Nach dem Treffen von Potsdam Wäre ein AfD-Verbot möglich und sinnvoll?


Äußerungen des Thüringer AfD-Chefs Höcke wären ein mögliches Argument in einem Verbotsverfahren.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nicht zuletzt das Treffen von Potsdam zeigt: Es gibt verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD und damit Gründe für ein Verbotsverfahren. Bessere Gründe gibt es jedoch dagegen. "Allein die Debatte darüber macht die AfD nur stärker", sagt CDU-Generalsekretär Linnemann. Selbst die "AfD-Jägerin" winkt ab.
Gründe für die Forderung nach einem Verbot der AfD liegen auf der Hand. "Wenn der Verfassungsschutz in drei Bundesländern die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft, dann hat der Staat die Pflicht, ein Verbot der AfD zu prüfen", sagte der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kürzlich dem "Tagesspiegel".
Die Debatte hat vor allem angesichts steigender Umfragewerte an Fahrt aufgenommen. Bundesweit liegt die AfD bei den meisten Umfrageinstituten oberhalb von 20 Prozent, in den drei Bundesländern, in denen in diesem Jahr gewählt wird - Thüringen, Sachsen und Brandenburg - sogar über 30 Prozent. Grundlage für ein Verbot wäre Artikel 21 des Grundgesetzes. "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig", heißt es darin. Ob eine Partei verfassungswidrig ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Anders als gelegentlich vermutet, ist alles andere als klar, dass ein Verbotsantrag scheitern würde. So kommt eine Analyse des Instituts für Menschenrechte zu dem Schluss, dass der Programmatik der AfD ein national-völkisch verstandener Volksbegriff zugrunde liegt, "der Menschen nach rassistischen Kategorien in ihrer Wertigkeit unterscheidet und damit vom Volksbegriff des Grundgesetzes abweicht". Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke, eine der vermutlich einflussreichsten Personen in der AfD, nutzt regelmäßig eine Rhetorik, die an die Sprache des Nationalsozialismus erinnert - zahlreiche Belege dafür hat die "Zeit" gesammelt. "Höcke, der offen auf eine am Nationalsozialismus orientierte Gewaltherrschaft abzielt, beeinflusst die Ausrichtung der gesamten AfD mittlerweile maßgeblich", heißt es in der Studie des Menschenrechtsinstituts.
Auch ein rechtsextremes Treffen mit Beteiligung von AfD-Politikern, darunter ein enger Mitarbeiter von Parteichefin Alice Weidel, legt die Vermutung nahe, dass die zur Schau getragene Verfassungstreue nur Fassade ist. Bei dem Treffen im Norden von Potsdam wurde ein "Masterplan" zur "Remigration" von Ausländern, Deutschen mit Migrationshintergrund und generell allen, die sich für Geflüchtete einsetzten, erörtert.
SPD-Chefin setzt sich für Prüfung ein
Ein Verbotsantrag müsste vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden. Vor allem aus der SPD kommt diese Forderung immer häufiger. Nach den Enthüllungen zum Treffen von Potsdam warnte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken davor, ein AfD-Verbot auszuschließen. Das Verbotsverfahren gegen die NPD sei einst daran gescheitert, dass sie nicht für relevant genug gehalten wurde. "Wir sollten nicht so lange warten, bis die AfD zu relevant ist", sagte Esken im Frühstart von ntv. Von der Partei gehe eine große Gefahr aus, gleichzeitig unterstütze sie der deutsche Staat über die Parteienfinanzierung und durch Abgeordnetenentschädigungen. Damit drohe die Demokratie, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln. "Das werden wir nicht zulassen." Seit dem Parteitag im Dezember liegt dem SPD-Vorstand und der SPD-Bundestagsfraktion ein Antrag vor, der die juristische Prüfung eines Verbotsantrags fordert.
Ein Parteiverbot gab es in Deutschland seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Die Annahme, das Bundesverfassungsgericht würde einen solchen Antrag ohnehin ablehnen, wird von Experten dennoch zurückgewiesen. Die Vermutung beruht auf der Entscheidung der Karlsruher Richter zum NPD-Verbot von 2017. Damals scheiterte bereits der zweite Versuch, die NPD zu verbieten. In seinem Urteil erklärte das Gericht, es bedürfe "konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen". Vereinfacht gesagt, argumentierte das Bundesverfassungsgericht damals, die NPD sei nicht einflussreich genug, um verboten zu werden. Das bedeutet nicht, dass jeder Verbotsantrag chancenlos wäre. Die ehemalige Verfassungsrichterin Gertrud Lübbe-Wolff schreibt beim Verfassungsblog, es wäre "abwegig" anzunehmen, das Bundesverfassungsgericht verlange, mit einem Parteiverbot abzuwarten, "bis die Erfolgschancen einer Partei so gut stehen wie derzeit die der AfD".
