Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Hammer-Heidi bringt die Union zum Glühen

06.12.2025, 05:54 Uhr 20221217-Hendrik-Wieduwilt-075-highres-finalEine Kolumne von Hendrik Wieduwilt
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Heidi Reichinnek prägte die mit Spannung erwartete Entscheidung über das Rentenpaket der Bundesregierung. (Foto: picture alliance / photothek.de)

Friedrich Merz sollte der Linken-Chefin ein üppiges Weihnachtsgeschenk machen: Reichinnek hält seinen Laden besser zusammen als Fraktionschef Jens Spahn.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, in dieser Woche über die Linken zu schimpfen - nun muss ich sie aber in den Himmel loben. Man hat es nicht leicht als Kommentator dieser Tage!

Der Reihe nach: Als sich am vergangenen Wochenende in Gießen die neue AfD-Jugend konstituierte, verfehlten manche linke Demonstranten auf der Straße und im Netz so spektakulär ihr Ziel, dass man von kollektivem Glühwein-Rausch ausgehen musste.

Da versammelte sich also am vergangenen Wochenende eine neue, strategisch wichtige Jugendbewegung unter schützenden Schwingen der AfD, mit einem Chef, der an seiner Radikalität wenig Zweifel zulässt, Jean-Pascal Hohm. Das Ganze passiert in einer Partei, die sich inzwischen genauso gut in "Ausländer raus für Deutschland" umbenennen könnte - und auf wen schießen sich die lautesten Demonstranten ein?

Auf einen Journalisten: Paul Ronzheimer. Mit einer triumphalen "Wir haben ihn!"-Geste hetzte ein linker Mob gegen den "Bild"-Vize-Chefredakteur und Podcaster, bis dieser sich unter wohlmeinenden Ratschlägen der offensichtlich hilflosen Polizei zurückzog.

Ist das Euer Ernst?

Paul Ronzheimer? Ist das Euer Ernst? Dieser Mann wird derzeit völlig zurecht mit Preisen totgeschmissen, weil er etwas praktiziert, das allzu vielen Branchenkollegen völlig abgeht: unbedingte Zugewandtheit, sowohl gegenüber seinen Gesprächspartnern, als auch dem Publikum. Keine Frage bleibt unerörtert, kein Detail unerklärt, hier will noch einer wirklich verstanden werden und nicht nur vor anderen Mediengurken glänzen.

Dabei ist Ronzheimers Verhältnis zur AfD, was für die Qualifikation als "Fascho" doch wesentlich sein müsste, schlicht: Er lehnt sie ab. Und ausgerechnet der ist jetzt das Ziel von Demonstranten mit "Oma gegen Rechts"-Slogan auf der Brust? Liegt es an einem Arbeitsvertrag mit dem Springer-Verlag?

Als dieser Ronzheimer sich öffentlich verwundert zeigte, nunmehr als "Fascho" zu gelten, war das Echo im Netz ebenso bizarr: Er müsse sich ja nicht wundern, schrieben reichweitenstarke Kommentatoren, schließlich habe er israelfreundlich berichtet, lautete bisweilen das Argument.

Eine der besten Rednerinnen ihrer Generation

Eines schien klar zu sein: Wenn irgendwer das Land vor dem Rechtsextremismus retten kann, dann sind es wohl nicht diese desorientierten Krawall-Linken. Wer angesichts eines mit der AfD kokettierenden Wirtschaftsverbands und einer sich stabilisierenden Spitzenposition in Umfragen noch immer den eigenen "Bild"- und Israel-Neurosen erlegen ist, sollte sich vielleicht nicht zu einem digitalen von Stauffenberg aufplustern.

Doch im Bundestag keimt die Hoffnung für Linke - beziehungsweise sie hämmert: Heidi Reichinnek ist, das werden auch ihre Gegner anerkennen müssen, eine der besten Rednerinnen ihrer Generation. Sie weiß, wo der Gegner steht und auch, wie man ihn zerlegt.

Kurz vor dem Showdown um die Rente kündigte die Linkenfraktion an, sich bei der Abstimmung zu enthalten - und so die Abstimmung abzusichern, die wegen der jungen Rebellen in den Reihen der Union zur Zitterpartie für Friedrich Merz zu werden drohte.

