Panorama

Kinder kosteten in Sarejevo extraWochenend-Scharfschützen auf der Jagd nach Menschen

12.11.2025, 17:32 Uhr GuempelUdo Gümpel
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Ein Krieg, der immer weitere Grausamkeiten nach sich zieht. (Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Der Mailänder Staatsanwalt Guido Salvini hat seit Februar dieses Jahres eine wahrlich unfassbare Ermittlungsarbeit aufgenommen: Es geht um den Vorwurf, dass reiche und einflussreiche Männer sehr viel Geld dafür bezahlt haben, um in Sarajevo und Umgebung auf Zivilisten schießen zu dürfen.

Aus italienischen Ermittlerkreisen verlautet, dass über 200 Männer, darunter auch Männer aus Deutschland, Jagd auf Menschen während des Serbien-Krieges gemacht haben sollen. Die italienische Staatsanwaltschaft ist vorerst hinter den italienischen Teilnehmern her, angeblich ist man dabei, drei von ihnen namentlich zu identifizieren. Das "Großwild-Schießen" soll den umfangreichen Dokumenten nach direkt von der serbischen Armee und den Separatisten organisiert worden sein. Salvini ermittelt gegen Norditaliener, aber die "Wochenend-Scharfschützen" auf der Jagd nach "leichten Zielen" wie alte Menschen, Frauen und Kinder, kamen aus vielen Ländern. Die Staatsanwaltschaft von Mailand ermittelt wegen vorsätzlichen Mordes, erschwert durch Grausamkeit und niedrige Beweggründe.

Kinder töten kostet extra

Anlass ist eine Anzeige des Journalisten und Schriftstellers Ezio Gavazzeni, der neue Hinweise zu den sogenannten "Wochenend-Scharfschützen" vorgelegt hat. Nach den Recherchen Gavazzenis und den Aussagen des ehemaligen bosnischen Geheimdienstagenten Edin Subašić sollen zwischen 1993 und 1995 sehr reiche und als politisch einflussreich beschriebene Personen – darunter auch mindestens drei Italiener – in das belagerte Sarajevo gereist sein, um dort gegen Bezahlung auf Zivilisten und Kinder zu schießen. Wobei das Töten von Kindern extra gekostet haben soll, erzählt Gavazzeni ntv.de. "Es waren viele – nicht nur einige Dutzend, sondern wirklich sehr viele", betont er. Und die Kosten? "Es ging um enorme Summen – jeder Teilnehmer zahlte so viel, wie man heute für eine Dreizimmerwohnung in der Mailänder Gegend Piazzale Lotto ausgeben würde, also um die 300.000 bis 400.000 Euro. Es ist offensichtlich, dass dafür nur wohlhabende Menschen infrage kamen."

Diese Leute, fügt Gavazzeni hinzu, "nannte man "Wochenend-Scharfschützen": Sie arbeiteten bis Freitag, gingen dann schießen und kehrten Sonntagabend zurück. Menschen, die sehr gut mit Waffen und Gewehren umgehen konnten – Leute, die heute zwischen 65 und 80 Jahre alt sein müssen."

Reiche Unternehmer und Freiberufler

Subašić, Ex-Mitarbeiter des bosnischen Geheimdienstes, berichtete dem italienischen Schriftsteller, dass seine Behörde bereits Ende 1993 von sogenannten "Safaris" erfahren habe, bei denen ausländische Jäger an den Frontlinien der bosnisch-serbischen Truppen auf Menschen zielten.

Bereits Anfang 1994 habe man den italienischen Militärgeheimdienst SISMI davon informiert. Der SIMSI habe dann nach einigen Monaten geantwortet, man habe die Reisen "von Triest ausgehend" gestoppt. Ein entsprechendes Dokument soll laut Subašić existieren, gilt jedoch als streng geheim.

Nach Gavazzenis Angaben handelte es sich um reiche Unternehmer und Freiberufler aus Norditalien, aber auch aus Spanien, Frankreich, Deutschland, Kanada und den USA. Sie hätten hohe Summen bezahlt, um in die Berge rund um Sarajevo gebracht zu werden und dort auf Menschen zu schießen. Die Organisation solcher Reisen sei "präzise und professionell" gewesen, so Gavazzeni. Die Gruppen trafen sich in Triest, überquerten dann die Grenze und wurden auch mit serbischen Militärhubschraubern in die geeigneten Schusspositionen gebracht.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit anhand der Anzeige, die im Februar 2025 mit Unterstützung des ehemaligen Richters Guido Salvini und des Anwalts Nicola Brigida eingereicht wurde. Die Untersuchungen führt die Sondereinheit ROS der Carabinieri.

Im Rahmen der Ermittlungen hat die Mailänder Staatsanwaltschaft auch Unterlagen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag angefordert. Laut Subašić sagte ein gefangener serbischer Soldat aus, er habe persönlich den Transport eines dieser "Jäger" beobachtet.

Kontakte in politische Kreise

Die ehemalige Bürgermeisterin von Sarajevo, Benjamina Karić, hat ihre Bereitschaft erklärt, in dem Verfahren auszusagen. Sie verweist auf die Aussage eines anonymen slowenischen Geheimdienstoffiziers, wonach für das Erschießen eines Kindes ein höherer Geldbetrag gezahlt worden sei.

Die mutmaßlichen Täter – Männer, von denen die meisten noch leben dürften – sollen nach Erkenntnissen der Ermittler nicht nur über umfangreiche finanzielle Mittel, sondern vor allem auch über gute politische Kontakte verfügt haben. In den Archiven der bosnischen und italienischen Geheimdienste könnten sich noch Dokumente befinden, die zur Aufklärung beitragen – ob sie zugänglich sind, bleibt allerdings ungewiss.

In den vergangenen Tagen hat Gavazzeni weiteres Material an die Staatsanwaltschaft übergeben: "Ich habe sämtliche Unterlagen in meinem Besitz eingereicht“, erklärte er, "einschließlich des Berichts der ehemaligen Bürgermeisterin von Sarajevo, Benjamina Karić, den ich sowohl im Original als auch in englischer Übersetzung beigelegt habe."

Die Mailänder Staatsanwaltschaft hat die serbischen Behörden bereits angefragt - bisher ist Serbien die Antwort schuldig geblieben.

Quelle: ntv.de

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