Aussichtslos wäre ein Verbotsantrag jedenfalls nicht. Ob ein AfD-Verbot politisch sinnvoll wäre, ist eine ganz andere Frage. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der seine Partei im Interview mit dem "Stern" erst kürzlich scharf von der AfD abgegrenzt und Höcke als Nazi bezeichnet hat, hält davon gar nichts: "Ein Parteiverbotsverfahren führt in die Irre", sagt Linnemann ntv.de. "Allein die Debatte darüber macht die AfD nur stärker. Statt über Verbote zu reden, sollten die Parteien den Diskurs über die tatsächlichen Probleme der Bürger suchen. Für meine Partei bedeutet das: mit einer CDU pur können wir das Blatt wieder zum Guten wenden. Unser neues Grundsatzprogramm ist hierfür ein wichtiger Beitrag."
Auch CDU-Chef Friedrich Merz sieht in der Diskussion vor allem "Wasser auf die Mühlen der AfD", wie er dem "Münchner Merkur" sagte. "Glaubt die SPD-Vorsitzende allen Ernstes, dass man eine Partei, die in Umfragen an die 30 Prozent heranreicht, einfach verbieten kann? Das ist schon eine beängstigende Verdrängung der Wirklichkeit."
Die "AfD-Jägerin" rät von Verbotsantrag ab
Nicht jeder in der CDU teilt diese Position. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, bis 2021 Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, wirbt für einen parteiübergreifenden AfD-Verbotsantrag, bislang erfolglos. Aber auch in der SPD ist das Thema nicht unumstritten: Wanderwitz' Nachfolger Carsten Schneider warnte vor Kollateralschäden: "Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorn liegt, dann führt das zu einer noch größeren Solidarisierung mit ihr", so der Ost-Beauftragte. Auch Wolfgang Thierse gab zu bedenken, die AfD würde ein Verbotsverfahren "propagandistisch erheblich ausschlachten, sich als Opfer stilisieren".
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg plädiert daher dafür, nicht ein AfD-Verbot anzustreben, sondern die staatliche Parteienfinanzierung zu prüfen. "In Bezug auf die Förderung parteinaher Stiftungen hat der Bundestag kürzlich ein Gesetz beschlossen, wonach nur Stiftungen staatlich finanziert werden, wenn sie für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten", sagte sie der Legal Tribune Online. Badenberg war vor ihrer Berufung zur Justizsenatorin Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes - und dort daran beteiligt, dass die AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, der die parteilose Juristin nach Berlin holte, nannte sie "die größte AfD-Jägerin aus ganz Deutschland". Badenberg regte an, darüber nachzudenken, die Jugendorganisation der AfD zu verbieten.
In Deutschland schwingt bei dieser Frage immer mit, ob die Machtergreifung der Nazis hätte verhindert werden können, wenn die Partei verboten gewesen wäre. Aber so einfach war es nicht: Die ehemalige Verfassungsrichterin Lübbe-Wolff weist darauf hin, dass die NSDAP nach dem Hitler-Putsch von 1923 zeitweise verboten war. "Was fehlte, war nicht die rechtliche Handhabe, sondern der politische Wille, dieser Partei das Handwerk zu legen." Mit Blick auf die aktuelle Situation sagt sie, es helfe nur eine Politik, "die sich entschlossener und realistischer den nicht verfassungsfeindlichen Anliegen der Bürger zuwendet".
Das ist richtig, aber auch leichter gesagt als getan: Eine solche Politik zu entwickeln, für sie zu werben und politische Mehrheiten dafür zu gewinnen, ist eine immer komplexere Herausforderung, je vielfältiger und widersprüchlicher die Gesellschaft wird.
Der Artikel wurde aktualisiert, nachdem das Treffen mit AfD-Beteiligung in Potsdam bekannt wurde. Er erschien zuerst am 6. Januar 2024.
Quelle: ntv.de