"Mutige" RentenreformBas will "nicht nur an zwei Schräubchen drehen"

Das Rentenpaket, das das Rentenniveau erst einmal stabilisieren soll, ist durch den Bundestag. Nun soll eine Kommission eine große Reform der Sicherungssysteme anstoßen, Arbeitsministerin Bas verordnet ihr Mut. Doch Ökonomen, Wirtschaftsvertreter und Gewerkschaften sind nicht zufrieden mit dem Vorgehen.
Nach der Verabschiedung des Rentenpakets im Bundestag spricht sich Arbeitsministerin Bärbel Bas für ein rundum erneuertes Rentensystem aus. "Es wird nicht reichen, nur an zwei Schräubchen zu drehen, sondern wir brauchen ein ganz neues System", sagte die SPD-Politikerin in der ARD. Deutschland müsse sich an anderen europäischen Ländern orientieren, die solche Reformen vorgemacht hätten. Als Beispiele nannte sie Schweden, die Niederlande, Dänemark und Österreich.
"Das muss eine mutige Reform sein. Und ich glaube, das können auch nur die Volksparteien schaffen", sagte Bas. Es sei nun wichtig, ein System zu schaffen, das für viele Jahre und für alle Generationen halte.
Nach monatelangen Diskussionen hatte der Bundestag am Freitag für das Rentenpaket gestimmt, es muss noch den Bundesrat passieren. Streit gab es in der Frage nach der Stabilisierung des Rentenniveaus und der Ausweitung der Mütterrente. Noch vor Weihnachten soll eine Rentenkommission eingesetzt werden. Die Wissenschaft soll ebenso vertreten sein wie Politikerinnen und Politiker - auch explizit die junge Generation. Bis Mitte 2026 sollen Vorschläge vorliegen - die dann rasch in ein Gesetzgebungsverfahren münden sollen.
Die Tabus müssen auf den Tisch
Bas sagte, es sei wichtig, dass "die junge Generation jetzt auch ihre Stimme in der Rentenkommission hat". Sie gehe auch davon aus, dass die Jungen Gruppe der Unionsfraktion, die gegen das Rentenpaket war, in der Kommission vertreten sein werde. "Der Kommissionsvorschlag wird so sein, dass da alle Themen auf den Tisch kommen", sagte Bas. "Da geht es um das Renteneintrittsalter. Da geht es um die Verbreiterung - wer soll einzahlen. Da geht es um Einkünfte. Und insofern wollen wir da keine Denkverbote vorgeben. In der Tat soll alles besprochen werden." Bas betonte: "Wir müssen uns alle aufeinander zubewegen."
In der Kommission sollen auch Punkte besprochen werden, die für Union oder SPD Stand heute jeweils Tabus sind: eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit über 67 hinaus für gesetzlich Versicherte und die Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rente, also eventuell von Beamtinnen und Beamten. Ansonsten soll die Kommissionsarbeit auf kosten- und rentendämpfende Faktoren in der Rentenformel abzielen.
Ökonomen prophezeien Steuererhöhungen
Der Beschluss vom Freitag stieß auf breite Kritik. Mehrere Ökonomen befürchten, dass das Rentenpaket der Bundesregierung zu Steuererhöhungen führen wird. "Es sind höhere Lohnnebenkosten, Steuererhöhungen und eine Ausweitung der Schuldenspielräume zu erwarten", sagte etwa die Wirtschaftsweise Veronika Grimm der "Bild"-Zeitung. Das werde ihrer Prognose nach Deutschlands Wirtschaft weiter schwächen und sei sehr bedenklich.
Auch der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach, rechnet mit Steuererhöhungen. "Die Gefahr ist groß, dass das Rentenpaket mittelfristig über höhere Steuern finanziert werden muss", sagte er der Zeitung. Es komme daher auf die Rentenkommission an, die Vorschläge für Grundsatzreformen bei der Rente machen soll.
Ähnlich äußerte sich der Konjunkturchef des Kiel Institut für Weltwirtschaft, Stefan Kooths: "Das Rentenplus wird künftig entweder über höhere Steuern oder Ausgabenkürzungen finanziert werden. Es werden wohl eher Steuererhöhungen werden, was die ökonomische Dynamik weiter belastet."
Verdi fordert höheres Rentenniveau
Auch aus Wirtschafts- und Gewerkschaftskreisen kommen kritische Stimmen - jedoch mit unterschiedlicher Ausrichtung. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, mahnte eine baldige große Rentenreform an. "Wir brauchen eine große, sozial ausgewogene Rentenreform. Die Sozialsysteme müssen dauerhaft finanzierbar bleiben", sagte Adrian der "Rheinischen Post". Das Rentenpaket mit der weiterhin fixierten Haltelinie sei noch zu locker geschnürt und deshalb nicht zukunftsfest. Viel wichtiger wäre es gewesen, dass die Koalition schon an der Stabilisierung der Rente gearbeitet hätte.
Die Rentenkommission müsse deshalb schnell konkrete Lösungen vorlegen, so Adrian. "Eine weitere Vertagung wäre schädlich. Denn das geht zulasten der Wirtschaft, die die Hälfte der Lohnzusatzkosten schultert. Und zulasten der jüngeren Generationen." Aus Sicht der Wirtschaft solle das Renteneintrittsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung gekoppelt werden und die Aktivrente müsse auch für Selbstständige gelten.
Auch vonseiten der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gibt es laut der "Rheinischen Post" Kritik an dem vom Bundestag beschlossenen Rentenpaket. "Gut ist, dass die Haltelinie beim Rentenniveau jetzt bis 2031 gesichert wurde", sagte Verdi-Chef Frank Werneke der Zeitung. Aus seiner Sicht sei ein Rentenniveau von 48 Prozent aber zu gering. "Wir hatten früher ein Rentenniveau von über 50 Prozent, und es ist notwendig, dass es perspektivisch wieder auf über 50 Prozent steigt", sagte Werneke zufolge.