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Kriminologin zum Fall Brokstedt Rausch: "Das Messer ist nur ein Symptom"

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Die Verfügbarkeit macht Messer als Tatmittel besonders gefährlich, sagt Kriminologin Elena Rausch.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

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In einem Regionalzug von Hamburg nach Kiel tötet ein Messerangreifer zwei Menschen und verletzt fünf weitere. Mit ntv.de spricht Kriminologin Elena Rausch darüber, ob Waffengewalt in Deutschland zunimmt und wie man ihr präventiv begegnen kann.

ntv.de: Nach der tödlichen Attacke in einem Regionalzug im schleswig-holsteinischen Brokstedt entbrennt erneut die Debatte um Messergewalt in Deutschland. Hat sie in den letzten Jahren zugenommen?

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Elena Rausch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der kriminologischen Zentralstelle.

Elena Rausch: Wir können in keinem Bundesland einen Anstieg verzeichnen, eher einen Rückgang beziehungsweise ein gleichbleibendes Niveau. Gerade anlässlich einzelner gravierender Taten, wie dem jüngsten Fall in Schleswig-Holstein, wird immer wieder verstärkt über Messerkriminalität berichtet und diskutiert. Doch der Eindruck, Messergewalt in Deutschland nehme zu, entsteht eher aus der intensiven öffentlichen Debatte und kann nicht durch Zahlen belegt werden.

In diesem Zusammenhang geht es auch immer wieder um die Herkunft der Täter. Kann diese Form der Gewalt denn einem bestimmten Personenkreis zugeschrieben werden?

Wir haben in unserer Studie eingehend untersucht, ob die Staatsangehörigkeit wirklich eine Rolle spielt. Das ist nicht der Fall. In der Forschung wurde bereits häufig widerlegt, dass aus der Herkunft einer Person eine höhere Kriminalitätsbelastung resultiert. Ich würde schon sagen, dass Messerkriminalität dahingehend politisiert wird. Etwa 60 Prozent, also die überwiegende Mehrheit der Angriffe werden von Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit verübt.

Was kann man aus der Forschung über die Opfer von Messergewalt sagen?

In der Öffentlichkeit wird zwar vor allem über Taten zwischen Unbekannten berichtet. Aber ein wichtiger Teil der Messergewalt ist Partnerschaftsgewalt. In unserer Untersuchung waren etwa 82 Prozent der Opfer, die von ihrem Partner getötet wurden, weiblich. Von den in unserer Studie erfassten Partnerschaftstötungen wurde in rund 65 Prozent ein Messer als Tatmittel eingesetzt. Man kann also ganz klar sagen, dass Frauen in der Regel am häufigsten Opfer von Messerattacken in der Partnerschaft werden. Männliche Opfer werden demgegenüber häufiger durch Freunde oder Bekannte mit einem Messer angegriffen. Insgesamt spielt sich der Großteil der Messergewalt im sozialen Nahraum ab.

Was leitet Menschen, mit einem Messer in der Tasche herumzulaufen oder es sogar anzuwenden?

Viele Personen tragen Messer zum Selbstschutz. Verteidigungsgedanken spielen dabei eine große Rolle. Der größte Risikofaktor, den wir ermittelt haben, sind allerdings psychische Ausnahmezustände. Wir sprechen da über Menschen, die sich Krisensituationen nicht gewachsen sehen und ein Messer bei sich haben, weil sie sich bedroht fühlen. Was auch eine Rolle spielt, ist ein bestimmtes Image. Gewaltbereitschaft und das Tragen eines Messers werden von einigen Menschen durchaus als cool wahrgenommen. Psychische Probleme sind aber klar das Hauptproblem, das Messer ist im Grunde nur ein Symptom.

Was macht Messer als Tatmittel so gefährlich?

Das besondere Gefahrenpotenzial liegt vor allem in der Verfügbarkeit. Bei solchen Angriffen werden hauptsächlich Küchenmesser eingesetzt. Die wenigsten haben wohl eine Schusswaffe in der Schublade liegen, ein Messer hingegen fast jeder. Wir können den Zugang dazu und damit auch die Tatgelegenheiten nur begrenzt einschränken. Das ist der Hauptfaktor, der ein Messer so gefährlich macht. Es kommt jeder dran, der möchte.

Wenn gerade die Verfügbarkeit das Hauptproblem ist, wie kann eine bessere Prävention von Messerkriminalität aussehen?

Da ein Großteil der Messergewalt, die wir erfassen, sich im sozialen Umfeld und in Partnerschaften abspielt, bringen Waffenverbotszonen oder ähnliches nur wenig. Problematisch sind eher die Faktoren, die dahinterstehen. Alkohol- und Drogenkonsum spielen eine Rolle, ebenso wie Gewalt- oder Opfer-Erfahrungen. Übergeordnet können also psychische Probleme als Hauptfaktor festgehalten werden. Anstatt Verbote auszusprechen, sollte viel mehr in mentale Gesundheit investiert werden. So könnte man Messerangriffe zumindest mittelbar verhindern.

Der mutmaßliche Täter von Brokstedt ist polizeibekannt, wurde nur wenige Tage vor der Tat in Hamburg aus der U-Haft entlassen. Wie lässt sich ein so schneller Rückfall erklären?

Im Gefängnis ist man völlig fremdbestimmt, der Alltag ist stark reguliert. Aus der Haft zu kommen, ist grundsätzlich ein Realitätsschock. Den muss man erstmal verarbeiten. Und wenn man psychisch nicht so stabil ist, kann einem das ganz schön zusetzen. Dazu muss man sagen, dass das in der Untersuchungshaft noch nicht so richtig behandelt und aufgearbeitet werden kann. Viele therapeutische Möglichkeiten sind da noch gar nicht möglich, was die Betreuung psychisch labiler Menschen erschwert. Das ist eben die Spezialität der Untersuchungshaft. In der Strafhaft hingegen gibt es viele andere Möglichkeiten, auf diese Probleme einzugehen. Und diese Maßnahmen sind in der Regel auch sehr erfolgversprechend.

Mit Elena Rausch sprach Aljoscha Prange

Quelle: ntv.de

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