonders fällt das in Schulen auf. Der Nahost-Konflikt erschwere den Unterricht in Neukölln schon seit längerem, sagte Bezirksbürgermeister Hikel am Dienstag im RBB. Er werde, so der Politiker, auch an einzelnen Schulen in seinem Bezirk ausgetragen. Nur einen Tag zuvor war eine Auseinandersetzung zwischen einem Lehrer und einem Schüler am Ernst-Abbe-Gymnasium in der Sonnenallee in Gewalt eskaliert, nachdem der 14-Jährige mit einer Palästina-Flagge zur Schule kam.

Natürlich versuche der Bezirk mit Integrations- und Schulprojekten dagegenzuwirken, sagt Berg. So werden etwa jüdische und muslimische Schüler in den Austausch gebracht oder Reisen nach Auschwitz mit muslimischen Jugendlichen organisiert. Dass sich einige Schüler so das allererste Mal mit dem Holocaust auseinandersetzen, sei ein Erfolg, sagt Berg. Gleichzeitig räumt er ein, dass solche Projekte "natürlich nur langfristig wirken können".

In der aktuellen Lage in Neukölln, der angespannten Stimmung und offen ausgetragenen Israelfeindlichkeit setzen die Behörden daher vor allem auf eine Lösung: konsequente Polizeiarbeit. Wie am Fließband entfernen die Beamten antisemitische Schmierereien und Plakate. Auch Hochtouren wird nach den Hetzenden gefahndet, hin und wieder gelingt den Beamten eine vorläufige Festnahme. Gleichzeitig gilt es, geplanten israelfeindlichen Versammlungen zuvorzukommen: Gleich zwei pro-palästinensische Demonstrationen waren für heute in Neukölln angekündigt. Beide wurden mit dem Verweis auf die Gefahr von antisemitischen Parolen und Gewalt verboten. Samidoun reagiert allerdings prompt. Vor dem Gymnasium in Neukölln werden israelfeindliche Flugblätter verteilt und seit ein paar Stunden ruft die Gruppe, trotz Versammlungsverbot, über Instagram dazu auf, in die Sonnenallee zu kommen.

"Lage wird angespannt bleiben"

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Parallel zur Arbeit der Sicherheitsbehörden will der Bezirk die Moscheevereine ins Boot holen. "Wir arbeiten aktuell an einer gemeinsamen Erklärung mit den muslimischen Vereinen", berichtet Berg. Der Angriff der Hamas soll darin verurteilt werden, gleichzeitig sollen die Neuköllner zur Besonnenheit aufgerufen werden. "Trotz all der Meinungsverschiedenheiten sollte es uns gemeinsam darum gehen, diese Auseinandersetzungen nicht auf Neuköllns Straßen auszutragen."

Denn den Behörden sei eines durchaus bewusst, fügt Berg hinzu. "Wir werden als Bezirk einzelne Hamas-Unterstützer und Samidoun-Mitglieder weder zur Einsicht zwingen können noch mit gutem Zureden von der Straße kriegen." Gleichzeitig werde die Lage in Neukölln angespannt bleiben. "Und sollten Israels Verteidigungskräfte eine Bodenoffensive in Gaza starten, steigt auch die Gefahr von Auseinandersetzungen in Neukölln", sagt Berg.

Quelle: ntv.de

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