Panorama

Von Hamas am 7. Oktober entführt Wie Emily Hand das Grauen ihrer Verschleppung verarbeitet

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Thomas Hand hielt seine Tochter bereits für tot und sie ihn.

Thomas Hand hielt seine Tochter bereits für tot und sie ihn.

(Foto: REUTERS)

Im Schlafanzug wird die damals achtjährige Emily Hand am 7. Oktober 2023 von Hamas-Kämpfern aus dem Kibbuz Be'eri verschleppt. Nach 50 Tagen Geiselhaft kann ihr Vater sie wieder in die Arme schließen. Doch die Zeit im Gazastreifen, Ungewissheit und Trauer, haben Emily gezeichnet.

251 Menschen verschleppt die Hamas während des Angriffs vor einem Jahr auf Israel. Eine von ihnen ist die damals achtjährige Emily Hand. Sie übernachtet bei einer Freundin, als der nur rund vier Kilometer von der israelischen Grenzbarriere entfernte Kibbuz Be'eri angegriffen wird.

Die israelische Armee wird später feststellen, dass allein in diesem Kibbuz 101 Zivilisten getötet und 32 weitere als Geiseln verschleppt wurden. 150 Häuser und Gebäude zerstören die Angreifer, die meisten werden in Brand gesetzt.

Emilys Vater, Thomas Hand, überlebt die Brandschatzungen und Morde, 19 Stunden hält er im Safe Room eines Hauses aus. Seine Frau Narkis ermorden die Terroristen. Und auch Emily hält Thomas Hand zunächst für tot, nachdem ihm mitgeteilt wurde, man habe ihre Leiche gefunden. In den Tagen nach dem 7. Oktober geht ein Fernsehinterview mit dem Vater um die Welt. Darin äußert er seine Erleichterung darüber, dass seine Tochter nicht in die Hände der Hamas gefallen sei. Dies wäre noch "schlimmer als der Tod", sagt er unter Tränen.

"Wo ist mein Papa?"

Doch drei Wochen später steht fest, Emily Hand lebt. In der Geiselhaft der Hamas wurde sie neun Jahre alt. Das blondgelockte Mädchen mit den strahlenden Augen wird zu einem Gesicht der Verschleppten und ihr Vater wird nicht müde, über seine jüngste Tochter zu sprechen. Auf einer Pressekonferenz sagt Hand, dass Emily "jede Stunde des Tages blankem Terror und Panik" ausgesetzt sei. "Sie muss jeden Tag sagen: 'Wo ist mein Papa? Wo ist mein Papa, warum kommt er nicht, um mich zu retten?'"

50 Tage lang wird das Mädchen von der Hamas festgehalten, dann lassen die Terroristen Emily während eines kurzen Waffenstillstands gehen. Zwischen zwei schwer bewaffneten Hamas-Terroristen, an der Hand einer Freundin, kehrt sie nach Israel zurück. Sie trägt immer noch den Schlafanzug, in dem sie entführt wurde. Die Bilder, wie Thomas Hand seine Tochter auf einem Krankenhausflur in die Arme schließt und sie ihn, lassen kaum jemanden unberührt.

Tief traumatisiert berichtet Emily, dass sie immer wieder von Versteck zu Versteck gebracht wurde, angetrieben von ihren Bewachern. "Unter den Leuten, die uns in der Box bewachten, gab es nicht einen einzigen netten Menschen", schreibt Emily in dem in Israel erschienen Buch "Ein Tag im Oktober - 40 Helden, 40 Geschichten". Box ist ihr Codewort für Gaza, es gibt mehrere davon, die dem Mädchen das Sprechen über die Zeit in der Gefangenschaft erleichtern. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr flüstert Emily nur. Ihre Bewacher hatten ihr gedroht, sie zu töten, wenn man sie hören würde.

Ein vorläufiges Zuhause

Ein Jahr nach ihrer Verschleppung hat sich die Familie im Kibbuz Hatzerim niedergelassen, der die vertriebenen Bewohner ihrer Gemeinde im Kibbuz Be'eri aufgenommen hat. Monatelang sind sie mit wenigen Habseligkeiten und dem Familienhund von einer Notunterkunft zur nächsten gezogen. Nach ihrer leiblichen Mutter Liat, die an Brustkrebs starb, als Emily zwei Jahre alt war, hat sie auch ihre Ziehmutter Narkis verloren. Geblieben sind ihr der Vater und die älteren Geschwister Aiden und Natali.

Thomas Hand hat vor dem ersten Jahrestag der Hamas-Angriffe mit mehreren Medien gesprochen. Manchmal war Emily dabei, manchmal nicht. Reuters-Reportern erzählte er, dass das Zimmer seiner Tochter nun eine kugelsichere Tür hat. Dahinter herrscht die Unordnung einer fast Zehnjährigen, deren Geburtstag in diesem Jahr besonders groß gefeiert werden soll. "Sie macht nie ihr Bett", sagt Hand. Das müsse er ihr noch beibringen. Einen Moment lang ist Emily Hand eine Neunjährige, wie unzählige andere auf der Welt.

Dem britischen Moderator Pierce Morgan erzählte Hand schon im Januar, dass Emily "fast wieder in vollem Umfang" spricht. Sie esse und schlafe gut, habe nicht zu viele Albträume, "wenn auch ab und zu einen". Manchmal beobachte er sie nachts, und wenn er sehe, dass sie schlecht träume, wecke er sie auf.

Fürchterliche Angst

Es gibt trotzdem immer noch genug Un- oder Schweraussprechliches, auch wenn der Vater die Code-Wörter für Blut, Geiseln, Terroristen oder Ermordete verstehen mag. "Sie nahm an, ich sei tot", erinnert sich Thomas Hand. "Sie dachte, jeder im Kibbuz sei getötet, jedes Haus zerstört worden. Das war es, was sie gesehen hat."

Seit ihrer Rückkehr macht Emily eine Therapie, um das Trauma der Gefangenschaft, die Flashbacks, und den Verlust geliebter Menschen zu verarbeiten. "In mancher Hinsicht ist sie sogar stärker als zuvor", sagt Hand Reuters-Reportern. "Es hat ihr innere Stärke gegeben, zu wissen, dass sie mit dem fertig geworden ist, was die Hamas ihr angetan hat."

Emily geht wieder zur Schule und knüpft neue Freundschaften. Doch das Gefühl der Unbeschwertheit ist weg. "Sie kann allein draußen sein, aber drinnen - nein", erzählt Emilys Vater über die Spuren, die das Massaker in Bee'ri und die Gefangenschaft in der Seele seiner Tochter hinterlassen haben. "Wenn ich nicht zu Hause bin, kommt sie nicht rein, sondern geht zu einem ihrer Freunde."

Thomas Hand ist unsicher, ob er und seine Kinder jemals nach Bee'ri zurückkehren werden. In ihrem Buchbeitrag schwärmt Emily von ihrer Kindheit dort, davon, wie lustig und gemütlich es war. "Manchmal möchte ich zurückkehren, manchmal nicht." Doch die Angst, dass die Terroristen zurückkehren könnten, sei fürchterlich.

Quelle: ntv.de

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