Messer-Attacken auf Passagiere Warum werden Züge immer wieder zu Tatorten?
27.01.2023, 10:15 Uhr Artikel anhören
Der Palästinenser Ibrahim A. ermordete in einem Zug bei Brokstedt mutmaßlich zwei Menschen.
(Foto: dpa)
Erneut sticht ein Messerangreifer in einem Zug um sich - und verletzt dabei unschuldige Fahrgäste tödlich. Was treibt die Täter, die oft als Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind, an? Warum gehen sie ausgerechnet in Zügen auf ihre Opfer los? Ein Kriminologe gibt Antworten.
Die tödliche Messerattacke in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein erinnert an ähnliche Bluttaten der vergangenen Jahre. In einigen dieser Fälle spielten psychische Erkrankungen eine Rolle, in anderen eine islamistische Ideologie - oder auch beides zusammen. Manchmal blieb das Motiv diffus. Die Täter sind oft Menschen, die als Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind, ohne in ihrer neuen Umgebung richtig Fuß zu fassen. Es sind Menschen am Rande der Gesellschaft, die mit den für andere Schutzsuchende passenden standardmäßigen Integrationsangeboten nicht erreicht werden. Oft fallen sie durch Gewalttätigkeit auf und leben auch nach Jahren noch in öffentlichen Einrichtungen.
Nicht nur der staatenlose Palästinenser Ibrahim A., der am Mittwoch in einem Zug zwei ihm offensichtlich unbekannte junge Menschen getötet und fünf weitere Fahrgäste verletzt hat, ist so ein Fall. Wegen mehrerer Straftaten saß er im Gefängnis. 2021 erhielt er Hausverbot in einer Kieler Gemeinschaftsunterkunft. Auch der junge, psychisch kranke Somalier, der im Sommer 2021 - etwa sechs Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland - in Würzburg drei Frauen erstach, war bereits zuvor gewalttätig geworden. Auch er lebte zuletzt in einer Obdachlosenunterkunft.
Die Biografien der Täter zeigen, dass viele von ihnen aus Kriegs- oder Konfliktregionen stammen, eher jung und kinderlos sind, zum Zeitpunkt der Tat keiner Erwerbstätigkeit nachgingen und nicht mit einer Partnerin oder Angehörigen zusammenleben. Fundierte Forschung zu dieser Tätergruppe gibt es aber bislang - mit Ausnahme der Betrachtung islamistisch motivierter Verbrechen - kaum. Beispielsweise zu der Fragestellung, mit welchen Hoffnungen und Vorstellungen die Betroffenen gekommen sind - und wie sie später auf die deutsche Gesellschaft und die Möglichkeiten, die sie ihnen bietet oder auch nicht bietet, blicken. Auch das bundesweite Lagebild zur Kriminalität im Kontext von Zuwanderung hilft hier nicht viel weiter.
Einsamkeit ist ein Faktor
Einsamkeit oder Isolation sei grundsätzlich ein Faktor, sagt der Kriminologe Rafael Behr. Beides könne sowohl kriminelle Energie, die in der Sozialisation des Täters begründet sei, verstärken als auch psychische Probleme. Zudem sei bei Menschen, die nicht in ein familiäres Umfeld oder einen Freundeskreis eingebunden sind, das Risiko höher, dass psychische Erkrankungen unentdeckt bleiben. Womöglich sei nach dem Flüchtlingsjahr 2015 aber auch die Chance verpasst worden, ausreichende Ressourcen für Integrationsmaßnahmen zu mobilisieren, anstatt das Geld für mehr Polizei auszugeben, so Behr. Gleichzeitig müsse allen klar sein: "Integration funktioniert nie hundertprozentig. Ein paar Randständige wird es immer geben."
Nach Informationen der "Bild"-Zeitung zählte die Bundespolizei im Jahr 2021 mehr als 10.900 Attacken oder Drohungen mit Messern. Wichtig in diesem Zusammenhang: "Etwa 60 Prozent, also die überwiegende Mehrheit der Angriffe werden von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit verübt", sagte Kriminologin Elena Rausch im Interview mit ntv.de in Bezug auf eine entsprechende Studie. Oft handelt es sich bei Messergewalt um Partnerschaftsgewalt. Die meisten Opfer seien weiblich. Trotzdem fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mehr Polizisten und Sicherheitspersonal gerade an Bahnhöfen - und hat offenbar gerade dort Sicherheitsrisiken ausgemacht.
Dass an Bahnhöfen, aber vor allem in Zügen, die Fluchtmöglichkeiten für Angegriffene gering sind, während zugleich die Dichte an Menschen groß ist, macht Angriffe dort besonders folgenschwer. Das könnte ein Kalkül der Angreifer sein, gerade dort zuzuschlagen. "Die Bundespolizei ist an den Bahnhöfen zu schwach aufgestellt. Es fehlt an 3000 Stellen", sagte Andreas Roßkopf, bei der GdP zuständig für den Bereich Bundespolizei und Zoll, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Und es fehlt an Sicherheitskräften bei der Bahn."
Quelle: ntv.de, jug/dpa