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Kopfgeld von den USA ausgelobt Ex-IS-Kämpfer führt Rebellen in Syrien gegen Assad an

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Al-Dschulani sagte sich von IS und Al-Kaida los.

Al-Dschulani sagte sich von IS und Al-Kaida los.

(Foto: VIA REUTERS)

Im syrischen Bürgerkrieg rücken die islamistischen Rebellen zügig gegen Assad vor. An der Spitze der führenden HTS-Gruppe steht ein ehemaliger Al-Kaida- und IS-Kämpfer. Doch Abu Mohammed al-Dschulani arbeitet an einem Imagewandel und will mit beiden Terrorgruppen nichts mehr zu tun haben.

Mit dem Ziel das Regime von Syriens Machthaber Baschar al-Assad zu stürzen, verzeichnet die Rebellenallianz in Syrien im rasanten Tempo täglich neue Gebietsgewinne. An ihrer Spitze steht der Anführer der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), Abu Mohammed al-Dschulani.

Die USA haben schon vor Jahren ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar für den einstigen Extremisten ausgeschrieben. Doch in den vergangenen Jahren hat der erst 42-jährige Islamistenanführer an einem Imagewechsel gearbeitet.

Heute präsentiert er sich als moderater Anführer. Beobachter sehen in ihm einen vermeintlichen "Sicherheitsgaranten". Trotz voriger Rufe nach einem Sturz von Al-Dschulani, wächst der Zuspruch innerhalb der Bevölkerung mittlerweile wieder mit jedem weiteren Vorstoß gegen die Regierungstruppen von Assad.

HTS-Chef ist Ex-IS-Kämpfer

2003 schloss sich der Syrer Al-Dschulani, der mit bürgerlichen Namen Ahmed Hussein al-Scharaa heißt, extremistischen Gruppen im Irak an, um gegen US-Truppen zu kämpfen. Aus den Ursprüngen des Terrornetzwerks Al-Kaida formte sich dort die Terrorgruppe Islamischer Staat.

Mit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 bekam auch Al-Dschulani mehr Verantwortung. IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi schickte ihn zurück in sein Heimatland, um dort die sogenannte Al-Nusra-Front - einst Ableger von Al-Kaida in Syrien - zu führen. Im syrischen Bürgerkrieg kämpfte sie zunächst unter anderem gegen Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad und kurdische Milizen.

Später kam es zum Bruch sowohl mit dem Islamischen Staat als auch mit Al-Kaida, die 2014 selbst zu gegenseitigen Rivalen wurden. Al-Dschulani wollte sich von den transnationalen Ambitionen seiner einstigen Verbündeten lossagen und sich stattdessen auf den Kampf in Syrien konzentrieren. Mit dem Bruch gingen Al-Dschulanis Kämpfer hart gegen jegliche extremistische Gruppen im Nordwesten Syriens vor.

Die Al-Nusra-Front hat seitdem mehrere Wandlungen vollzogen und ihre Ideologien immer wieder angepasst. Heute ist sie bekannt als HTS, der Organisation zur Befreiung (Groß-)Syriens.

Imagewechsel im Bürgerkrieg

"Der Mann ist sehr daran interessiert zu herrschen", sagte Analyst Orwa Ajjoub. Ajjoub forscht seit Jahren zum syrischen Konflikt und Dschihadismus. HTS habe unter Führung Al-Dschulanis relativ erfolgreich eine Art Alternativregierung der syrischen Opposition im Nordwesten des Bürgerkriegslands aufgebaut.

Das Land ist heute völlig gespalten. Assad kontrollierte zuletzt mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Oppositionskräfte wie HTS dominieren Teile des Nordwestens und Nordostens.

Sowohl die USA als auch die Europäische Union stufen Al-Dschulanis Gruppe HTS weiter als Terrororganisationen ein. HTS ist eine autoritäre, bewaffnete Gruppe. Ihr wurde in den vergangenen Jahren unter anderem Folter, andere Formen der Gewalt und Vertreibung von Minderheiten vorgeworfen.

Die internationale Gemeinschaft betrachtet ihn Ajjoubs Einschätzungen zufolge dennoch auch als "Garant für Sicherheit". Für den Westen stelle er gerade kein Risiko dar. Über die Jahre sei es dem HTS-Anführer gelungen, gute Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft aufzubauen. "Aber natürlich nicht öffentlich", so Ajjoub. Der Islamische Staat und Al-Kaida seien Geschichte für ihn.

Inszenierung als "nationalistische Figur"

Das bringe vor allem für die Türkei Vorteile. Ein großes Anliegen des Nachbarlands sei es, die zahlreichen syrischen Flüchtlinge im eigenen Land wieder zurück in ihr Heimatland schicken zu können. Aus Sicht der Türkei biete Al-Dschulanis relativ stabile Regierungsführung Sicherheit für die Bewohner. Auch Al-Dschulanis gezielte Bekämpfung von IS- und Al-Kaida-Zellen sei dabei hilfreich.

Nach eigenen Aussagen plant Al-Dschulani in Syrien, ein auf Institutionen basierendes Regierungssystem zu errichten. Nicht eines, in dem ein einzelner Herrscher willkürlich Entscheidungen treffe, sagte dem US-amerikanischen TV-Sender CNN. "Wir sprechen nicht über die Herrschaft von Einzelpersonen oder persönliche Launen", so Al-Dschulani.

Riad Kahwadschi, Gründer des Militärinstituts INEGMA in Dubai, sieht in Al-Dschulanis Transformation vor allem auch Opportunismus. Er inszeniere sich heute als "nationalistische Figur", die keine extremistischen Ansichten nicht mehr vertritt und zur Einheit und Koexistenz mit anderen Minderheiten aufrufe. Er sehe sich als Politiker, der eine Miliz anführt.

Zur Transformation mag auch ein aktueller Namenswechsel beitragen. Zuletzt ließ er sich zum ersten Mal öffentlich auf dem HTS-Telegramkanal mit seinem Klarnamen statt mit seinem Kampfnamen zitieren.

Al-Dschulani inhaftiert Gegner

Den vollen Rückhalt der Bevölkerung hatte Al-Dschulani bis zur Offensive der Rebellen nicht. "Er hat viele politische Aktivisten und seine Gegner festgenommen und in Gefängnisse gesteckt", sagte Experte Ajjoub. Seit etwa einem Jahr gebe es immer wieder Proteste gegen ihn. "Als die Offensive begann, ist es ihm jedoch gelungen, all diese Menschen um ihn herum zu mobilisieren", so Ajjoub.

Die meisten Kämpfer der Rebellenallianz seien aus Homs, Hama und anderen Gebieten zuvor vertrieben worden. Sie kämpften nun um ihr eigenes Land. "Vom ersten Tag an habe ich von Menschen in Idlib gehört, jetzt ist nicht die Zeit für Demonstrationen, jetzt ist die Zeit zum Kämpfen."

Er habe sich in einen "lokalen Helden" verwandelt und womöglich auch in eine tragende Figur über die Grenzen von Syrien hinaus, weil viele Menschen gerne sehen würden, dass das syrische Regime gestürzt wird. Der Konflikt begann 2011 mit Protesten gegen die Regierung Assads. Sicherheitskräfte gingen dagegen mit Gewalt vor. Hunderttausende Menschen kamen bisher ums Leben.

Quelle: ntv.de, Amira Rajab, dpa

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