Trotz mehrfacher Mängel Belgien verlängert Laufzeit von zwei Atomkraftwerken
09.01.2023, 21:56 Uhr
Tihange 3 wurde erst im Oktober 2022 unerwartet vom Netz genommen.
(Foto: picture alliance / Jochen Tack)
Belgien will eigentlich schon seit zwei Jahrzehnten aus der Kernenergie aussteigen, findet aber kein Ende. Die Regierung einigt sich jetzt auf die Verlängerung der Laufzeit von zwei Atomkraftwerken. Eines davon liegt nah an Deutschland - der Nachbar sieht die Meiler seit vielen Jahren kritisch.
Die belgische Regierung und der Energiekonzern Engie haben sich auf die Laufzeitverlängerung der zwei Atomkraftwerke Tihange 3 und Doel 4 um zehn zusätzliche Jahre geeinigt. "Mit diesen Entscheidungen können morgen die Arbeiten für die Verlängerung der beiden jüngsten Atomkraftwerke beginnen", sagte der belgischen Premierminister Alexander De Croo bei einer Pressekonferenz.
Die Verlängerung sei entscheidend, um die Energieversorgungssicherheit in den nächsten zehn Jahren zu gewährleisten. An dem Vorhaben soll sich nach Angaben von De Croo zur Hälfte der belgische Staat und zur Hälfte der Betreiber Engie beteiligen. Die belgische Regierung hatte bereits im März letzten Jahres beschlossen, dass der nahe der deutschen Grenze gelegene Reaktor Tihange 3 (liegt circa 60 Kilometer weit von Aachen entfernt) sowie der bei Antwerpen gelegene Meiler Doel 4 bis mindestens Ende 2035 weiterlaufen sollen.
Über die Umsetzung wurde noch mit dem Betreiber Engie verhandelt. Ursprünglich war ein Atomausstieg für 2025 vorgesehen. Bei der Entscheidung spielten der Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen auf Belgien und die Nachbarländer eine Rolle. Ziel ist es laut einer Mitteilung nun, die zwei Meiler nach den für die Verlängerung nötigen Arbeiten im Winter 2026 wieder in Betrieb zu nehmen.
Deutschland sieht belgische Atomkraftwerke kritisch
In Deutschland sorgen die belgischen Atommeiler aus den 1970er und 80er Jahren immer wieder für Diskussionen. So wurden bei den Reaktoren im Nachbarland mehrfach Mängel festgestellt, etwa marode Betonteile. Die Stadt Aachen und die Bundesregierung haben in der Vergangenheit gefordert, die Kernkraftwerke stillzulegen.
Tihange 3 war zuletzt im Oktober 2022 unerwartet vom Stromnetz genommen worden. Grund war dem Betreiber zufolge ein Druckabfall in einem der drei Dampfgeneratoren. Engie hatte bekräftigt, die Abschaltung habe keine Auswirkung auf die Sicherheit der Anlagen oder für die Angestellten.
In Belgien wurde der Atomausstieg eigentlich schon 2003 gesetzlich festgelegt, doch die Debatte zieht sich seit Jahren. Derzeit sind noch sechs Meiler am Netz, ein siebter wurde vergangenes Jahr abgeschaltet.
Niederlande baut zwei neue AKW
Der deutsch-belgische Nachbar Niederlande hatte erst im Dezember verkündet, in der Nähe in der Gemeinde Borssele in der Provinz Zeeland zwei neue Atomkraftwerke zu bauen. Sie liegt etwa 200 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt in direkter Nähe zu Belgien. In Borssele ist bereits seit Jahrzehnten ein AKW in Betrieb - derzeit das einzige in den Niederlanden. Die endgültige Entscheidung soll Ende 2024 fallen. Als möglicher Standort ist auch noch Rotterdam im Gespräch. Aus dem Rennen ist Eemshaven an der Emsmündung unweit von Niedersachsen.
Erwartet wird eine Fertigstellung der neuen Kraftwerke um 2035. Mit einer Kapazität von 1000 bis 1650 Megawatt sollen die Reaktoren neun bis 13 Prozent der niederländischen Stromproduktion liefern. Wie das Ministerium erläuterte, soll die Betriebsdauer des bestehenden AKW in Borssele über 2033 hinaus verlängert werden.
Die Atomenergie spielte in den Niederlanden bisher keine große Rolle. Das Land deckt große Teil seines Energiebedarfs mit Erdgas aus der Provinz Groningen im Norden. Bis 2030 sollen Windkraft und Sonnenenergie 80 Prozent der Energieversorgung sicherstellen. Die neuen AKW sollen die verbleibende Versorgungslücke schließen helfen.
Quelle: ntv.de, rog/dpa