Das Richtige tun, auch wenn es dem Falschen nützt

Am Morgen sagte Reichinnek, man enthalte sich nicht, um Merz zu schaden - sondern weil man das Absinken des Rentenniveaus verhindern wolle. Später im Plenum sollte sie diesen Punkt in farbenfrohen Bildern ausmalen: Rentner über 70, die Flaschen sammeln müssten, Zeitungen austragen oder an der Kasse sitzen, die sich überlegen müssten, ob sie mit den Enkeln noch auf den Weihnachtsmarkt gehen können.

Das ist performativ grandios: Warum spricht so plastisch und greifbar sonst so selten jemand am Rednerpult? Ihre Position ist aber auch taktisch und strategisch klug: Reichinnek präsentiert die Linke wie schon in den Sozialen Medien als - ja wirklich - undogmatisch und problemorientiert. Als eine, die das Richtige tut, auch wenn es dem Falschen nützt.

Zugleich hat sie damit womöglich die Reihen geschlossen. Hätte Merz nur dank der Linken die Rentenpolitik der Koalition durchgebracht, hätte sich die Häme aus der AfD tief in die konservative Seele gefressen. "Links ist vorbei" hatte der Kanzler versprochen, nun lässt er sich wiederholt helfen? Das wäre nicht gut ausgegangen. Also rissen sich die meisten Rebellen zusammen - und stimmten mit.

"Eine absolute Schande"

Insofern bringen die rhetorischen und taktischen Hammerschläge der Linken-Chefin die Union zum Glühen, aber schweißt sie auch ein Stück weit zusammen. Eine Weihnachtskarte von Friedrich an Heidi scheint hier mehr als angemessen.

Härteste Attacken fährt Reichinnek gegen die linke Konkurrenz bei den Grünen: Deren Fraktionschef Audretsch warf sie die Rentenversäumnisse in grellen Farben vor - "peinlich, scheinheilig, eine absolute Schande", sei es, wenn die Grünen sich als Retter der Rentner gerierten.

Ob Audretsch wüsste, "wo der Feind wirklich steht", rief Reichinnek noch - und macht elegant deutlich: Sie weiß das sehr genau. Ihre Orientiertheit fehlt manchen Schreihälsen auf der Straße und im Netz.

Sogar die AfD bewundert Reichinnek

So viel kommunikative Brillanz gemahnt zur Vorsicht: Manch ein neuer Linken-Fan war nach der Bundestagswahl dann doch überrascht, für welche Positionen er sich da eigentlich gerade begeistert. Das gilt nicht nur für das naturgemäß entspannte Verhältnis zu Verschuldung und Sozialpolitik.

Die Partei - vor allem die Berliner Linke - hat ein tiefsitzendes Antisemitismus-Problem, die deutsche Staatsräson wollen etliche bekämpfen. Das geht sogar so weit, dass Hamas-Freunde aus dem linksextremen Lager gegen Bodo Ramelow protestierten - weil Ramelow israelfreundliche Positionen vertritt. Die Linksjugend "Solid" sieht Israel als "koloniales und rassistisches Staatsprojekt".

Deshalb sollten andere sich Reichinneks Erfolgsrezept genau ansehen. Tipp: Es liegt nicht an ihrem irrwitzigen Sprechtempo.

Lernen, wie die AfD von der Linken lernt

Reichinneks Linke weiß auch außerhalb des Plenums, wie man punktet: Die Partei benutzt klare, emotionalisierende Bilder, bespricht konkrete Probleme, statt sich auf abstrakte Werte zu stützen - etwa "Demokratie" oder "Europa", zuverlässig fehlzündende Gassenhauer etwa der SPD, die sich ja neuerdings als Gegner der Arbeitgeber sieht, als wären wir wieder in den 1960ern.

Die AfD-Fraktion, selbst durchaus kommunikationsstark, hat sich intensiv mit der Kampagnenfähigkeit der Konkurrenz am anderen Ende des Spektrums beschäftigt, wie die "F.A.Z." gerade berichtet.

Sogar die AfD bewundert also Reichinnek - ob auch die Teams von Merz und Klingbeil da über die Feiertage einmal genauer hinschauen?

Quelle: ntv.de

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